Die Tafeln haben ein Nachwuchsproblem

Von Ute Welty · 21.05.2013
Seit 20 Jahren gibt es die Tafeln - Vereine, die Lebensmittel an bedürftige Menschen verteilen. Derzeit stehen sie heftig in der Kritik. Der Vorwurf: Sie helfen, den Staat bei der Betreuung der Armen aus der Verantwortung zu entlassen. Welche Motivation haben die dort ehrenamtlich Tätigen?
Die Laune ist ebenso gut, wie der Tag schon lang. Seit kurz vor sieben sind Olaf und Axel Rachow im Auftrag der Bernauer Tafel unterwegs. Den Zwillingen sieht man an, dass sie viel Zeit im Sportstudio verbringen. Muskeln, die sie jetzt gut brauchen können. Olaf und Axel haben bereits ordentlich geschleppt und die unverkaufte Ware aus den Supermärkten der Umgebung abgeholt. Hinten im Transporter stapeln sich hüfthoch grüne Klappkisten mit Erdbeeren, Majoran und Räucherlachs. Reste der Überflussgesellschaft.

"Das ist ja an sich nicht weggeschmissen. Aber wo man dann wirklich gute Lebensmittel sieht, die an sich, ohne uns, auf den Müll kommen würden, dann ist es schon echt pure Verschwendung. Im Endeffekt zahlt der Verbraucher das ja mit, diese Mehrkosten. Die kriegen das ja auch nicht umsonst."

Olaf und Axel steuern den nächsten Supermarkt an. Man kennt sich, ein kurzes Winken zum Gruß. Die Ware steht schon auf der Laderampe bereit.

"Hier sind's grad Bohnen und - ich glaube, das ist ein Riesenkohlrabi. Nachher dann noch Brot. Und Senfgurken sind auch dabei."

Über ihr Studium sind Olaf und Axel zur Tafel gekommen. Beide lassen sich in Eberswalde zu Unternehmensmanagern ausbilden. Die Prüfungsaufgabe aus dem letzten Jahr gibt den Anstoß: Sie müssen einen Bericht über eine soziale Einrichtung schreiben, über deren Funktion, Arbeitsweise und Effektivität. Aus der Theorie wird Praxis. Seitdem sind die beiden 22-Jährigen ohne Bezahlung dabei. Und versuchen, Ordnung zu halten.

"Hier fülle ich halt Lieferscheine von der Tafel aus: der Supermarkt, der entsprechende, dann der Empfänger - das sind wir. Und dann trage ich da halt ein, wie viele Kisten, Liter, Backwaren, Obst und Gemüse. Dass man einen Überblick hat. Wird schön unterschrieben, in bester Handschrift."

Die Bernauer Tafel, für die Olaf und Axel unterwegs sind, arbeitet selbstständig. Unterstützung kommt vom Bundesverband in Berlin. Hier laufen die organisatorischen Fäden zusammen.

"Bundesverband Deutsche Tafeln , Karoline Schulte, guten Morgen!"

Kritik an der Bewegung
Auch Karoline Schulte gehört wie Olaf und Axel zu denen, die man bei der Tafel gern sieht: Zu den jungen Engagierten. Karoline ist Mitte 20, lange dunkelblonde Haare, ein freundliches Lächeln. Sie hat sich um ein Praktikum im Bundesverband bemüht, weil sie mehr wissen will über Sponsorenkontakte und Öffentlichkeitsarbeit. Im Bundesverband erlebt Karoline auch, wie massiv die Kritik an der Tafelbewegung im 20. Jahr des Bestehens ausfällt. Die Tafeln würden Armut verfestigen, die Menschen beschämen und könnten als einzigen Erfolg die eigene Existenz vorweisen. Karoline lässt davon nicht beirren:

"Auf der einen Seite kann man es natürlich verstehen, dass die Leute sagen: 'Es ist eigentlich Aufgabe des Staates.' Auf der anderen Seite machen sie es sich zu leicht, wenn sie sagen: 'Ja, weg mit den Tafeln!' Klar, es wäre schöner, wenn es die Tafeln nicht geben müsste. Und wenn jeder genug hätte."

Karoline wendet sich wieder ihrem Text für den Jahresbericht zu. Im Laufe des Tages wird sie noch ein kleines Dankeschön-Buffet für Spender und Sponsoren vorbereiten. Das tut sie gern, denn: Ehrenamt gehört für sie seit langem dazu.


"Ich habe früher beim Kindergottesdienst ausgeholfen, dann bei Ferienfreizeiten der Diakonie, und es gab immer irgendwas. Manchmal eben auch in den Ferien, je nachdem, wie's mit der Schule war. Aber es war eigentlich immer irgendein Projekt so in greifbarer Nähe, wo man sich dann engagieren konnte."

Sich engagieren - für Karoline selbstverständlich, auch ohne ein Angebot wie das des Bundesfreiwilligendienstes. Wer zum Beispiel die Zeit zwischen Schule und Job sinnvoll nutzen will, kann über den BFD seinen Teil zum Allgemeinwohl beitragen. Von dieser noch recht neuen Möglichkeit wollen die Tafeln profitieren. Deswegen hat Jochen Brühl sein Büro im Bundesverband gegen den Seminarraum eines Berliner Hotels getauscht und informiert rund 30 Interessierte über die Tafelarbeit.

""Wir können sagen, wir unterstützen bei der Armutslinderung. Wir fördern ehrenamtliches Engagement. Und wir haben einen Satz, in dem alles abgebildet ist, was wir machen: Wir geben Lebensmittel an bedürftige Menschen. Das ist so kurz wie gut."

Ehrenamt und Generationswechsel
Der 47-Jährige mit den Bikerboots hat die Tafel in Ludwigsburg mit aufgebaut. Seit 2007 ist er im Vorstand, kandidiert demnächst für die Position des Vorsitzenden. Auch ein Ehrenamt und auch eine Art Generationswechsel. Der bisherige Vorsitzende Gerd Häuser scheidet mit 65 aus dem Amt. Brühl weiß: Die Tafeln haben ein Nachwuchsproblem. Menschen wie Olaf und Axel, die Zwillinge aus Bernau, sind bislang eher die Ausnahme.

"Also, das Ehrenamt ist weiblich. Das Ehrenamt ist sicherlich auch älter. Und ich würde mal sagen: Die typische Tafel-Frau ist so 60. Ich denke, dass Ehrenamt wird sich in den nächsten Jahren verjüngen müssen, weil die Selbstverständlichkeit, sich über viele Jahre einem Projekt zu widmen, abnimmt."

Wie ihr Engagement in Zukunft aussieht, darüber denken Olaf und Axel noch nicht nach. Erst 'mal beenden sie ihre Tour. Auf dem Gelände am Ortsrand von Bernau warten die Helfer: die Ehrenamtlichen. Die vom Bundesfreiwilligendienst. Die aus Arbeitsmaßnahmen. Das Gemüse wird sortiert, die Milch in den Kühlschrank geräumt. Dann ist alles vorbereitet für die Kunden, die sich den normalen Supermarkt nicht leisten können. Olaf lehnt sich zurück. Er ist zufrieden.

"Es klingt auch gut, wenn man so zu den Großeltern kommt: 'Ja, ich habe da geholfen.' Ist doch auch was. Dann freut sich Omi, freut sich Opi. Man selber ist ein bisschen stolz. Und ja, das sind halt Erfahrungen, die man macht."
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