Die tragende Rolle der Moltke-Frauen
Wer heute den Namen Moltke hört, denkt wahrscheinlich kaum noch an Helmut d. Ä. Er war der geniale Generalfeldmarschall, der erst die Österreicher bei Königgrätz überrumpelte und danach die Deutschen Einigungskriege strategisch zum Erfolg geführt hat.
Man verbindet den Namen heute eher mit Helmut James, der Anfang 1945 in Plötzensee gehängt wurde. Beide Moltkes bilden indes eine beispielhafte Familiengeschichte, bei der man jedoch bislang ausschließlich die Männer vor Augen hatte. Von diesem Bild weicht der Biograf aus guten Gründen ab:
"Den Wandel der Moltkes von einer "Militärfamilie" zu einer zutiefst westlich geprägten, nach heutigen Kriterien linksliberalen Familie von Weltbürgern haben Frauen bewirkt. Ohne sie ist der Weg der Moltkes von den Befehlsempfängern der Monarchie in den Widerstand gegen Hitler nicht zu begreifen."
Es stand schon Helmut d. Ä. gut an, Mary Burt, die deutsch-englische Stieftochter einer seiner Schwestern, zu heiraten. Ihre anmutige Erscheinung hat den Feldherrn allerdings nicht vor nationaler Engstirnigkeit bewahrt, die sogar rassistische Züge trug. Ihm war der Sieg 1871 nicht genug. Im Gegensatz zu Bismarck drang er auf einen Präventivkrieg gegen die Franzosen:
"Moltke wollte Frankreich durch eine totale Niederlage in den Status eines nicht mehr bündnisfähigen politischen Außenseiters zurückversetzen, ihm einen Carthagofrieden diktieren. Bismarck dagegen suchte den Ausgleich."
Einem durchschnittlich historisch Gebildeten ist der Extremismus des älteren Moltke kaum bekannt. Merkwürdig, dass dieser lange in der Türkei tätige Offizier, der sich dem dortigen Heer als begabter topografischer Zeichner empfahl, so martialisch war. Dabei kreuzte er im Orient die Wege des Gartenfürsten Pückler und reiste, poetisch gesinnt, auf Goethes Spuren durch Italien.
Nicht zuletzt an solcher Charakterzeichnung lässt sich der Wert dieser Familiengeschichte ermessen, die auch dem Schicksal Helmuts d. J. im 1. Weltkrieg gerecht wird. Dem Genie seines Onkels nicht gewachsen, wurde er trotzdem, schon aufgrund seines berühmten Namens, in ähnlich hohe Armee-Positionen berufen und war dort zum Scheitern verurteilt.
Den Zusammenhang der beiden divergierenden Linien der Moltkes, der militärischen wie der im Widerstand endenden, stifteten, wie erwähnt, die jeweiligen Ehefrauen. Mit Mary Burt fing es an, mit der englischen, aus Südafrika stammenden Dorothy Rose Innes, ging es weiter. Sie war die Mutter von Helmuth James und wird ihm die außerordentliche Fähigkeit zu politischer Klarsicht vermittelt haben. Anlässlich der Vorbereitungen zum 1. Mai 1933, die sie vor Ort beobachtete, schrieb sie:
"Es ist überhaupt eine Offenbarung zu sehen, wie ein Volk hypnotisiert werden kann, gewisse Dinge zu glauben. Es geschieht alles durch Slogans und Suggestion, und nur die Aufgeklärten können sich von diesem Miasma befreien, und selbst ihnen fällt es schwer."
Der Sohn stand ihr in nichts nach:
"Immer wieder bin ich erstaunt, wie sehr alle diese Menschen ihre Orientierung verloren haben. Es ist nicht anders wie beim Blinde-Kuh-Spielen: Sie sind mit verbundenen Augen im Kreise gedreht worden und wissen jetzt nicht mehr, wo rechts und links, vorne und hinten ist."
Thies malt jedoch kein Heiligenbild von Helmuth James. Neben den z.T. prophetischen Äußerungen des Gutsherrn von Kreisau, der auch als verantwortungsvoller Jurist im Oberkommando der Wehrmacht tätig war, werden seine sektiererischen Anwandlungen nicht verschwiegen. Bis zuletzt blieb er ein Gegner des Attentats auf Hitler und vertiefte so den Gegensatz zwischen den Mitgliedern des Kreisauer Kreises und den Männern um Claus von Stauffenberg.
Dieser Dissens kann jedoch den Moltkes nichts anhaben, schon gar nicht diesem mutigen Mann, der den Tod in Plötzensee vor Augen hatte. Ohne die Stütze seiner Frau Freya wiederum hätte er diese Bürde nicht tragen können. Sie war keine Engländerin, sondern Kölnerin und rundete die Serie markanter Frauen der Moltkes mit rheinischem Frohsinn ab.
Freya, die bis zu ihrem Tod im Januar dieses Jahres segensreich im Sinne der Familientradition gewirkt hat, ist der letzte bedeutende Abschnitt des Buches gewidmet. Entwaffnend das Wort, mit dem sie die tragischen Ereignisse von damals resümiert:
"Wir hatten die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir waren vollkommen überzeugt davon, dass wir das Richtige taten – dann mussten wir auch die Folgen tragen. Dieses Niveau des Lebens habe ich später nie wieder erreicht."
