Die Stimmen von Kundus

Alltag nach Abzug der Deutschen

Nach einem Selbstmord-Bombenanschlag durch fünf Talibankämpfer auf ein Polizei-Hauptquartier in Kundus in Afghanistan am 10.02.2015 steigt über einer Straße mit Militärfahrzeugen eine Rauchwolke auf.
Viele Afghanen wollen ihr Land verlassen - Warteschlange am Passamt in Kabul © picture alliance / dpa / Jawed Karger
Von Marc Thörner  · 13.04.2016
Seit dem Abzug der Bundeswehr gibt es in den afghanischen Nordprovinzen keine Sicherheit mehr - stattdessen Bandenkriminalität, stillgelegte Schulen und aufgegebene Entwicklungsprojekte.
Felder, Bewässerungskanäle, dazwischen Lehmbauten. Am Stadtrand von Kundus scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ländlicher Friede. Zumindest auf den ersten Blick. Mohammed Anif, ein korpulenter Mann Mitte Fünfzig mit Turban steht am Rand eines Maisfelds. Vorsichtig späht er zwischen die langen Stauden. Besser kein Risiko eingehen, meint er.
"Ich habe eine siebenköpfige Familie. Alle können jederzeit umgebracht werden."
Anif deutet auf ein Trümmerfeld, das hinter dem Feld sichtbar wird. Da hat er mal gewohnt, sagt er. Die Entfernung von hier aus? Vielleicht 50 Meter. Aber einfach dorthin gehen? Undenkbar.
"Die Taliban bedrohen mich. Sie haben mein Haus zerstört. Ich wollte schon in die Nachbarprovinz fliehen, nach Badakshan. Aber auch dort sind Taliban. Jeden Tag denke ich darüber nach, wie ich meine Familie und mich retten kann."
Mit seinem blütenweißen, frisch gebügelten Shalvar Khamis-Gewand, dem langen graumelierten Bart, seinen behäbigen Bewegungen, seiner umständlichen Höflichkeit, wirkt Mohammed Anif auf den ersten Blick wohlsituiert und gesetzt. Dennoch ist er Flüchtling. Als Afghane gehört er damit theoretisch zum zweitgrößten Kontingent all jener, die in Deutschland um Asyl nachsuchen. Aber - Deutschland? Das ist noch unrealistischer als in die Nachbarprovinz zu gehen. Deutschland, darüber denkt er nicht einmal nach. Er ist schon froh, wenn er es von diesem Feldweg aus wieder zurück in seine Bleibe schafft.

Einst ein Angehöriger der Mittelklasse

Der Mann, den man in Deutschland einst einen Angehörigen der Mittelklasse genannt hätte, ist jetzt in dem Gehöft seiner Verwandten untergekommen, nur wenig entfernt von seinem ehemaligen Haus. Sein Cousin öffnet die Tür zu einem Lehmbau. Links vom Innenhof ist der Trakt für die Gäste. Teppiche liegen auf einem Estrich aus festgestampftem Lehm.
Aus einer ausgefransten Ledertasche nestelt Mohammed Anif das Dokument, mit dem sein Unglück anfing. Ein Schriftstück teils in der afghanischen Staatssprache Dari, teils auf Deutsch. Ein Mietvertrag mit schwarz-rot-goldenem Logo. Mietobjekt: Ein Grundstück am Fluss, für eine Furt, auf der sich auch schwere gepanzerte Fahrzeuge bewegen können. Datum: 28. Februar 2011.
"Zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Verteidigung, dieses vertreten durch das Einsatzkontingent ISAF, PRT Kundus – Einsatzverwaltungsstelle – (im folgenden Mieter genannt – und Herrn Haji Mohammed Anif (im folgenden Vermieter genannt) wird folgender Vertrag geschlossen.
Zweck dieses Vertrages ist die Überlassung des in der Anlage bezeichneten Grundstückes der Nord-Westseite des Flusses Kundus. …) Der Mietzins (...)beträgt jährlich 2500 US-Dollar. Dieser Mietvertrag beginnt am 1.1. 2011. (…)"
"Mehr als 2000 Dollar Miete wollten sie mir jedes Jahr zahlen. Zwei Jahre lang haben sie auch bezahlt, dann kam nichts mehr. Weil die Deutschen den Fluss auf meinem Grundstück aufgestaut haben, sehen die Taliban das täglich. Sie wissen, dass das mein Land ist. Deshalb machen sie jetzt Jagd auf mich."
"Der Vertrag endet mit sofortiger Wirkung, wenn der militärische Auftrag beendet ist oder die militärische Einheit verlegt wird."
… heißt es in Paragraph zwei.

