Die Rolle Afrikas im globalen Kontext
Afrikas Entwicklung kann nicht mehr ohne den globalen Kontext dargestellt werden, sagt Helmut Danner. Er nimmt die manifesten Mentalitätsunterschiede und Weltsichten von Europäern und Afrikanern unter die Lupe. Für Jean und John L. Comaroff nimmt Afrika sogar die Rolle eines Schrittmachers ein.
Um die Arroganz des Westens gegenüber dem afrikanischen Kontinent ins Bild zu setzen, genügt ein Schnappschuss aus der Vergangenheit: Ein schnauzbärtiger Tourist mit Tropenhelm lässt sich von afrikanischen Ureinwohnern in einer Hängematte durch den Dschungel tragen.
Dieses Foto aus Kolonialzeiten ziert nicht umsonst den Einband von Helmut Danners interkulturellem Essay. Denn diese Grundhaltung aus Zeiten der Kolonisation, das Herabblicken auf den anderen, die Herr- und Knecht-Mentalität, verberge sich zwar gelegentlich hinter political correctness und karitativen Gesten, sei heutzutage jedoch noch immer existent.
„Häufig schauen Europäer immer noch auf Afrikaner herunter und weisen diese zurecht ... Afrikaner reagieren hierauf entweder mit Unterwürfigkeit oder rebellieren gegen den Westen.
... Ich behaupte, dass diese Haltungen quer durch alle sozialen Schichten im Westen und in Afrika gefunden werden können, und sie schließen auch Regierungen und Entwicklungsorganisationen ein. Ob nun Afrikaner und Leute vom Westen es mögen oder nicht: Sie sind Gefangene ihrer gemeinsamen Geschichte und deren Folgen.“
Helmut Danner weiß, wovon er spricht, wenn er die manifesten Mentalitätsunterschiede und Weltsichten von Europäern und Afrikanern unter die Lupe nimmt. Der 1941 geborene Philosoph und Pädagoge war jahrzehntelang in der Erwachsenenbildung in Afrika tätig und lebt heute in Nairobi und Kenia.
Sein Buch versteht er als Beitrag zum interkulturellen Gespräch zwischen den Kontinenten. Denn im gegenseitigen Unverständnis sieht er die Ursache für so manche Krise – zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit.
Während der Westen den Afrikanern Korruption und Vetternwirtschaft vorwirft, kontern diese mit Neoliberalismus- und Kolonisationsvorwürfen. Von einem tatsächlichen Verstehen des jeweils anderen sind beide Seiten noch weit entfernt. Doch genau darin sieht Helmut Danner eine Chance.
„Zu allererst bedeutet ‘verstehen’ zu begreifen, was die andere Seite ausmacht und bestimmt. Es bedeutet zweitens, die andere Seite zu akzeptieren – ohne die Notwendigkeit, sich ihr anpassen zu müssen; es bedeutet aber auch und hoffentlich, die andere Seite zu respektieren.“
Um die kulturellen Unterschiede begreifbar zu machen, begibt sich Danner zunächst in die afrikanische Geschichte. Er betont, dass Afrika keineswegs ein geschichtsloser, „dunkler“ Kontinent sei, sondern eine reiche Historie lange vor der Entdeckung durch die Europäer vorzuweisen habe. Stand hier nicht die „Wiege der Menscheit“, wuchs hier nicht das Pharaonenreich?
Sodann erläutert er die afrikanische Gesellschaftsstruktur, in der verwandtschaftliche Beziehungen, das Prinzip der Gegenseitigkeit und Spiritualität ganz anders gewichtet sind. Mit einer praktischen Hermeneutik, dem „Verstehen des Fremdartigen“, die er von Theo Sundermeier ableitet, entwickelt er ein theoretisches Modell für einen Annäherungs- und Verständigungsprozess. Schließlich berücksichtigt er auch Afrikas Chancen in der Globalisierung. Denn eins sei klar:
„Afrikas Entwicklung kann nicht mehr ohne den globalen Kontext vorgestellt werden – mit oder ohne Entwicklungshilfe.“
Jean und John L. Comaroff gehen da noch einen Schritt weiter. Für sie nimmt Afrika sogar die Rolle eines Schrittmachers ein. In ihrem Buch „Der Süden als Vorreiter der Globalisierung“ entwickeln sie „neue postkoloniale Perspektiven“. Wie Helmut Danner schreiben sie gegen die Arroganz an – und verweisen darauf, dass es gerade die abendländische Aufklärung sei, die dem Westen den Weg zu Verständnis und Einsicht versperre.
„Das westliche Aufklärungsdenken hat sich von Beginn an zum A und O allgemeiner Bildung, Wissenschaft und Philosophie gemacht; dementsprechend hat es das Nicht-Westliche – sukzessive bekannt als alte Welt, Orient, primitive Welt, unterentwickelte Welt und jetzt als der globale Süden – primär als einen Ort provinzieller Weisheit, antiquierter Traditionen oder exotischer Mittel und Wege betrachtet.“
So wurde der als unterentwickelt betrachtete Süden vom aufgeklärten Norden gewissermaßen eingekesselt – modernes Denken drängte auf Vereinnahmung und stieß an seine Grenzen. Wie wäre es, meinen Jean und John L. Comaroff, wenn wir die Prämissen nun einmal umkehren?
