Die Technisierung der Alpen

Der gekaufte Winter

Ein Snowboardfahrer in einem Skigebiet.
Teures Vergnügen: Jedes Jahr werden im Skigebiet Garmisch classic 2 bis 3,5 Millionen Euro für Kunstschnee ausgegeben (Symbolfoto). © Johannes Waibel / Unsplash
Von Günther Wessel · 31.12.2017
Feiner, pulvriger Schnee, am besten schon ab November. Der Preis für diesen Pistentraum ist hoch. Längst durchlöchern Rohre, Strom und Datenleitungen für Schneekanonen die Alpen. Gemeinden zahlen Millionen, Naturschützer fordern ein Ende der Spirale.
Florian Achner ist mittelgroß, jung, sportlich. Er trägt eine dicke schwarze Jacke mit dem Logo der Zugspitzbahn und seinem Namen, eine wasserfeste Hose, Schnürstiefel, eine rot-weiße Mütze und ein gewinnendes Lächeln. Er könnte auch Skilehrer statt Betriebsleiter der Zugspitzbahn sein.
Der Hausberg von Garmisch-Partenkirchen heißt auch Hausberg. Er misst 1335 Meter, überragt die Gemeinde um mehr als 600 Meter. Hier lagen einst die Almen der Stadt, und hier erstreckte sich der städtische Forst. Lief man im Tal auf den riesigen Parkplätzen vor der Bergbahn noch über Schotter und Asphalt, so stapft man hier, nein man tritt hier auf festes Weiß. Schnee, Schnee, wohin man blickt.
"Und das worüber wir jetzt laufen. Ist das natürlich da hingeschneit oder Kunstschnee?"
"Das hier ist großteils Kunstschnee, mit 20 oder 30 Prozent natürlichem Schnee. Grundsätzlich: Die Beschneizeit beginnt am 15. November. Ist vom Landratsamt so festgelegt. Vorher dürfen wir nicht. Und sie endet am 1. März."
"Und wie funktioniert das?"
"Also grundsätzlich benötigt man mal kalte Temperaturen."
"Das heißt wie kalt muss es sein?"
"Das heißt, abhängig von der Luftfeuchtigkeit. Also beginnen tun wir bei minus zweieinhalb Grad. Dann können wir beschneien. Und so richtig effektiv – also bei normaler Temperatur gemessen, ist es wenn man sagt, man hat vielleicht 40 Prozent Luftfeuchtigkeit und minus fünf Grad und das Wasser, was kommt, auch ein Grad. Dann ist es richtig effektiv."

Strom und Wasser dank unterirdischer Hydranten

Florian Achner stapft auf einen Liftmast zu. Dort fährt eine Schneeraupe umher. Die zieht ein Gerät mit einer großen Röhre, das ein bisschen wie eine Betonmischmaschine oder wie die Düse eines Flugzeuges, auf ein Gestell geschraubt, aussieht, hinter sich her. Eine Schneekanone, die gerade neu installiert wird. Am Hausberg gibt es überwiegend bewegliche Schneekanonen. Die werden nach Bedarf installiert, dort, wo man den Schnee braucht und dort, wo die passenden Leitungen liegen.
Florian Achner auf der Bergstation der Zugspitzbahn
Florian Achner ist Betriebsleiter bei der Bayerischen Zugspitzbahn© Günther Wessel
"Da sind unter der Erde Hydranten verbaut, mit Stromanschluss plus Wasser. Und dann werden die angesteckt und ja, dann kann man starten."
"Und wo startet man die Dinger? Startet man die jeweils an der Schneekanone? Muss da jemand stehen?"
"Na, die, die schalten automatisch ein. Da wird vorprogrammiert. Die messen praktisch die Temperatur und checken die Bedingungen, obs die Bedingungen reichen zum Beschneien und dann schalten sie automatisch ein."
Neben einem Liftmast befindet sich im vom Schnee freigelegten Erdreich eine Klappe. Darunter ein betonierter Schacht, teilweise mit Wasser vollgelaufen. Im trockenen Teil enden drei dicke Leitungen:
"Die ganze Computersteuerung, praktisch, das jede Kanone extra hochgesteuert wird, Wasserversorgung und Stromabnahme."
Zu sehen sind ein gelbes Rohr für Wasser, eine schwarze Leitung für Strom, eine dritte mit einem Klemmstecker, ebenfalls schwarz, zur Datenübertragung. Die wird gerade gesäubert und dann eingeklickt.