Fragen an die Deutschen

Dennoch würde Mohammed Anif den Deutschen gerne ein paar Fragen stellen:
Wieso haben sie mit ihm im Jahr 2011 einen zeitlich unbegrenzten Mietvertrag geschlossen, wenn sie da offenbar schon wussten, dass sie Kundus 2013 verlassen? Wieso machten sie ihm ein Angebot, von dem sie selber wissen mussten, dass es nicht um eine jährliche Miete ging, sondern um sage und schreibe nur um 5000 Dollar für genau zwei Jahre? 5000 Dollar, waren die es wert, dass er sein Leben riskierte, sein Haus zerstört wurde und seine Familie jetzt keine Zukunft mehr hat? Fragen würde er die Deutschen sehr gern, aber die deutsche Botschaft ist in Kabul.
"Wie kann ich zu den Deutschen hin, wenn ich nicht mal diese Unterkunft hier verlassen kann, weil die Taliban mich suchen. Seit fünf Jahren bin ich nur noch auf der Flucht, jederzeit kann ich umgebracht werden, und alles wegen dieser Deutschen!"
Anders als Syrer, sollen sie nicht das Recht erhalten, per Kontingent einreisen zu können. Afghanen, so die Annahme, die offensichtlich hinter dieser Politik steht, Afghanen haben keinen Grund aus ihrem Land zu fliehen.

Die Taliban haben Kundus überrannt

Vor wenigen Monaten erst überrannten Taliban die Stadt Kundus und hielten sie zwei Wochen lang besetzt. Nur durch US-geführte Luftangriffe und Verstärkungen aus Kabul konnten die Angreifer wieder vertrieben werden. Doch nicht nur die Angreifer wurden vertrieben. Vertrieben aus ihren Häusern in den unterschiedlichen Distrikten wurden vor allem auch rund 13.000 Familien, sagt der Leiter des Flüchtlingsamtes von Kundus.
Sie seien aber nicht für die Öffentlichkeit sichtbar untergebracht - in Zeltstädten oder in Wohncontainern. Sie lebten bei Verwandten oder Stammesangehörigen.
Der Mann vom Flüchtlingsamt führt uns zu einer solchen Unterkunft.
Wie viele der hier üblichen Wohnhäuser, besteht auch dieses aus drei einstöckigen Lehmbauten, die sich hufeisenförmig um einen kleinen Wirtschaftshof gruppieren.
Bei einem US-Luftangriff in Kundus ist ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen zerstört worden. 
Krankenhaus bei US-Luftangriff in Kundus zerstört© picture alliance / dpa / MSF digital publications
Der Gästeflügel ist eigentlich dazu gedacht, dass die Freunde des Hausherrn sich gegenüber sitzen, Tee trinken und miteinander sprechen. Jetzt aber drängen sich in dem schlauchartigen Raum Dutzende Vertriebener, mehrköpfige Familien samt Großeltern und Kindern. Eine etwa 30-jährige Frau hat ihr Baby mit einer Wolldecke umwickelt und versucht es so gegen die Kälte zu schützen.
"Viele Menschen aus unserem Dorf sind durch die Kämpfe umgekommen, unsere Nutztiere wurden getötet. Es ist, als ob wir zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben werden, den Regierungskräften und den Taliban. Zu Hause haben wir keine Sicherheit und nichts mehr zu essen."
In den Raumecken dienen Gaskocher als behelfsmäßige Herde. Der etwa 50-jährige Abderrahman bereitet Tee zu und wärmt seine Hände an der kleinen Flamme. Auf absehbare Zeit wird er wohl keine Ernte einbringen können sagt er – nicht einmal als Arbeitskraft bei anderen.
"Ich wurde von einem Artillerie-Schrapnell getroffen, wahrscheinlich abgeschossen von den Regierungskräften. Als die Granate einschlug, war ich gerade auf meinem Feld. Die Splitter stecken mir immer noch im Rücken."

