Die Schwierigkeit von Literaturübersetzungen

Wer darf was übersetzen - und wenn ja: wie?

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Übersetzerin bei der Arbeit - Eine Frau liest ein Buch mithilfe eines Wörterbuchs.
Wie geht man als professionelle Übersetzerin und Übersetzer mit problematischen Begriffen oder Zuweisungen um? © picture alliance / dpa / Christin Klose
Von Tomas Fitzel · 18.06.2021
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Der Deutsche Übersetzerfonds setzt sich mit aktuellen Fragen der Branche auseinander: Wie man im Kontext antirassistischer und postkolonialer Diskussionen gut und richtig übersetzt. Was ist wichtiger: Originaltreue oder gegenwärtige Sprachkultur?
"Wer spricht?" - Eigentlich waren es drei Fragen, die diese Runde von Übersetzerinnen und Übersetzern, Autorinnen und Autoren während einer Tagung am 18. Juni beschäftigte: Wer spricht, also wer übersetzt, und wer oder was wird überhaupt übersetzt und was nicht.
Und als letztes: Welche Sprache finden wir dafür, wobei letzter Fragesatz schon in seiner gestellten Form mitten in die Schwierigkeiten hineinführt, ins "Wir". Ein "Wir", das die einen ungefragt und übergriffig miteinschließt, während es andere ganz bewusst oder auch nur gedankenlos ausschließt.

Debatte über Differenzen und Gemeinsamkeiten

Die Journalistin und Autorin Mithu Sanyal eröffnete diesen Übersetzertag mit einem atemlosen Vortrag, bei dem sie alle Debatten unter dem Label Identitätspolitik, also, vom "N-Wort" bis zu "Wer darf die amerikanische Lyrikerin Amanda Gorman übersetzen?" auffädelte und zu einem bunten Teppich verwob.
Das Interessante: Wurden die Debatten im Internet und auf Social Media meist sehr hitzig geführt, mit der Betonung auf die Differenz, so ging es im Garten des Literarischen Colloquium Berlin am Wannsee umgekehrt zur hochsommerlichen Gluthitze sehr mild zu, mit der Betonung der Gemeinsamkeiten.
Mithu Sanyal sagt dazu: "Das ist halt irgendwie dieses 'Wir müssen über Differenzen reden aber wir müssen auch ganz stark über Gemeinsamkeiten reden'."
Danach führten Claudia Hamm, Beate Thill und Patricia Klobusiczky ein Gespräch über die Tücken und Schwierigkeiten beim Übertragen von Begrifflichkeiten aus Kontexten meist mit kolonialem Hintergrund. Dort komme es oft zu Aneignungen und Vermischungen der jeweiligen Landessprachen mit der kolonialen Besatzersprache oder, wie in der Karibik, es muss eine ganz eigene erfunden werden: das Kreolische.

Die Utopie, die im Übersetzen liegt

Patricia Klobusiczky plädierte dabei nochmals für die Utopie, die im Übersetzen liegt, nämlich die der Überwinden der babylonischen Sprachverwirrung:
"Was wir ganz ganz bestimmt tun, mit jeder Übersetzung, das ist, diese Erkenntnisbarrieren abzubauen. Das ist genau das, was wir tun als Übersetzerinnen und Übersetzer. Und es ist vollkommen egal, was für einen ethnischen oder kulturellen Hintergrund, was für ein religiöses Bekenntnis wir haben. Das spielt für uns überhaupt keine Rolle.
Das ist ja genau das, was wir zurücklassen. Wir schöpfen aus all dem, was uns prägt: Wir schöpfen Sprachen, Anschauungen, Bilder, Klänge mit denen wir arbeiten können und trotzdem geht es nicht darum, dass wir das reproduzieren, was wir kennen und was uns sozialisiert hat."
Aber das schließt die jeweiligen blinden Flecken nicht aus, was die Autorin Sharon Dodua Otoo dann doch ein wenig in Rage brachte. Und sie fragte nach den schwarzen Übersetzerinnen, von denen nur eine einzige, Marion Kraft, bei diesem Übersetzertag vertreten war.
"Also meine Frustration mit dieser Diskussion an der Stelle ist, dass die jeweiligen Personen immer aus ihrer persönlichen Perspektive sprechen, die sagen: Ich bin offen", fasste die Autorin ihr Unbehagen zusammen. "Das glaube ich sofort, aber in der Summe ist es trotzdem so, dass wir an einer Hand abzählen können, wie viele Übersetzungen ins Deutsche es von schwarzen Übersetzern gibt. Da müssen wir uns fragen: wie kommt denn das und wir können alle noch so offen sein, das Ergebnis liegt auf der Hand."

Wie umgehen mit rassistischer Sprache?

Das zentrale Problem, der Umgang mit einer Sprache, die wir heute eindeutig als rassistisch erkennen, wurde besonders deutlich an der Neuübersetzung von "Vom Wind verweht", wo unklar blieb, warum so einen Schinken überhaupt nochmals neu übersetzen?
"Man hat einen bestimmten Zusammenhang, einen bestimmten Satz, ein bestimmtes Wort, Verb in einem Text und überlegt sich: dieses Wort ist anrüchig. Das möchte Leuten weh tun das will man ja nicht", sagte Pieke Biermann, die mit dem Roman "Oreo" der Afroamerikanerin Fran Ross mit dem Preis der Leipziger Buchmesse im letzten Jahr ausgezeichnet wurde.
"Man muss auch nicht allzu verängstigt sein, man kann sich auch panzern dagegen, aber man steckt natürlich in diesem Dilemma und man kann das nur in jeder einzelnen Situation, in jedem einzelnen Wort oder Komma, wenn man so will, entscheiden."

Platzhalter für eine künftige Sprache?

Die ganzen Begrifflichkeiten und Abkürzungen, die durch die Diskurse schwirren sind dabei vielleicht nur Platzhalter für eine künftige bessere Sprache, so Mithu Sanyal: "Das wichtigste ist es, im Gespräch zu bleiben, also auch mit der 'falschen' Sprache. Es ist wichtiger weiter zu reden und dann halt die Sprache irgendwie flexibler zu machen als irgendwie zu sagen: Wir reden erst, wenn wir die richtigen Worte haben. Und trotzdem können wir dann die Worte kritisieren und sagen: Wir machen sie besser."
Und auch wenn, wie zu sehen war, man bei bestem Willen immer wieder auch in alte Muster rutscht, Mithu Sanyal sah diesen Übersetzertag als einen guten Schritt nach vorn: "Wahrscheinlich werden beim nächsten Übersetzertag mehr schwarze deutsche Übersetzer dabei sein."
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