Drei Millionen Euro für Kunstschnee

Etwa 600.000 Kubikmeter Kunstschnee werden im Skigebiet Garmisch classic im Jahr mindestens auf die Pisten gebracht. Damit lassen sich etwa 150 bis 200 Hektar beschneien – also etwa 350-400 Fußballfelder 30 Zentimeter hoch mit gepresstem Schnee bedecken. In schneearmen Wintern braucht man mehr Kunstschnee, in schneereichen weniger. Das kostet. Etwa 3-6 Euro kalkuliert man für den Kubikmeter Schnee, was insgesamt zwischen 2 und 3,5 Millionen Euro macht.
Und noch mehr Zahlen aus Garmisch: Elf Pistenraupen verteilen die Schneemassen. Große und kleine. Die großen sind echte Brummer: 400 PS, dazu noch eine Seilwinde, damit sie sich zur Not die steilsten Abhänge selbst hochziehen können. Kostenpunkt pro Stück: etwa 370.000 Euro. Die Schneekanonen kosten mindestens 27.000 Euro pro Stück, etwa 100 davon sind im Skigebiet Garmisch classic im Einsatz.
Dazu 70 sogenannte Schneelanzen, die wie riesige Duschen aussehen: Deren Stückpreis liegt bei etwa 15.000 Euro.
Im Idealfall kommt man in Garmisch mit einer Grundbeschneiung aus.
"Vereinzelt wird dann noch mal nachbeschneit, wenn man einzelne Stellen hat, die ärmer werden, aber sonst die Grundbeschneiung und dann läufts eigentlich."
"Wird das kontinuierlich nachgemessen, dann?"
"Ja, wir haben in den Raupen drin ein Schneehöhenmesssystem, da ist praktisch der ganze Hang abgenommen, mit GPS, und die misst praktisch wieviel höher steht die Raupe, wenn sie über den Schnee fährt. Dann nimmt sie das Profil auf, da ist ein Bildschirm mit drin, der signalisiert das dann per Farben, rot, blau, grün, und den Farben sind praktisch Schneehöhen hinterlegt, und da weiß der Fahrer, ha, unter mir befinden sich jetzt ein halber Meter Schnee oder nur 20 Zentimeter oder nur 5, und da weiß er, wo er den Schnee nachbessern muss."
Höchst effektiv. Frau Holle überlässt hier nichts dem Zufall. Computergesteuerte Schneekanonen, Pistenraupen, die die Schneedicke messen.