Der Innenhof war voller Taliban

Vom Zentrum in Kundus aus führt eine lange Straße vorbei an Feldern und Lehmhäusern in das Vorstadtviertel Schahardarah, vorbei an diversen Checkpoints von Armee und Polizei.
Nach etwa zehn Minuten taucht eine Art Wachturm auf. Hinter Stacheldraht und Sandsackwällen zeigt sich eine Steinmauer, gespickt mit Einschusslöchern - die Polizeiwache von Schahardarah.
Es war der wichtigste Posten der Bundeswehr in Kundus, neben dem weitab von der Stadt gelegenen Feldlager. Hier hatte man das Ohr am Puls der Stadt. Hier begannen und endeten Militäroperationen oder Patrouillen, mit denen die jeweilige Sicherheitslage erkundet wurde.
Am Rand des Innenhofs steht ein afghanischer Polizist. Er freut sich, nach Jahren wieder mal einen Deutschen zu sehen. Dreimal, erzählt er, ist der ehemalige deutsche Außenposten seit dem Bundeswehrabzug 2013 von den Taliban erobert und den afghanischen Sicherheitskräften wieder zurückerobert worden.
Der Wachturm ist noch da – aber verkohlt von unten bis oben. Die Gebäude rund um den Hof stehen zwar ebenfalls noch, aber in den Mauern klaffen Löcher. Die Fensterscheiben sind zerbrochen, an den leeren Fensterhöhlen zeichnen sich Schmauchspuren ab.
Das Bild zeigt viele schwerbewaffnete Soldaten in Tarnuniformen und Helmen auf bzw. vor der Ladefläche eines Militär-Lastwagens.
Spezialeinheiten der afghanischen Armee bereiten sich am 29.9.2015 am Flugplatz auf eine Gegenoffensive gegen die Taliban zur Rückeroberung der Stadt Kundus vor. © AFP / Nasir Waqif
Auf dem Hof: Patronenhülsen, zerbeulte Kanister, leere Munitionskisten.
Aus seiner Tasche holt der Polizist sein Handy und zeigt ein Video vom letzten Angriff der Taliban. Gefilmt von einem der Angreifer.
Man sieht dieselben Mauern, denselben Wachturm, denselben Innenhof, auf dem wir stehen, aber voller Taliban in Shalvar Khanis-Gewändern, die Köpfe mit Tüchern umwickelt, Kalaschnikows in den Händen. Vor fünf Jahren, im Herbst 2011, hatte es an der gleichen Stelle noch so geklungen:
"Woll'n wir mal hören, ob die alle wach sind. Kameraden: Stillgestanden! Ein dreifaches: Panzergrenadiere..."
"Rührt euch."
Im langgestreckten Gebäude neben dem Wachturm, auch das weist große, an den Enden ausgefranste Einschusslöcher auf, lag damals der kleine Gefechtsstand, in dem einer der letzten Kommandeure der Task Force Kundus saß, wenn er sich im Polizeiposten Schahardarah aufhielt. Der Blick in die Zukunft fiel 2011 aus Sicht von Oberstleutnant Kuhn optimistisch aus.
"Man kann die Sicherheitslage sicherlich als positiv sehen und die Entwicklung mit einem positiven Trend versehen. Der Feind kämpft in großen Zügen nicht mehr offensiv gegen uns. Das heißt, er bekämpft uns nicht mit Handwaffen, sondern er kämpft in erster Linie mit IED's. Das ist sicherlich in vielen Bereichen hinterhältiger. Das ist aber seine Art, gegen uns den Kampf weiter zu führen, weil er offen gegen uns nicht mehr bestehen kann."

