Einsamkeit in höchst skurrilen Ausprägungen

Spielarten der Einsamkeit – als solche könnte man sämtliche Texte des spanischen Erzählers Javier Tomeo bezeichnen. Das urbane Individuum als ein Austragungsort der Stürme der Verlorenheit – es ist das zentrale Motiv der Prosa dieses Autors. Das klingt traurig, wenn nicht gar depressiv, und doch übertreibt man nicht, wenn man Tomeo als einen geradezu humoristischen Autor bezeichnet.
Denn nicht das triefige Ausstellen des Leidens am Alleinsein ist die Sache Tomeos, sondern die sarkastisch-groteske Überhöhung. Die Einsamkeit seiner Figuren nimmt jeweils höchst skurrile Ausprägungen an: Eine Art halluzinierender Verstiegenheit führt sie zu einer Weltwahrnehmung, die von der Norm des Normalen gerade so weit entfernt ist, dass die Verrückungen in den Köpfen der Figuren beträchtlich, ihre äußeren Handlungen aber gerade noch als normal hinnehmbar sind.

Wenn also in einer der hier versammelten Erzählungen ein reifer Mann einen verregneten Urlaub am Meer verlebt, dann bleibt äußerlich alles im Rahmen des Üblichen: die Monotonie eines Urlauberkaffs mit den wenigen Gängen, die man unternehmen kann, mit den wenigen Begegnungen zwischen Pension und Bar, Marktplatz und Laden, die man haben kann. Aber die wahren Turbulenzen enthüllt dieser als Tagebuch abgefasste Monolog als Protokoll eines Verfolgungswahns.

Jener auf den ersten Blick vielleicht geruhsame Urlauber sieht sich all-überall Nachstellungen ausgesetzt. Die Pensionswirtin hat es auf ihn abgesehen, sein Essen wird nirgends gesalzen – auch dies ein Teil der Verschwörung –, der rätselhafte Franzose vom Nachbartisch der Bar ist womöglich von Marsmenschen gekidnappt worden, und die freundlichen Italiener aus der Pension ent-puppen sich als heimtückische Schinkenräuber!

In der Titelerzählung nimmt der Held das postmoderne Gefühl der multiplen Identität derart ernst, dass er sich in einem riesigen Hotel einmietet, um alle Facetten dieser Mehrfach-Identität auch auszuleben. Beständig ist er dabei, sich zu verkleiden, in andere Rollen zu schlüpfen, seine Rechnungen mit falschen Namen zu unterschreiben, seine Spuren zu verwischen, als müsse er sich verstecken vor seinen Verfolgern.

Die aber existieren nicht, und alle Verwirrung, die der Mann stiftet oder doch zu stiften meint, hat recht eigentlich auch nichts mit einer Flucht zu tun. Vielmehr hofft er, die verstreute Wahrheit seiner Persönlichkeit auf diese Weise wieder zusammensetzen zu können. Die Ernsthaftigkeit seines absurden Bemühens erzeugt auch hier jene Komik, die für Tomeo so charakteristisch ist. Sie speist sich nicht zuletzt aus dem Stil, in dem dieser Autor seine Arrangements entfaltet.

Immer zeichnet er höchst realistische Konstellationen, an denen zunächst nichts Ungewöhnliches zu bemerken ist. Ihren abgründigen, manchmal geradezu surrealen Gehalt offenbaren diese Situationen erst allmählich, wenn sich dem Leser Stück für Stück das Gedankengebäude enthüllt, in dem Tomeos Figuren wie in einem Käfig ihre Kreise ziehen.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski


Javier Tomeo: Hotel der verlorenen Schritte
Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007, 96 Seiten mit Zeichnungen des Autors, 13,90 Euro