Schnee auf Knopfdruck - oder voll automatisch

Florian Achner öffnet die Tür des Gebäudes, in dem die Technik der Bergbahn untergebracht ist. Und dann in einem Keller die nicht geheime Kommandozentrale: Dort sitzt ein Mann mit Brille in blauer Arbeitshose und kariertem Hemd und guckt konzentriert auf vier Bildschirme gleichzeitig, vor sich ein Funkgerät, neben sich ein Telefon.
Auf einem Bildschirm ist eine Luftaufnahme des Skigebiets zu sehen. Auf Knopfdruck schneit es – wenn er will auch vollautomisch, sobald die Temperaturen niedrig genug sind. Doch manchmal erledigt das auch die Natur.
Ein Mitarbeiter der Beschneiungszentrale in Garmisch-Partenkirchen sitzt vor mehreren Bildschirmen
Die Beschneiungszentrale in Garmisch-Partenkirchen© Günther Wessel
Hinter Schliersee steigt die Landstraße steil an. Dicht wirbeln nasse Schneeflocken. Auf der 1127 Meter hohen Passhöhe des Spitzingsattel ist die Schneedecke geschlossen, auch an der Talstation der Stumpflingbahn. Die Bahn selbst ist noch außer Betrieb – Revision, Vorbereitung der Wintersaison.
Am Hang sind zwei rote Schneeraupen unterwegs. PS- und lautstark wühlen sie sich wie urzeitliche Tiere durch das Weiß und schieben die Schneemassen umher – Schneemassen erzeugt von Schneekanonen auf hohen Pfosten, vermischt mit natürlichem.
Im Büro der Stumpflingbahn sitzt Peter Lorenz lächelnd an seinem Computer.
"Ich bin Betriebsleiter und Geschäftsführer von den Alpenbahnen Spitzingsee, von der Wallbergbahn und der Braunegg-Bergbahn in Lengrieß."
Peter Lorenz, 63 Jahre alt, Brille, ist darüber hinaus noch Vizepräsident des Verbandes Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte. Ein recht reger Verband, zumindest in Bayern – immerhin fördert die Bayerische Staatsregierung bei kleinen und mittleren Unternehmen Um- und Neubauten an Seilbahnen mit bis zu 35 Prozent der Gesamtsumme.
"Wir beschneien, damit wir halt die Kernzeiten wie Weihnachten und Fasching und zu bestimmten Zeiten den Skibetrieb sichern können."
Schneesicherheit ist das Stichwort. Die wie in Garmisch vollautomatisch hergestellt wird. Anders als dort sind die Schneekanonen am Spitzingsee fast alle fest montiert, aber sie sind alle wie dort auch über das Leitsystem zu erreichen. Mit jedem internettauglichen Gerät, über die IP-Adresse und das richtige Passwort.
Es dauert einen Moment, dann baut sich das Bild der Piste auf Peter Lorenz Computer auf. Auch hier die Schneekanonen, die man per Mausklick starten kann, auch hier die Temperaturen dazu, auch hier die Pumpstation – sprich der Speichersee, aus dem das Wasser für die Schneerzeugung kommt.
"Also heuer haben wir schon 37.000 Kubikmeter Wasser verschneit."
Daraus macht man ungefähr 26.000-30.000 Kubikmeter Schnee, genug für einen Hektar oder zwei Fußballfelder.

Der Kunde will keine Buckel und Pulverschnee

"Die Leute sind heutzutage sehr anspruchsvoll, was die Pistenqualität anbelangt. Am liebsten ists, wenn es ganz brettleben ist, keine Buckel drinne, und am besten dann noch ein schöner Pulverschnee, das wäre am liebsten und da kann man natürlich. Am Abend ist ja die Piste zerfahren, da fahren dann unsere Pistenraupen, die das dann wieder glattmachen und hinten mit einer Fräse verdichten, dass man in der früh, am Morgen dann einen schönen Teppich hat, wo man dann drauf fahren kann."
Schneesicherheit und gut präparierte Pisten. Dafür braucht man am besten entweder 60 Zentimeter Naturschnee, den man verdichten kann, oder 30 Zentimeter Maschinenschnee. Und so schieben die Raupen dieselqualmend den Schnee eben umher, mit einem Verbrauch von 30 Litern Diesel in der Stunde, drücken ihn platt und fest zusammen, damit er nicht so schnell schmilzt falls es wieder wärmer wird.
Drei Schneeraupen im Einsatz
Scheeraupen im Einsatz © Günther Wessel
Zumindest im Tal, 500 Meter tiefer ist es das. Matsch auf der Straße, ein dünner weißer Film auf den Feldern, Schneeregen – ein Grad Celsius, die Wolken hängen schwer, nass und tief im Tal. Vier Kilometer vor Bad Tölz zwei große Parkplätze an der Bundesstraße. Ein Schild: Blombergbahn. Nebelsuppe, der Gipfel des Blomberges ist nicht zu sehen, die Drahtstränge einer Seilbahn verlieren sich irgendwo im weißen Nichts.
Hans Zintel, 90 Jahre, schwarzer Gehstock, bayerisch-trachtenmäßig angehauchte Jacke, weiße, schüttere Haare, eine Brille mit gelblich getönten Gläsern, die die wachen blaugrauen Augen etwas verdecken. Meist lächelnd. Seine Frau, elegant, spontan, mitunter unterbricht sie ihn.
Zintel ist ein geübter Erzähler mit leichtem Berliner Akzent. Denn daher stammt der ehemalige Schausteller, der dort in den 1950er und 60er Jahren sein Geld mit Buden, Fahrgeschäften und gastronomischen Betrieben, Bier- und Imbissständen verdiente. Ende der Sechziger-Jahre fasst er aber den Entschluss, mit einem Kompagnon zusammen, einen Seilbahnbetrieb auf dem Bad Tölzer Hausberg, dem Blomberg, zu eröffnen.
Das Geschäft lief nicht gut, denn pünktlich zur Eröffnung 1971 wurden die Winter milder: Der Schnee blieb aus, Zintels Teilhaber stieg aus, die Bahn stand vor dem Konkurs, aber Zintel erinnerte sich an Zeiten in Berlin – an den Teufelsberg, den mit 120 Metern zweithöchsten Berg Berlins, aufgeschüttet nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Trümmern der zerstörten Stadt.
"Und da haben wir am Teufelsberg in den fuffziger Jahren ein Zelt hingestellt und ein Rostbratwurststand und haben dort im Winter die Gastronomie vollzogen. Da war natürlich ein Riesenbetrieb und da kam dann auch auf einmal die Feuerwehr und auf einmal wurde da Kunstschnee gemacht."

