Hatespeech und Gewalttaten

Die Verführbarkeit durch Sprache ist begrenzt

04:33 Minuten
Illustration: Die Silhouette eines wütenden Manns. Anstelle des Gehirns hängt eine Wolke, aus der es blitzt.
Was treibt Menschen zu politisch motivierten Straftaten? Das ist bis heute nur unzureichend verstanden. © imago / fStop Images / Malte Müller
Von Philipp Hübl · 23.01.2022
Audio herunterladen
Hass und Hetze nehmen zu, die Zahl politischer Straftaten auch. Es liegt nahe, das eine mit dem anderen zu erklären. Doch sind wirklich „toxische Narrative“ die Ursache von Radikalisierung? Philipp Hübl bezweifelt, dass Sprache diese Wirkmacht hat.
Was treibt Menschen zu politisch motivierten Straftaten, im Extremfall zu Gewalt? Das ist bis heute nur unzureichend verstanden. In der Diskussion kann man ganz grob zwei Ansätze unterscheiden. Der Manipulationsthese zufolge hören Menschen Propaganda und Verschwörungstheorien und ändern dadurch ihre politische Meinung. Weil sie den Staat als Aggressor sehen, werden sie im Extremfall gewalttätig, um sich oder ihr Anliegen zu verteidigen.

Manipulation von Meinungen

Dieses Erklärungsmuster beruht auf zwei fundamentalen Annahmen über die menschliche Kognition: der Idee des beliebig verführbaren Menschen und der Macht der Sprache. Beide Thesen sind fragwürdig, wie die empirische Forschung nahelegt.
Zum einen sind unsere moralischen Einstellungen nicht so leicht durch Worte veränderbar, was man schon daran sieht, dass die meisten Menschen von Parolen wie „Umvolkung“ oder „Impfdiktatur“ absolut unbeeindruckt bleiben, obwohl sie fast täglich davon hören.

Narrativ - ein Begriff ohne Erklärungskraft

Zum anderen ist die unter Akademikern, Journalisten und Politikern beliebte Rede von prägenden „Narrativen“ begrifflich völlig unklar: Manchmal sind damit bloß Überzeugungen gemeint, manchmal normative Wertungen, Kausalerklärungen oder tatsächliche Geschichten. Wenn alles ein Narrativ sein kann, verliert der Begriff jedoch seine Erklärungskraft.
Ob die vermeintlichen Narrative eine Wirkung entfalten, hängt ohnehin von der Empfänglichkeit der Menschen ab, wie viele Studien zeigen: Propaganda wirkt bei denjenigen, die sich schon lange sozial ausgeschlossen fühlen, zu Extremen neigen und wenig kritisch denken. Das legt auch eine große Untersuchung nahe, die das Bundeskriminalamt in Auftrag gegeben hat, um mit sogenannten „Counter Narratives“ dem Extremismus etwas entgegenzusetzen.

Bestätigung bereits vorhandener Einstellungen

Als Alternative zur Manipulationsthese haben Psychologen daher in den letzten Jahren Belege für eine andere Theorie gesammelt, man könnte sie die Bestätigungsthese nennen: Menschen haben recht robuste politische oder ideologische Einstellungen und springen daher auf diejenigen Botschaften und Verschwörungstheorien an, die ihre Weltsicht bestätigen.
Philipp Hübl, Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart (9.5.2015).
Mehr als um Manipulation von Meinungen geht es um Bestätigung von bereits vorhandenen Einstellungen, meint der Philosoph Philipp Hübl.© Philipp Hübl
So zeigt eine aktuelle Studie, dass Menschen Hass-Postings nicht primär teilen, weil sie selbst daran glauben, sondern weil sie ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen und ihr eigenes Lager aktivieren wollen. Mit anderen Worten: Nicht die Rede von „Impfdiktatur“ macht Menschen zu Querdenkern, sondern umgekehrt: Wer ohnehin schon unzufrieden mit dem System ist, wird die Masken- und Impfpflicht als Übergriff des Staates ansehen und die Wut darüber mit diesem Schlagwort bündeln, selbst wenn er nicht buchstäblich daran glaubt. Ähnliches gilt für die Rede von der „Lügenpresse“.

Geisteswissenschaften und die Macht der Sprache

Übrigens neigen auch Geistes- und Sozialwissenschaftler zu Bestätigungsfehlern. Sie überschätzen die Macht der Sprache, weil sie sich selbst dauernd mit Sprache beschäftigen. Die Idee der „toxischen Narrative“ ist verlockend, denn sie suggeriert, man könne die Gesinnung von Menschen ganz einfach an ihren Worten erkennen, ohne aufwendige Hilfsmittel wie empirische Untersuchungen. Das wiederum erleichtert es, andere moralisch zu verurteilen, und suggeriert schnelle und eindeutige Gegenmaßnahmen, etwa Hassnachrichten im Netz zu ahnden oder Nachrichtenkanäle wie Telegram zu verbieten, wie Innenministerin Nancy Faeser kürzlich vorgeschlagen hat. Auch wenn dieser Ansatz kurzfristig gegen Straftaten Erfolg haben kann, stellt er keine langfristige Strategie gegen Radikalisierung dar, denn er bleibt an der sprachlichen Oberfläche.
Um ideologische Gewalt besser zu verstehen, muss man viele Faktoren in den Blick nehmen: Bildung, Persönlichkeitsprofile, Denkstile und den sogenannten autoritären Reflex, eine typische Reaktion auf Gefühle von Verlust, Bedrohung und Abwertung. Der einseitige Fokus auf die Manipulationsthese hält uns davon ab, diese Vielschichtigkeit des Problems in den Blick zu nehmen.

Philipp Hübl ist Philosoph und Gastprofessor für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Die aufgeregte Gesellschaft. Wie Emotionen unsere Werte prägen und die Polarisierung verstärken“ im Verlag C. Bertelsmann.

Mehr zum Thema