Die Unfähigkeit zum Frieden

27.11.2012
Eigentlich ist der Roman schon fast dreißig Jahre alt: "Segu. Die Mauern aus Lehm" von Maryse Condé. Jetzt gibt es eine Neuauflage auf Deutsch, die genau richtig kommt, da das Thema des Romans leider nur allzu aktuell ist: "Segu" ist nämlich eine Stadt im heutigen Mali: hinreißende, üppige Prosa.
Segu - auch: Ségou - liegt zwischen Timbuktu und Bamako, in einem Staat, der heute Mali heißt und bis 1960 französische Kolonie war. Segu, bis zur muslimischen Eroberung 1861 Hauptstadt des Königreichs Bambara, ist eine alte, geschichtsträchtige westafrikanische Stadt. Segu ist auch die eigentliche Hauptfigur eines Romans von Maryse Condé, der endlich wieder auf Deutsch erschienen ist. Eine Hauptfigur als Kaleidoskop, gespiegelt aus den Lebenswegen und -weisen einer Familie über drei Generationen hinweg.

Maryse Condé, geboren 1937 in Guadeloupe, an der Sorbonne promovierte Literaturprofessorin, zuletzt in New York, ist auch Präsidentin des Comité pour la mémoire de l'esclavage. Auf ihre Initiative geht zurück, dass seit 2006 der 10. Mai als Tag des Gedenkens an die Sklaverei begangen wird. Vor allem aber ist sie eine der ganz großen schwarzen Erzählerstimmen, nicht nur der frankofonen Welt. Vielfach preisgekrönt und mit den höchsten französischen Orden dekoriert.

Sie hat unter anderem zwölf Jahre in verschiedenen afrikanischen Ländern gelebt, und wenn es einen roten Faden in ihrem literarischen Werks gibt, dann den Kampf gegen schwarze wie weiße Mythen über "Afrika". Zum Beispiel den, dass afrikanische Geschichte erst mit der Kolonialisierung durch christliche Europäer einsetze.

"Segu" erzählt von einer Epoche davor. Sie beginnt 1797. Die Stadt ist im Umbruch, es gibt Hofintrigen und ethnische und religiöse Reibereien. Der Animismus der Mehrheit mit seiner künstlerischen und sexuellen Freizügigkeit gilt den Korangläubigen als ausrottungswürdige Sünde. Im Zentrum steht die Familie des Bambara-Patriarchen Dusika Traoré und seiner Frauen und Konkubinen aus verschiedenen Ethnien. Der älteste Sohn wendet sich dem Islam zu, die drei anderen nicht, aber alle treibt es aus Segu fort, nicht nur durch halb Afrika, sondern zum Beispiel auf einem Sklavenschiff bis nach Brasilien.

Keine Idylle unterm Tropenhimmel also. Maryse Condé erzählt vielmehr mit aller - sinnlichen wie grausamen - Drastik des realistischen Romans von einer afrikanischen Stadt in einer bestimmten Epoche, von den Zusammenstößen zwischen den diversen Kulturen, Riten, Sprachen und natürlich zwischen Frauen und Männern, vom Alltagsleben.

Dabei breitet sie vermeintlich Exotisches aus - Speisen, Namen, Kulte, Künste, die Natur, die Polygamie oder die Art, Kinder zu gebären und aufzuziehen, zum Beispiel -, aber so selbstverständlich, dass nach einem kurzen Gewöhnungsmoment kein Zweifel bleibt: Das hier ist eine universale Erzählung über die Unfähigkeit der Menschheit zum Frieden.

Wenn man diese gut 600 Seiten hinreißender, üppiger Prosa liest, die ein Vierteljahrhundert alt ist und im Mali vor 150 Jahre endet, rückt einem sehr nahe, was für ein Krieg dort zurzeit tobt. Im wunderschönen Mali von heute, das tolle Fußballer exportiert, ohne dessen grandiose Musiker die Weltmusik nicht denkbar ist und das gerade terrorisiert wird von islamistischen Fanatikern, denen alles Sinnenfreudige, alle Vielfalt des Lebens als ausrottungswürdige Sünde gilt.

Besprochen von Pieke Biermann

Maryse Condé: Segu. Die Mauern aus Lehm
Aus dem Französischen von Uli Wittmann
Unionsverlag, Zürich 2012
640 Seiten, 12,95 Euro
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