Bayerns erste Schneekanone

Zintel war und ist Pragmatiker: Gibt es keinen echten Schnee, muss der halt gemacht werden. Er setzte sich mit einer amerikanischen Firma in Verbindung, die Apparaturen für Kunstschnee herstellte. Und das 1974. In Bayern war er damals der erste.
So wurde dann der 1248 Meter hohe Blomberg vom Tal aufwärts bis zur Mittelstation auf etwa 1000 Meter Höhe beschneit. Drüber lag meist genug natürliches Weiß. Der Skihang wurde aufgebuddelt, der Bach im Tal angezapft, es wurden Luft- und Wasserrohre verlegt.
Irgendwann reichten die ersten Schneekanonen nicht mehr, sie produzierten zu wenig und zu langsam. Andere Skigebiete hatten nachgezogen, sie besaßen mehr, bessere und neuere Beschneiungsanlagen. Die Konkurrenz um den Urlauber war groß. Man musste was tun.
"Da haben wir neue Kanonen gekauft, für 700 000 D-Mark, waren das damals noch. Die funktionierten dann auch so weit gut. Aber im Laufe der Zeit kam dann eben die Erwärmung, und wir haben dann vor ungefähr sechs Jahren haben wir dann gemerkt, wir kommen da nicht mehr nach. Es ist zu warm geworden, dass wir also den Schnee gar nicht schießen konnten, den wir benötigen."
Eine Schneekanone am Pistenrand
Eine mobile Schneekanone © Günther Wessel
Er wirkt nicht traurig, wenn er erzählt, dass sie dann ausgestiegen sind. Dass die Beschneiung der Skipiste viel zu teuer wurde und sie deshalb ihre Schneekanonen nur noch nutzen, um die Rodelbahn, wenn nötig, zu beschneien. Auf dem Skihang wird nur noch abgefahren, wenn genug Schnee vom Himmel fällt.
Andere Orte werben hingegen mit Schneesicherheit auf ihren Pisten.
"Ab der Wintersaison 2017 beschert eine neue Beschneiungstechnik beste Wintersportbedingungen", verspricht die 90 Kilometer entfernte Gemeinde Pfronten im Ostallgäu auf ihrer Webseite.
In einem kleinen Besprechungszimmer des Rathauses sitzt Michaela Waldmann, 49 Jahre, seit 2013 hauptamtliche Bürgermeisterin des Luftkurortes. Schwarze Haare, resolut und zupackend, auch im Umgang mit Anfragen: auf Mails antwortet sie innerhalb von Minuten. Sie ist mit ihrem Ipad bewaffnet, auf dem sie in Windeseile die neuesten Statistiken zur Gemeinde hervorzaubert.
Neben ihr sitzt im schwarzen Pullover Bernd Trinkner, der für alle touristischen und Freizeiteinrichtungen der Gemeinde Pfronten verantwortlich ist.
Investiert hat die Gemeinde in diesem Jahr viel: 4,5 Millionen zur – wie Bernd Trinkner sagt – Ertüchtigung des bestehenden Skizentrum. 4,5 Millionen für den Bau neuer Leitungen und anderer Infrastruktur – auch die Anschaffung von 20 neuen Schneekanonen.