„Wenn wir davon ausgehen, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Süden ist, der uns am besten erkennen lässt, wie die Welt in ihrer Gesamtheit funktioniert?“
Zunächst torpedieren die beiden Anthropologen, Afrikawissenschaftler und Harvardprofessoren eurozentristische Denkschablonen, nach denen der Süden dem Norden quasi hinterherhinke. Sie betonen den Einfluss afrikanischer Handwerks- und asiatischer Massenproduktionstechniken auf die Industrialisierung des Abendlandes.
Heute sei Afrika bereits Vorreiter, wenn es darum gehe, neue Formen kollektiven Handelns, von Solidarität und Bürgerschaft zu etablieren. Am Beispiel der AIDS-Politik in Südafrika, wo die Comaroffs als Honorarprofessoren tätig sind, zeigen sie, wie dort Graswurzelbewegungen für mehr Bildung und soziale Gerechtigkeit eintreten. So bringt der nackte Überlebenskampf ein anderes Politikverständnis hervor.
„Diese ‘Politik des Lebens’ ist zu einer unübersehbaren Kraft geworden, wenn Arbeits- und Obdachlosigkeit um sich greifen, die Notleidenden ignoriert und vertrieben werden und die Abgeschobenen, mit den Worten eines Mietskasernenbewohners aus South Durban, in den Ruinen einer vergangenen Industrialisierungsepoche um ‘etwas Luft zum Leben’ kämpfen.“
Auf höchst unterschiedliche Weise plädieren die Autoren beider Bücher dafür, koloniales Denken zu erkennen, um es zu überwinden. Während Helmut Danner – oft leider etwas redundant und sprachlich nicht sehr geschickt – eigene Erfahrungen abstrahiert und für mehr Verständnis wirbt, reflektieren Jean und John L. Comaroff mitunter recht theorielastig die Chancen des afrikanischen Kontinents.
Beiden Ansätzen bleibt der Verdienst, energisch darauf hinzuweisen, dass es auch im Interesse des Westens sein muss, Afrika und dem Süden anders zu begegnen als bisher: vorurteilsloser, lernbereiter und letztendlich: zukunftsorientierter.
Jean und John L. Comaroff: Der Süden als Vorreiter der Globalisierung. Neue postkoloniale Perspektiven
Aus dem englischen von Thomas Laugstien
Campus Verlag Frankfurt-New York, 8.Okt 2012
Helmut Danner: Das Ende der Arroganz. Ein interkultureller Essay
Brandes&Apsel Verlag, Frankfurt AuG-2012
Dieses Foto aus Kolonialzeiten ziert nicht umsonst den Einband von Helmut Danners interkulturellem Essay. Denn diese Grundhaltung aus Zeiten der Kolonisation, das Herabblicken auf den anderen, die Herr- und Knecht-Mentalität, verberge sich zwar gelegentlich hinter political correctness und karitativen Gesten, sei heutzutage jedoch noch immer existent.
„Häufig schauen Europäer immer noch auf Afrikaner herunter und weisen diese zurecht ... Afrikaner reagieren hierauf entweder mit Unterwürfigkeit oder rebellieren gegen den Westen.
... Ich behaupte, dass diese Haltungen quer durch alle sozialen Schichten im Westen und in Afrika gefunden werden können, und sie schließen auch Regierungen und Entwicklungsorganisationen ein. Ob nun Afrikaner und Leute vom Westen es mögen oder nicht: Sie sind Gefangene ihrer gemeinsamen Geschichte und deren Folgen.“
Helmut Danner weiß, wovon er spricht, wenn er die manifesten Mentalitätsunterschiede und Weltsichten von Europäern und Afrikanern unter die Lupe nimmt. Der 1941 geborene Philosoph und Pädagoge war jahrzehntelang in der Erwachsenenbildung in Afrika tätig und lebt heute in Nairobi und Kenia.
Sein Buch versteht er als Beitrag zum interkulturellen Gespräch zwischen den Kontinenten. Denn im gegenseitigen Unverständnis sieht er die Ursache für so manche Krise – zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit.
Während der Westen den Afrikanern Korruption und Vetternwirtschaft vorwirft, kontern diese mit Neoliberalismus- und Kolonisationsvorwürfen. Von einem tatsächlichen Verstehen des jeweils anderen sind beide Seiten noch weit entfernt. Doch genau darin sieht Helmut Danner eine Chance.
„Zu allererst bedeutet ‘verstehen’ zu begreifen, was die andere Seite ausmacht und bestimmt. Es bedeutet zweitens, die andere Seite zu akzeptieren – ohne die Notwendigkeit, sich ihr anpassen zu müssen; es bedeutet aber auch und hoffentlich, die andere Seite zu respektieren.“
Um die kulturellen Unterschiede begreifbar zu machen, begibt sich Danner zunächst in die afrikanische Geschichte. Er betont, dass Afrika keineswegs ein geschichtsloser, „dunkler“ Kontinent sei, sondern eine reiche Historie lange vor der Entdeckung durch die Europäer vorzuweisen habe. Stand hier nicht die „Wiege der Menscheit“, wuchs hier nicht das Pharaonenreich?