Polizeichef freut sich über Besuch aus Deutschland

Am entgegengesetzten Ende des Innenhofs befand sich das Büro von Ghulam Maheddin, dem Polizeichef von Schahardarah.
"Die Sicherheitslage ist gut in Schahardarah, anders als früher, als es hier noch Taliban gab. Unsere Polizei kann sich überall bewegen, sie kann gehen, wohin sie will. Es gibt keine Probleme mehr. Die Einwohner arbeiten mit uns zusammen. Natürlich wollen die Taliban diesen Distrikt gern überrennen. Aber unsere Polizei tut alles, um das zu verhindern und Stabilität herzustellen."
Auf dem Video des Polizisten sieht man, wie einige Taliban jubelnd in das Büro des Polizeichefs eintreten. In diesem Gebäude öffnet sich jetzt eine verbeulte Tür.
Ein schnurrbärtiger Mann in Uniform kommt herausgelaufen, winkend, den Tränen nah – Ghulam Maheddin, derselbe Polizeichef. Viel ist geschehen seit dem letzten Interview.
"Die Bundeswehr war kaum drei Monate weg, da verübten die Taliban einen Selbstmordanschlag auf mein Fahrzeug. Dabei wurde ich schwer verletzt. Hier, siehst du noch die Narben in meinem Gesicht. Ein paar Monate darauf versuchte noch ein zweiter Selbstmordattentäter, mich zu töten. Dabei kamen mein Sohn, mein Bruder und mein Leibwächter ums Leben. Ich wurde wieder verletzt, drei Monate lang musste ich im Krankenhaus behandelt werden. Aber jetzt bin ich wieder auf meinem Posten."
Der Distriktchef von Schahardarah, Abu Sairas, zeigt das, was von der Wache noch übrig ist. Die meisten Räume des Polizeipostens sind ausgebrannt und daher unbenutzbar.
Der Boden der Räume ist mit Schrapnells und anderen Kampfrückständen übersät. Nur in der ehemaligen Küche, wie vom Wechsel der Zeiten unbeschadet, prangt noch an einer Schublade die säuberliche Aufschrift KARTOFFELN, irgendwann mal angebracht von einem Koch der Bundeswehr. A propos Deutschland. Auf der Stirn des Distriktchefs zeigt sich eine Zornesfalte. In seinem Büro zeigt er auf eine Karte der Provinz.
"Deutschland hat die lange geplante Verbindungsstraße zwischen Kundus und Mazare Sharif nicht gebaut. Wäre die fertig gewesen, hätte das unsere Sicherheit wesentlich verbessert. Dann hätten Verstärkungen unsere bedrängten Armee- und Polizeieinheiten in Kundus wesentlich schneller erreicht.
Der Grund, weshalb die Taliban hier so stark sind, ist ganz einfach. Unsere Jugendlichen haben keine Arbeit, sie brauchen Geld und die Taliban geben es ihnen. Wenn wir Fabriken hätten, Betriebe, Unternehmen, wäre ein großer Teil des Problems gelöst. Wir haben zum Beispiel Fabrikanlagen, wir könnten sie entwickeln und dort viele Arbeitsplätze schaffen, alles was wir brauchen ist eine Anschubfinanzierung. Deutschland hat das alles versprochen, aber nun kommt nichts."
Hat die Bundesregierung Kundus wirklich im Stich gelassen? Das Büro der GIZ, der staatlichen deutschen "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit", liegt in einem ruhigen Villenviertel am Stadtrand von Kundus.
Nach langem Klopfen öffnet sich schließlich eine Luke. Der Wächter ist kurz angebunden.
Alle Deutschen seien weg, die afghanischen Mitarbeiter nicht zu sprechen.
Enttäuscht von Deutschland
Auf Nachfrage bestätigt die GIZ in der Nachbarprovinz Baghlan, dass ihre deutschen Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit aus Kundus abgezogen wurden. Was noch ausstehende Projekte angehe, so gelte die Devise: Erst müsse die Regierung Sicherheit garantieren. Sicherheit sei die Voraussetzung für plangemäßen Aufbau.
Mohammed Safi sieht das ganz anders.
"Es gibt seit langem eine gewaltige Lücke zwischen dem, was Deutschland uns versprochen hatte und was es wirklich eingehalten hat."
Der Mittfünfziger mit dem tiefschwarzen Schnurrbart war bis 2015 Gouverneur von Kundus. Dann setzte Präsident Ashraf Ghani ihn ab. Offiziell deshalb, weil Safi dem Angriff der Taliban nicht vorgebeugt habe. Dabei, so betont der Ex-Gouverneur, habe gerade er immer wieder vor genau so einem Angriff gewarnt. Gewarnt habe er auch die Deutschen. Aber statt durch kontinuierliche Hilfe Kundus stabil zu machen, hätten die seit dem Bundeswehrabzug 2013 ein Vorhaben nach dem anderen auf Eis gelegt.
"Die Deutschen haben mir offen mitgeteilt: Wir setzen die meisten unserer Projekte deshalb aus, weil die Sicherheit so schlecht ist. Mein Gegenargument war: Je weniger Deutschland Hilfe leistet, desto unsicherer wird es, desto mehr Flüchtlinge werden wir im eigenen Land bekommen und desto mehr Afghanen werden sich auf den Weg nach Europa machen."
Die Straße, die aus Kundus heraus, ins südliche Schahardarah führt, ist mal unter Regierungs-, mal unter Talibankontrolle. An diesem Morgen soll sie befahrbar sein, hat Amir, der afghanische Begleiter herausgefunden.
"Das ist die Straße nach Quatliam, die gleiche wo mal während einer Operation 2010 die deutschen Panzer außer Gefecht gesetzt wurden. Rechts liegt Quatliam, links Isa Khel, das ist jetzt wieder unter Taliban-Kontrolle. Die meisten hier sind Bauern. Und wann immer es Kämpfe gibt, sind sie die Opfer."