Jeder Pistentag zählt

Der große Unterschied zwischen der alten und der neuen Beschneiungsanlage: Fünf bis sieben Tage. Brauchte man in den letzten Jahren etwa zehn Tage, um die Pisten sicher zu beschneien, hofft man nun, dass es in drei, maximal fünf Tagen geschafft wird. Denn ab dem 15. November, dem ersten Tag, an dem beschneit werden darf, läuft der Countdown. Wie viele Frostnächte gibt es bis zum Heiligen Abend? Bekommen wir die Piste in weihnachtliches Weiß getaucht?
Denn es gibt zwei Regeln für eine erfolgreiche Wintersportsaison: Weihnachten muss gut gebucht sein. Und die sogenannte 100-Tage-Regel, manchmal inzwischen auch 80-bis-100-Tage-Regel:
"Man rechnet im Jahr, so in den unteren Lagen, so mit ca. 80 Betriebstagen, damit man auch auf eine schwarze Null oder auf schwarze Zahlen kommen kann. Des ist die Voraussetzung. Und das schafft man nur, wenn man eine schlagkräftige Beschneiung hat, wenn man auch kurzfristig mal zwischendurch nachbeschneien kann und effektiv nachbeschneien kann."
Viereinhalb Millionen Euro Investition. Keine Landeszuschüsse. Viereinhalb Millionen bei einem Gesamtetat von 28 Millionen. Ist das viel? Ist das zu viel? Rechnet sich das irgendwie? Für Michaela Waldmann schon, schließlich generiere man damit auch Einkünfte der Pensionen und Hotels, der Gastronomen und Einzelhändler oder Outdooranbieter. Und damit auch Steuereinnahmen der Gemeinde. Die Kernfrage sei doch schließlich:
"Für welchen Zeitraum betrachtet man solche Investitionen? Reden wir davon, was wir in 50 Jahren vielleicht für Bedingungen haben oder reden wir jetzt von einem Zeitraum bis beispielsweise 2030, was sehr viele Skigebiete tun. Zu sagen: Gut, wie wird wie sich die klimatische Situation im Alpenraum in den nächsten 15, 20 Jahren entwickelt. Die Prognosen gibts, die sind solide, die hat man in die Überlegungen mit einbezogen, aber die Frage ist schlichtweg: Machen wir an der Stelle einen Cut und lassen diesen Skibetrieb bleiben oder leisten wir uns für eine gewisse Zeit eine Ergänzung im Sinne der technischen Beschneiung?"
Der Ex-Berliner und Tölzer Schneekanonen-Pionier Hans Zintel hat genau diesen Cut gemacht, Peter Lorenz lässt am Spitzingsee die Pistenraupen und Schneekanonen weiter arbeiten, Florian Achner in Garmisch-Partenkirchen genauso. Was den ebenfalls dort lebenden Axel Doering erzürnt.
Er steht am Ende der Kandahar-Abfahrt, der berühmten Skiweltcup-Piste, und stapft mit seinen Stiefeln in den Schnee.
"Wir stehen hier auf Schnee. Man stellt sich unter Kunstschnee immer was, immer was flockiges, sanftes vor. Des ist hart und eckig und kantig."
"Das sind keine Flocken?"
"Das sind Eiskristalle."

