Die Schriftstellerin Ana Kordsaia-Samadashvili

In ihren Romanen spiegelt sich das alte Tiflis

Ana Kordzaia-Samadaschwili sitzt auf einer Bank und lächelt freundlich
Die georgische Autorin Ana Kordzaia-Samadaschwili © Mirian Meladse / dpa
Von Mirko Schwanitz · 24.09.2018
Georgien ist Gastland der Frankfurter Buchmesse. Eine der prominentesten aktuellen literarischen Stimmen des Landes ist die Schriftstellerin Ana Kordsaia-Samadashvili. Sie hat mit einem Roman das Land ziemlich durcheinandergewirbelt.
Ein Morgen in der Tifliser Barnowstraße. Die Autorin, Übersetzerin und Kulturjournalistin Ana Kordsaia-Samadischvili wohnt Tiefparterre. Die Fenster gehen hinaus auf's leicht ansteigende staubige Trottoir. Drinnen im Halbdunkel ein Tisch, ein Bett, an der Wand ein Selbstporträt und Bilder aus Swanetien, einer Bergregion im Kaukasus.
"Mein Großvater war der letzte Priester von Swanetien in der sowjetischen Zeit. Und als Priester in der Sowjetunion war man das Letzte. Und wirklich alle Repressionen, die es in Georgien gab, liefen über den Kopf der armen Samadaschwilis."

Viele deutsche Worte in der alten Kommunalka der Familie

Ana Kordsaia-Samadishvili ist überzeugt, dass ihre Liebe zur Literatur aus der Familie dieses Großvaters stammt. Ihr Urgroßvater hatte die erste Grammatik für die Sprache des Bergvolks der Swanen verfasst, sein Sohn das erste Wörterbuch. In Ana Kordsaias Regalen befinden sich die Reste der Bibliothek des Großvaters, die die Familie über alle Wirren der Zeit retten konnte.
"In den Dreißigern hat man meinen Großvater öfter verschleppt. Und meine Großmutter hat ihr ganzes Leben niemandem erzählt, wessen Tochter sie war. Sie ist als Waisenkind aufgewachsen. Also: die Mutter erschossen, der Vater zweimal verhaftet. Also man erträgt manche Sachen nicht mehr. Na, wie soll ich sagen, so war das Jahrhundert, das 20. Jahrhundert."
Ana Kordsaia-Samadishvili wurde 1968 geboren. Sie wuchs in einem Tiflis auf, das es heute so nicht mehr gibt. In ihrer Kindheit wurde in der Familie swanisch, auf dem Hof hinter ihrem Haus kurdisch, armenisch, georgisch und russisch gesprochen.
Kommunalka nannte man die Wohnungen, in denen mehrere Familien lebten und sich Bad und Küche teilten. Dort hörte und erlernte sie auch ihre ersten deutschen Worte.
"Ja, das war eine klassische Kommunalka. Nur in meiner Wohnung - wir waren tausende dort, wie mein Vater sagte 'Legionen'. Sehr viele waren dort. Wir hatten dort einen Herrn Kuppel, einen Deutschen, der mir immer sehr streng sagte, 'Nicht georgisch! Nur deutsch!', sagte er. Seltsames Deutsch sprach der Mann. Es war sehr lustig."

Erst die Unabhängigkeit, aber dann der Nationalismus

Heute, mehr als 35 Jahre später ist das alles Geschichte.
"Dann passierte das, wovon eigentlich alle träumten: Alle träumten davon, dass Georgien unabhängig wird. Das Wort Nationalismus ist wahrscheinlich das Schlimmste, was die Menschheit sich ausgedacht hat. Und meine besten und liebsten Einwohner der Stadt Tiflis waren erschrocken und gingen weg, die Deutschen, die Griechen, die Kurden usw. usf. Für mich ist diese Stadt, die man auch heute so sehr multikulturell nennt, absolut monoethnisch geworden und uninteressant."
Vielleicht spiegelt sich deshalb in ihren Romanen und Erzählungen stets auch das alte Tiflis. Aber nur als Hintergrund und Spiegelbild ihrer Frauenfiguren, die allesamt aufbegehren gegen das in Georgien noch immer weit verbreitete Patriarchat. Auch deshalb gibt es Leute in der Stadt, die Ana Kordsaia für verrückt halten: Mein Gott, eine georgische Frau! Die schminkt sich, macht sich fein, wenn Besuch kommt. Aber sie!? Schert sich nicht um Konventionen. Empfängt im Morgenmantel, übersetzt Elfriede Jelinek, kritisiert ihr Land und geht noch immer gern in die von nackten Frauen bevölkerten alten Tifliser Bäder.
"Also es ist schon eine Schande, wissen Sie, in jedem Roman oder jeder Erzählung eine Frau aus dem Bad zu haben. Ich gehe dorthin, seitdem ich 16 geworden bin. Es gibt zwei konkrete Tabus: Ein Tabu ist die Sexualität und das andere Tabu ist komischerweise im 21. Jahrhundert das Christentum."

Ein Sturm der Entrüstung in der orthodoxen Männerwelt

Ana Kordsaias erster Roman "Ich, Margarita" gilt heute als Meilenstein in der georgischen Gegenwartsliteratur. Zum ersten Mal schrieb da eine in provozierender Schnoddrigkeit über weibliche Bedürfnisse. Und rief in Georgiens patriarchaler und orthodoxer Männerwelt einen Sturm der Entrüstung hervor. Bis heute ist Nichts vor dem derben und dennoch feinen Spott dieser Autorin sicher...
"Warum schreibt eine Frau? Warum muss eine Frau Schriftstellerin werden? Ja, warum? Ist sie hässlich, oder was? Hat sie keinen Mann? Ja, soll sie mit jemanden ficken! Was macht sie da überhaupt?"
Nun - sie schreibt, übersetzt auch Franz Kafka oder Cornelia Funke ins Georgische und unterrichtet an der Staatlichen Ilia-Universität eine neue erfolgreiche Generation von Autorinnen. Vielen ihrer einstigen Studentinnen wird sie in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse wiederbegegnen.

Ana Kordsaja Samadisvili: "Ich, Margarita"
Ins Deutsche übersetzt von Sybilla Heinze
Hans Schiler-Verlag, Berlin 2013
204 Seiten, 18,80 Euro


Ana Kordsaja Samadisvili: "Wer hat die Tschaika getötet"
Ins Deutsche übersetzt von Sybilla Heinze
Hans Schiler-Verlag, Berlin 2016
170 Seiten, 16,80 Euro

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