Die Träume der Sexpuppen

Ein Ehepaar versüßt sich das Geschlechtsleben mit zwei tüchtigen Robotern. Aber bald entwickeln die Liebesdiener mehr Interesse an ihresgleichen. In der heiteren Schauergeschichte des Spaniers Javier Tomeo haben Maschinen echte Gefühle.
Produkte aller Art werden ständig weiterentwickelt. Das ist eine banale Tatsache, die jedes Kind erfährt, spätestens wenn die nächste Generation eines Computerspiels auf den Markt kommt. Die große Selbstverständlichkeit, mit der wir Fortschritt in praktisch allen technischen Bereichen des Alltags voraussetzen, ist kaum zu erschüttern. Wie aber könnte das aussehen, schaut man in etwas abseitigere Regionen, zum Beispiel auf den Markt jener aufblasbaren Gummipuppen, die in Sexshops angeboten werden?

In Javier Tomeos kleinem Roman "Die Silikonliebhaber" hat auch hier der Fortschritt sein Werk getan, und wie! Denn nicht nur die äußeren Materialien wurden verfeinert, vor allem die Fertigkeiten wie Stellungsspiel und Kusstechnik wurden weiter perfektioniert. Modernste Batterien sorgen für die richtige "Körper"-temperatur, einstellbare Oberweiten oder Härtegrade gehören zur Grundausstattung, raffinierte Chips und entsprechende Tonmodule sorgen nicht nur für beinahe menschliche Begleitgeräusche beim Eigentlichen, vielmehr kann man sich bei Bedarf und je nach Neigung auch eine Opernarie oder einen poetisch-philosophischen Text rezitieren lassen. Ein elektronisches Speichersystem macht diese Hightech-Puppen sogar "lernfähig", je länger sie in Gebrauch sind, umso besser passen sie sich den Vorlieben und Gewohnheiten ihrer Nutzer an.

Und so sind denn Basilio und Lupercia, ein alterndes Ehepaar, das einen Dessousladen betreibt und zwischen dem seit Jahren keine körperlichen Funken mehr sprühen wollen, mit ihren Erwerbungen der Modellreihen "Marilyn" beziehungsweise "Big John" auch sehr zufrieden, bis die Katastrophe ausbricht. Denn es zeigt sich, dass der Traum heutiger Androidenrobotiker, die künstlichen Wesen könnten Gefühle entwickeln oder überzeugend simulieren, in Tomeos Roman Wirklichkeit geworden ist. Als das Ehepaar eines schönen Nachmittags nach Hause zurückkehrt, ertappt es seine beiden Gummipuppen in flagranti auf dem Sofa!

Und die bringen es auch noch fertig, sich zu rechtfertigen auf eine Weise, die für ihre Besitzer wenig schmeichelhaft ist. Natürlich muss da gehandelt werden, und zwar wirkungsvoll: Dunkelkammerhaft im Wandschrank ist noch die harmlosere Strafe, Puppenmord durch brutales Luftablassen die drastische. Aber wohin nur mit den gelegentlichen Bedürfnissen, wenn am Ende sogar die Gummipuppen eine Gefühlswelt entstehen lassen? Und: Wird es Marilyn und Big John gelingen, ihre luftige Liebe doch noch auszuleben?

Javier Tomeo, der Altmeister des skurrilen Humors, findet tatsächlich überzeugende Antworten auf diese Fragen. "Die Silikonliebhaber" ist eine heitere Schauergeschichte aus einer Zukunft, die längst begonnen hat, und daher auch als Satire auf eine Gesellschaft zu lesen, die das Sexuelle immer mehr ausstellt, aber immer weniger praktiziert. Wie Tomeo es dabei auch noch schafft, über das Verfassen von Literatur zu räsonieren, das macht diesen Roman zu einem Schmuckstück in der Werkliste dieses Autors.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Javier Tomeo: "Die Silikonliebhaber". Roman
Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010
145 Seiten, 16,90 Euro
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