Sodann erläutert er die afrikanische Gesellschaftsstruktur, in der verwandtschaftliche Beziehungen, das Prinzip der Gegenseitigkeit und Spiritualität ganz anders gewichtet sind. Mit einer praktischen Hermeneutik, dem „Verstehen des Fremdartigen“, die er von Theo Sundermeier ableitet, entwickelt er ein theoretisches Modell für einen Annäherungs- und Verständigungsprozess. Schließlich berücksichtigt er auch Afrikas Chancen in der Globalisierung. Denn eins sei klar:
„Afrikas Entwicklung kann nicht mehr ohne den globalen Kontext vorgestellt werden – mit oder ohne Entwicklungshilfe.“
Jean und John L. Comaroff gehen da noch einen Schritt weiter. Für sie nimmt Afrika sogar die Rolle eines Schrittmachers ein. In ihrem Buch „Der Süden als Vorreiter der Globalisierung“ entwickeln sie „neue postkoloniale Perspektiven“. Wie Helmut Danner schreiben sie gegen die Arroganz an – und verweisen darauf, dass es gerade die abendländische Aufklärung sei, die dem Westen den Weg zu Verständnis und Einsicht versperre.
„Das westliche Aufklärungsdenken hat sich von Beginn an zum A und O allgemeiner Bildung, Wissenschaft und Philosophie gemacht; dementsprechend hat es das Nicht-Westliche – sukzessive bekannt als alte Welt, Orient, primitive Welt, unterentwickelte Welt und jetzt als der globale Süden – primär als einen Ort provinzieller Weisheit, antiquierter Traditionen oder exotischer Mittel und Wege betrachtet.“
So wurde der als unterentwickelt betrachtete Süden vom aufgeklärten Norden gewissermaßen eingekesselt – modernes Denken drängte auf Vereinnahmung und stieß an seine Grenzen. Wie wäre es, meinen Jean und John L. Comaroff, wenn wir die Prämissen nun einmal umkehren?
„Wenn wir davon ausgehen, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Süden ist, der uns am besten erkennen lässt, wie die Welt in ihrer Gesamtheit funktioniert?“
Zunächst torpedieren die beiden Anthropologen, Afrikawissenschaftler und Harvardprofessoren eurozentristische Denkschablonen, nach denen der Süden dem Norden quasi hinterherhinke. Sie betonen den Einfluss afrikanischer Handwerks- und asiatischer Massenproduktionstechniken auf die Industrialisierung des Abendlandes.
Heute sei Afrika bereits Vorreiter, wenn es darum gehe, neue Formen kollektiven Handelns, von Solidarität und Bürgerschaft zu etablieren. Am Beispiel der AIDS-Politik in Südafrika, wo die Comaroffs als Honorarprofessoren tätig sind, zeigen sie, wie dort Graswurzelbewegungen für mehr Bildung und soziale Gerechtigkeit eintreten. So bringt der nackte Überlebenskampf ein anderes Politikverständnis hervor.
„Diese ‘Politik des Lebens’ ist zu einer unübersehbaren Kraft geworden, wenn Arbeits- und Obdachlosigkeit um sich greifen, die Notleidenden ignoriert und vertrieben werden und die Abgeschobenen, mit den Worten eines Mietskasernenbewohners aus South Durban, in den Ruinen einer vergangenen Industrialisierungsepoche um ‘etwas Luft zum Leben’ kämpfen.“
Auf höchst unterschiedliche Weise plädieren die Autoren beider Bücher dafür, koloniales Denken zu erkennen, um es zu überwinden. Während Helmut Danner – oft leider etwas redundant und sprachlich nicht sehr geschickt – eigene Erfahrungen abstrahiert und für mehr Verständnis wirbt, reflektieren Jean und John L. Comaroff mitunter recht theorielastig die Chancen des afrikanischen Kontinents.
Beiden Ansätzen bleibt der Verdienst, energisch darauf hinzuweisen, dass es auch im Interesse des Westens sein muss, Afrika und dem Süden anders zu begegnen als bisher: vorurteilsloser, lernbereiter und letztendlich: zukunftsorientierter.
Jean und John L. Comaroff: Der Süden als Vorreiter der Globalisierung. Neue postkoloniale Perspektiven
Aus dem englischen von Thomas Laugstien
Campus Verlag Frankfurt-New York, 8.Okt 2012
Helmut Danner: Das Ende der Arroganz. Ein interkultureller Essay
Brandes&Apsel Verlag, Frankfurt AuG-2012

Cover Helmut Danner: „Das Ende der Arroganz. Ein interkultureller Essay“© Brandes&Apsel Verlag

Cover Jean und John L. Comaroff: „Der Süden als Vorreiter der Globalisierung“© Campus Verlag Frankfurt-New York