Wo bleibt die sicherheitspolitische Debatte?

Von Christian Thiels · 24.11.2012
"Deutschlands Freiheit wird auch am Hindukusch verteidigt" - der prägnante Satz, mit dem der frühere Verteidigungsminister Peter Struck den deutschen Afghanistan-Einsatz begründete, hätte der Beginn einer öffentlichen Debatte um die Armee als Mittel deutscher Außenpolitik werden können - hätte. Denn nach Struck verfiel die Politik jeglicher Couleur wieder in eine weitgehende sicherheitspolitische Sprachlosigkeit.
Auch die Debatte um den Patrioteinsatz deutscher Soldaten in der Türkei diese Woche ist dafür symptomatisch. Statt innezuhalten und grundsätzlich über deutsche Interesse in der Welt und ihre Durchsetzung und über Chancen und Grenzen militärischer Optionen zu reflektieren, legt die Bundesregierung eine erstaunlich kurzatmige Eile bei der Beteiligung an immer neuen Auslandseinsätze an den Tag. Da sind Getriebene und nicht Gestaltende am Werk. In Afghanistan hat der Rückzug gerade erst begonnen, da wird schon wieder über eine Bundeswehr-Mission in Mali und eben über die Entsendung deutscher Patriot-Flugabwehrraketen in die Türkei gestritten. Der militärische Sinn solcher Missionen spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die deutschen Patriots etwa sind für die Abwehr von Mittelstreckenraketen und Flugzeugen optimiert, eine Bedrohung, die es an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei auch nach Ansicht von Generälen bislang gar nicht gibt.

Zur Abwehr syrischer Granaten, wie sie in den vergangenen Wochen auf türkischem Territorium eingeschlagen sind - wobei auch Opfer zu beklagen waren - zur Abwehr dieser Granaten sind die deutschen Systeme schlicht ungeeignet. Doch darum geht es auch gar nicht. Der Bundesregierung geht es um den symbolischen Charakter, den die Beteiligung an solchen Missionen hat. Im Fall Türkei wird signalisiert: Wir stehen zu Euch. Wer sich mit Euch anlegt, legt sich mit der gesamten NATO an. Bei Mali soll sich die Europäische Union als handlungsfähig präsentieren und Deutschland will als verlässlicher Partner gelten, der bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen. Ob das im konkreten Fall wirklich Sinn macht und ob deutsche Interessen berührt sind, ist zweitrangig.

Mehr noch: Der Verteidigungsminister erweckt sogar den Anschein, er wolle sich gar um eine Mandatierung derartiger Missionen durch den Bundestag herumdrücken, wenn sie juristisch nicht erforderlich sind. Thomas de Maizière betont dieser Tage mehrfach, Bundeswehr-Mandate nur aus politischer Opportunität anzustreben, halte er für falsch. Dabei hat er die Rolle Deutschlands in NATO und EU im Blick. Er sorgt sich offenbar um die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit als Bündnispartner. Staatstheoretisch und formaljuristisch mag der langjährige Spitzenbeamte de Maizière da vielleicht sogar eine für ihn schlüssige Argumentation gewählt haben. Politisch war sie unklug und unsensibel. Sie hat den faden Beigeschmack von Regierungsarmee und Hinterzimmer-Sicherheitspolitik. Dabei muss de Maizières Haltung verwundern. Er fordert immer wieder eine grundsätzliche, öffentliche Debatte um die Sicherheitspolitik und die Einsätze der Armee ein. Er selbst beschränkt sich allerdings vor allem auf Vorträge vor elitären Zirkeln aus Experten und Politikern, die er nicht mehr von der Notwendigkeit des Diskurses überzeugen muss.

Die Debatte um jeden Einsatz der Armee gehört in die Öffentlichkeit. Die Bundeswehr ist aus gutem Grund eine Parlamentsarmee - jeder ihrer Einsätze sollte und muss kontrovers debattiert werden. Nicht nur bei Patriot und Mali. Und welcher Ort für diese Debatte wäre besser als der Bundestag?
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