Dem Autor ist erneut ein instruktives familiengeschichtliches Werk gelungen. Es darf sich im Übrigen jenen Büchern an die Seite stellen, die in letzter Zeit zur tragenden Rolle der sogenannten "Witwen des 20. Juli" geschrieben wurden.
Jochen Thies: Die Moltkes - Von Königgrätz nach Kreisau
Eine deutsche Familiengeschichte
Piper Verlag, München 2010
"Den Wandel der Moltkes von einer "Militärfamilie" zu einer zutiefst westlich geprägten, nach heutigen Kriterien linksliberalen Familie von Weltbürgern haben Frauen bewirkt. Ohne sie ist der Weg der Moltkes von den Befehlsempfängern der Monarchie in den Widerstand gegen Hitler nicht zu begreifen."
Es stand schon Helmut d. Ä. gut an, Mary Burt, die deutsch-englische Stieftochter einer seiner Schwestern, zu heiraten. Ihre anmutige Erscheinung hat den Feldherrn allerdings nicht vor nationaler Engstirnigkeit bewahrt, die sogar rassistische Züge trug. Ihm war der Sieg 1871 nicht genug. Im Gegensatz zu Bismarck drang er auf einen Präventivkrieg gegen die Franzosen:
"Moltke wollte Frankreich durch eine totale Niederlage in den Status eines nicht mehr bündnisfähigen politischen Außenseiters zurückversetzen, ihm einen Carthagofrieden diktieren. Bismarck dagegen suchte den Ausgleich."
Einem durchschnittlich historisch Gebildeten ist der Extremismus des älteren Moltke kaum bekannt. Merkwürdig, dass dieser lange in der Türkei tätige Offizier, der sich dem dortigen Heer als begabter topografischer Zeichner empfahl, so martialisch war. Dabei kreuzte er im Orient die Wege des Gartenfürsten Pückler und reiste, poetisch gesinnt, auf Goethes Spuren durch Italien.
Nicht zuletzt an solcher Charakterzeichnung lässt sich der Wert dieser Familiengeschichte ermessen, die auch dem Schicksal Helmuts d. J. im 1. Weltkrieg gerecht wird. Dem Genie seines Onkels nicht gewachsen, wurde er trotzdem, schon aufgrund seines berühmten Namens, in ähnlich hohe Armee-Positionen berufen und war dort zum Scheitern verurteilt.
Den Zusammenhang der beiden divergierenden Linien der Moltkes, der militärischen wie der im Widerstand endenden, stifteten, wie erwähnt, die jeweiligen Ehefrauen. Mit Mary Burt fing es an, mit der englischen, aus Südafrika stammenden Dorothy Rose Innes, ging es weiter. Sie war die Mutter von Helmuth James und wird ihm die außerordentliche Fähigkeit zu politischer Klarsicht vermittelt haben. Anlässlich der Vorbereitungen zum 1. Mai 1933, die sie vor Ort beobachtete, schrieb sie:
"Es ist überhaupt eine Offenbarung zu sehen, wie ein Volk hypnotisiert werden kann, gewisse Dinge zu glauben. Es geschieht alles durch Slogans und Suggestion, und nur die Aufgeklärten können sich von diesem Miasma befreien, und selbst ihnen fällt es schwer."
Der Sohn stand ihr in nichts nach:
"Immer wieder bin ich erstaunt, wie sehr alle diese Menschen ihre Orientierung verloren haben. Es ist nicht anders wie beim Blinde-Kuh-Spielen: Sie sind mit verbundenen Augen im Kreise gedreht worden und wissen jetzt nicht mehr, wo rechts und links, vorne und hinten ist."
Thies malt jedoch kein Heiligenbild von Helmuth James. Neben den z.T. prophetischen Äußerungen des Gutsherrn von Kreisau, der auch als verantwortungsvoller Jurist im Oberkommando der Wehrmacht tätig war, werden seine sektiererischen Anwandlungen nicht verschwiegen. Bis zuletzt blieb er ein Gegner des Attentats auf Hitler und vertiefte so den Gegensatz zwischen den Mitgliedern des Kreisauer Kreises und den Männern um Claus von Stauffenberg.
Dieser Dissens kann jedoch den Moltkes nichts anhaben, schon gar nicht diesem mutigen Mann, der den Tod in Plötzensee vor Augen hatte. Ohne die Stütze seiner Frau Freya wiederum hätte er diese Bürde nicht tragen können. Sie war keine Engländerin, sondern Kölnerin und rundete die Serie markanter Frauen der Moltkes mit rheinischem Frohsinn ab.
Freya, die bis zu ihrem Tod im Januar dieses Jahres segensreich im Sinne der Familientradition gewirkt hat, ist der letzte bedeutende Abschnitt des Buches gewidmet. Entwaffnend das Wort, mit dem sie die tragischen Ereignisse von damals resümiert:
"Wir hatten die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir waren vollkommen überzeugt davon, dass wir das Richtige taten – dann mussten wir auch die Folgen tragen. Dieses Niveau des Lebens habe ich später nie wieder erreicht."
Dem Autor ist erneut ein instruktives familiengeschichtliches Werk gelungen. Es darf sich im Übrigen jenen Büchern an die Seite stellen, die in letzter Zeit zur tragenden Rolle der sogenannten "Witwen des 20. Juli" geschrieben wurden.
Jochen Thies: Die Moltkes - Von Königgrätz nach Kreisau
Eine deutsche Familiengeschichte
Piper Verlag, München 2010

Cover "Eine deutsche Familiengeschichte" von Jochen Thies© Piper Verlag, München