Klimaprotest und Weltpolitik

Irgendwas bleibt immer kleben

Menschen mit Transparent sitzen auf einer Straße, um sie herum Autos und Polizei.
Mit Schnellbeton oder Sekundenkleber am Asphalt festgeklebt: Die "Letzte Generation" blockiert eine Autobahn-Ausfahrt in Berlin. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Eine Glosse von Pieke Biermann |
Wenn etwas kaputt ist, klebt man es. Wenn das Klima kaputt ist, kleben Aktivisten sich an der Straße fest. Die Schriftstellerin Pieke Biermann macht sich Gedanken über die Symbolkraft von Pattex und Co.
Und dann auch noch die Queen! Anlässlich ihres Todes avancierte ausgerechnet Elizabeth II. sogar bei notorischen Republikanern zum stärksten Bindeglied in einem Britannia, das schon lange nicht mehr cool ist und noch viel länger nicht mehr rules!Zum letzten sozialen Klebstoff, der das United Kingdom samt Commonwealth wenigstens noch virtuell zusammenhalten konnte – eventuell nur, wie die kluge „Guardian“-Kolumnistin Marina Hyde mutmaßt, weil die kleine Greisin einfach größer war als die ganze kuriose Monarchie.
Prompt droht das einstige Empire ganz unvirtuell zu zerfallen in vier Brexit-Bröckel auf den heimischen Inseln und immer mehr abtrünnige Überreste des einstigen Kolonialreichs. "Abtrünnig" kommt übrigens aus demselben Stall wie "abtrennen". Geht da jetzt noch was mit Klebstoff oder kann das weg? Wird man sehen.

Klebstoff als Metapher, wohin man blickt

Aber ist das eigentlich Zufall, dass neuerdings so oft von Klebstoff die Rede ist? Altbewährte Staaten von den USA bis Europa: tief gespalten, die Demokratie: zerfallsbedroht, der innere Frieden: im Niedergang – und bald nicht mal mehr Natur, die angeblich alles heilt, was dusselige Menschen so anrichten.
An Rosa Klebb kann es ja wohl nicht liegen. Die war eh fiktiv und wurde samt ihren giftigen Schuhspitzen mit James-Bondschen "Liebesgrüßen aus Moskau" erledigt. Also woran sonst? An Politikern, die so am Sessel kleben, dass man sie losflexen muss? An Diamanten, Öl, Händen, an denen Blut klebt? Oder auch nur Schweiß von "saurer Arbeit"? Oder: Irgendwas ist "nur angeklebt", also nicht echt?
Woher stammt überhaupt dieser klebrig-schlechte Ruf? Sagt eigentlich das Grimmsche Wörterbuch etwas dazu? Na, und wie: Die Göttinger Brüder bieten allein Dutzende Kompositionen mit "Kleb-" – zum Beispiel Klebläppchen, aufgepappt zwecks übler Nachrede, oder Geld, das an Händen klebt und wahlweise für Geiz oder diebische Gier steht. Neudeutsch etwa: "Der Sowieso hat Pattex anne Finger!"

Sich ankleben bindet Aufmerksamkeit

Nicht nur neudeutsch, sondern offenbar „globalesisch“ ist die Sitte, sich mutwillig irgendwo festzukleben, um die Aufmerksamkeit zu – äh, binden. Möglichst lange. Derzeit ist die "Letzte Generation" mit Hand und Fuß dabei – und mit Sekundenkleber. Es dauert ein bisschen, bevor sich Straßenbelag und Klebstoff ent-binden, zumal wenn man mit dem Fixieren wartet, bis die Polizei da ist. Denn wer will von Wutpendlern vermöbelt werden und nicht abhauen können?
Manche simulieren gleich ganz oder nehmen Prittstift. Hauptsache, die Polizei braucht Zeit, um den Verkehr wieder zum Laufen zu kriegen. Und da die nicht mal eben die ganze Handfläche abreißen will (und darf), kriegen eben Sonnenblumenöl oder Aceton ihre paar Minuten Lösefrist.

Sekundenkleber, manchmal unverzichtbar

Auch gar nicht neu ist der Sekundenkleber selbst. Cyanacrylat, wie er chemisch heißt, wurde schon 1940 von Kodak erfunden, fürs Militär weiterentwickelt und im Vietnamkrieg zum Stillen der Blutung auf große Wunden gesprayt. Rettungssanitäter und Chirurgen setzen ihn heute noch ein, und für erprobte Bergsteiger gehört er ganz oben ins Erste-Hilfe-Kit.
Zum Kleben genutzt wird manchmal auch Schnellbeton. Der ist zwar für die Haut noch ein bisschen ungesunder. Es dauert aber ein bisschen länger, eine Asphaltschicht unter der Hand wegzusägen. Ist die Straße wieder frei, dürfen die Betonkrümel von selbst von der Hand bröckeln.
Irgendwie absurd, das alles. Oder einfach nur: typisch Kapitalismus? Irgendwie geht es dem Klebstoff doch wie dem Geld: Das ist auch nie weg, sondern nur woanders. Anders gesagt: Irgendwas bleibt immer kleben, wenn auch nicht unbedingt an der richtigen Stelle.

Pieke Biermann, Jahrgang 1950, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Berlin. Für ihre Übersetzung von Fran Ross‘ Roman „Oreo“ wurde sie 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Lieselotte '' Pieke '' Biermann, deutsche Journalistin, Autorin und Uebersetzerin, Portrait in Berlin.
© laif/ Isolde Ohlbaum
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