Regierungssoldaten haben Angst vor Taliban

An einem Checkpoint stoppen uns bärtige Männer. Sie tragen Turbane, über der Brust gekreuzte Patronengurte und Kalaschnikows. Irregulären Milizionäre, die im Auftrag der Regierung hier die Straße sichern sollen. Ihr Einfluss reicht nicht über diese Stellung hinaus, sagen sie. Wie wir es überhaupt bis hier her geschafft hätten, will der Chef der Milizionäre wissen. Zwischen Kundus und dem Posten hier sei die ganze Straße ungesichert und hochgefährlich. In einigen Dörfern werde zur Zeit gekämpft. Das Dorf Quatliam ist ruhig. Aber dennoch, die Taliban hätten ihre Späher überall. Wie sein Name lautet? Der Milizenkommandant grinst und schüttelt den Kopf.
"Wenn Ihr meinen Namen bekannt macht, werde ich umgebracht. Ich besitze drei Gewehre. Eins davon hat meine Frau, eins hat mein Sohn, eins habe ich. Seit dem Morgen sind wir auf der Wache gegen die Taliban. Aber wir haben keine Angst, Gott sorgt für uns."
Vorbei an einem ehemaligen sandsackbewährten Außenposten, den mal die Bundeswehr gebaut hat, erreichen wir das Dorf Quatliam. Hier empfängt uns Abdul Rahman, einer der Ältesten der Gegend. Warum es hier so unsicher ist? Ganz einfach, meint er
"Die Regierungskräfte selber helfen doch den Taliban. Die Soldaten, die hier auf dem Posten vor Quatliam stationiert waren, verkaufen ihre Waffen und ihre Munition an die Taliban. Und die kämpfen jetzt damit."
Ajmal, der Lehrer einer kleinen Schule blickt mit höchst gemischten Gefühlen auf die Zeit zurück, als die Deutschen noch in dieser Gegend waren.
"Die Deutschen versprachen, aus Kundus ein kleines Europa zu machen: Asphaltierte Straßen in Schahardarah, Schulen, Krankenhäuser. Nichts davon ist eingetreten. Wenige solcher Projekte wurden umgesetzt, und dann manchmal von Nichtregierungsorganisationen, die keine deutschen sind. Offen gesagt, ich würde auch eine Talibanregierung für unsere Gegend besser finden."
Sein Kollege Abdul Majid, auch er ein Lehrer, stimmt ihm zu.
"Die Menschen auf den Dörfern, die Bauern, wer immer arm ist, zieht die Taliban vor. Die Taliban entscheiden und handeln immer rasch und transparent. Sie stören niemanden, es gibt unter ihnen keine Kriminalität, alle Häuser können 24 Stunden lang unverschlossen bleiben. Auch ich ziehe die Taliban vor. Ich sehe ja, wie sie sich verhalten und wie sie mit den Menschen auf den Dörfern umgehen und das überzeugt mich."
Wenn wir das Geld dazu hätten, würden wir Schahardarah sofort verlassen. Und sei es nur, um nach Kundus-Stadt zu ziehen. Wir würden auch nach Saudi Arabien gehen oder nach Deutschland, aber wir haben das Geld dazu nicht.
Asadullah, der Sohn von Abdul Rahman hingegen bereitet sich auf eine Reise vor. Dafür spart er jeden Groschen.
Im Augenblick versuche ich alles, um ins Ausland zu kommen. Ich versuche, Geld zusammenzubekommen. Wer immer geht, riskiert sein Leben, alles ist Glück. Aber ich nehme das Risiko auf mich, es geht um meine Ausbildung, um meine Zukunft. Sobald ich das nötige Geld habe, breche ich auf, auch wenn das gefährlich ist. Mein Traum aber ist: in Afghanistan zu bleiben, Arzt oder Ingenieur werden, um den Leuten hier zu helfen. Aber dazu ist die Lage hier zu schlecht.
Abdullah, ein anderer junger Mann, hat schon mal Englisch gelernt.
"Ich brauche 10.000 Dollar, um nach Deutschland zu gehen. Illegal. Auf legale Weise, mit Visa können wir das nicht. Wir sind zu arm. Ich brauche 10.000 Dollar, um illegal nach Deutschland zu gehen."
Mehr zum Thema