Naturschützer fordert Ende der Technisierung

Axel Doering ist 70 Jahre alt, trägt eine braune Hose, eine braune Jacke und ein grünbraunes Hemd und sieht aus wie ein pensionierter Förster – was er auch ist. Er saß auch lange Jahre für die SPD im Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen, ist Vorsitzender des Bundes Naturschutz dort und war eine der treibenden Kräfte der Nolympia-Bewegung, die erfolgreich gegen die Bewerbung bayerischer Städte und Gemeinden opponierte. Er hat einen langen Atem und denkt in größeren Zeitabschnitten.
"Vor 45 Jahren hatte wir hier eine Jahresdurchschnittstemperatur, die gut eineinhalb Grad niedriger war als heute."
Der Deutsche Alpenverein hat schon 2013 eine Studie zur Schneesicherheit in Zeiten des Klimawandels veröffentlicht. Demnach sind bei einem Temperaturanstieg von 2 Grad knapp zwei Drittel aller Skigebiete in den deutschen Alpen auch mit künstlicher Beschneiung nicht mehr 100 Tage schneesicher, zur Weihnachtszeit sind es dann sogar nur 13 Prozent, die dank Natur- und Kunstschnee sicher ein Pistenvergnügen versprechen können.
In dieser Saison sieht es allerdings gut aus. Natürlicher Schnee ist schon da, auch die Schneekanonen sind im Tal schon gelaufen. Doch während Naturschnee am besten bei minus zwei Grad fällt, muss es für Kunstschnee ja kälter sein. War es aber nicht lange genug.
Der Naturschützer Axel Doering vor einer Bergkulisse
Der Naturschützer Axel Doering© Günther Wessel
Axel Doering ist ein freundlicher, oft gut gelaunter Mensch, der gern lacht. Das merkt man und sieht es seinen Falten an. Aber geht man mit ihm über eine Skipiste, auf der Schneekanonen stehen, ist das seiner Laune nicht zuträglich. 64 Millionen Euro hat die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen seit dem Jahr 2000 ungefähr in den Wintersport gesteckt.
"Nur die Frage ist: Ist es ein Benefit für den Ort? Und da hab ich meine Zweifel."
Am heimischen Computer in seinem penibel aufgeräumten Arbeitszimmer hat er die Veränderung ganzer Berge dokumentiert. In Bildstrecken, die Berghänge vor, während und nach dem Umbau zur Skipiste zeigen.
"Das ist der Gudiberg, da hat man eine Beschneiungsanlage gehabt und dann hat die nicht mehr genügt, dann hat man eine zweite daneben gebaut. Und da sehen Sie mal, was da für Rohrleitungen eingebaut werden."
Keine kleinen Wasserohre mit zehn oder zwölf Zentimetern Durchmesser, sondern mit gut 50 oder 60 Zentimetern, von denen die schmaleren zu den Hydranten, an die dann die Schneekanonen angeschlossen werden, abzweigen. Rohre vom Speichersee nach unten und Rohre zum Speicherbecken hinauf – denn wenn dessen Wasservorräte nach der Grundbeschneiung erschöpft sind, wird frisches Nass aus Bächen und Flüssen im Tal hinaufgepumpt.
Minimalinvasiv sind solche Eingriffe nicht, zumal dabei meist auch die Pisten planiert werden, da man auf solchen ohne Buckel und Löcher weniger Schnee für die Grundbeschneiung braucht.
Axel Doering wirkt nicht verbittert oder frustriert. Eher kämpferisch, aber auch besorgt über die Veränderung, die der technisierte Wintersport mit sich brachte.
"Ich war 40 Jahre, über 40 Jahre der Förster genau in diesem Gebiet. Und ich hab diese Landschaftsveränderung mitgekriegt und ich hab leider immer wieder feststellen müssen, dass es kein Ende dieser Spirale gibt bisher."
Der Spirale aus Technik, Bauen und Vergrößern. Dass immer mehr gebaut wird, dass immer mehr Pisten entstehen, mehr Lifte, mehr Speicherseen, dass mehr Rohre und Leitungen verlegt werden – einfach die Berge mehr und mehr umgebaut werden.
"Und dass man nicht sagt, wir haben jetzt einen Klimawandel, der uns diesen Winter immer mehr nimmt, und wir schauen jetzt, dass wir jetzt, dass wir das pflegen, was wir haben und überlegen uns was anderes, sondern man versucht, das immer wieder zu vergrößern. Und so funktioniert meiner Ansicht nach ein großer, verschleppter Konkurs."
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