Die Qual mit der Wahl

Von Till Falang · 21.07.2010
Dass die Menschen in Birma unter einer brutalen Militärjunta leiden, ist im Straßenbild nicht sofort zu erkennen. Doch die Bewohner des Landes leben unter ständigem Druck. Von Protesten und einer Opposition ist nach der Niederschlagung des Mönchsaufstands vor drei Jahren nur noch wenig zu hören.
Eine knappe Stunde nach dem Start in Bangkok landet die Maschine in einer anderen Welt: Birma. Rangun. Der Flughafen Mingaladon. Auf dem Rollfeld verlieren sich nur wenige Flugzeuge, vor der Passkontrolle gibt es kein Gedränge. Die Atmosphäre wirkt entspannt. Doch der Schein trügt: Denn die Einreise nach Birma ist für einige Berufsgruppen alles andere als erwünscht. Kritische Reporter zum Beispiel sind in dem asiatischen Land nicht gerade gern gesehen. Auf seiner Website warnt das deutsche Auswärtige Amt:

Kritik an der Militärregierung ist strafbar und ausländische Besucher müssen damit rechnen, überwacht zu werden. Schon der Versuch einer Kontaktaufnahme mit myanmarischen Oppositionellen beziehungsweise Regimekritikern kann zu Strafverfahren oder anderen Repressalien führen.

Kein Wunder, dass birmanische Interviewpartner lieber anonym bleiben wollen, auch weil sie um ihre Familien und Angehörigen fürchten. Dennoch sind einige so mutig, in ein Mikrofon zu sprechen.

"Wir haben keine Presse- und Informationsfreiheit. Wenn ich mich zum Beispiel vor die Sule Pagoda mitten in der Stadt stellen und sagen würde: 'Ich will diese Regierung nicht mehr, ich will freie und faire Wahlen!', dann würde ich mit Sicherheit innerhalb weniger Minuten abgeführt."

Er kennt auch die Gründe, warum sich das Militärregime seit fast 50 Jahren an der Macht hält.

"Weil es ein ganz dreckiges Spiel ist: Sie herrschen mit Brutalität! Seit das Militär an der Macht ist, seit 1962, war es zwar immer wieder mit Protesten konfrontiert. Schon in den 70er und 80er Jahren hat es Demonstrationen gegeben. Alle zwei, drei Jahre sind Studenten oder Arbeiter auf die Straße gegangen und haben klargemacht, dass sie dieses Regime nicht wollen. Doch jedes Mal sind sie brutal niedergeschlagen worden. Zuletzt, 2007, waren es die Mönche. Die haben sie auf der Straße verhaftet oder getötet. 1974 haben sie tausende Arbeiter in Rangun umgebracht, einfach abgeknallt."

Kyaw Zaw Moe. Er lebt im Exil und ist Leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins "Irrawaddy". Das Journal, das monatlich in Chiang Mai, Thailand, erscheint, berichtet in erster Linie über Birma.

"Sie haben die Waffen! Und sie haben 400.000 Soldaten. Und obwohl das Land so arm ist, hat es eine der mächtigsten Armeen in Südostasien. Außerdem ist das Militär in der Politik Birmas fest etabliert. Seit den Vierzigerjahren, sogar noch davor ist das Militär eine Institution in Birma, die man sich nur schwer aus der Gesellschaft und aus der Politik wegdenken kann."

Entscheidend für das Selbstverständnis der birmanischen Armee ist die Rolle, die sie im Zweiten Weltkrieg und bei der Befreiung des Landes aus dem Kolonialismus, in den Vierzigerjahren, gespielt hat. In dieser Zeit wurde General Aung San zum Nationalhelden, der Vater von Aung San Suu Kyi.

Ihre Macht beziehen die birmanischen Militärs allerdings nicht allein aus ihrer historischen, traditionellen Rolle. Grundlage für die starke Position der herrschenden Generäle sind auch die ungeheuren Bodenschätze, über die das Land verfügt. Besser gesagt: über die die Generäle nach Belieben verfügen. Khin Omar vom "Forum für Demokratie in Birma" auf einer Pressekonferenz in Bangkok:

"Eine entscheidende Rolle spielt der Ausverkauf der staatlichen Reichtümer. Länder wie Thailand, China und Vietnam können ihre Rohstoffe sehr billig bei uns einkaufen. Für das Regime ist es aber eine Riesensumme, die da zusammenkommt."

Rangun. Mitten in der Stadt liegt die 40 Meter hohe, goldene Sule Pagode. Aus allen Himmelsrichtungen laufen Straßen auf sie zu und münden in einen Kreisverkehr, der um die Pagode herumläuft. Der Lärm ist enorm. Busschaffner lehnen sich weit aus den offenen Türen ihrer Fahrzeuge und schreien nach Passagieren. Hunderte Generatoren dröhnen, die die immer wieder vorkommenden Stromausfälle in der Stadt überbrücken sollen. Dazwischen unzählige Straßenverkäufer, die ihre Waren an den Mann bringen wollen.

Wenn überhaupt, dann kann man hier den einen oder anderen Touristen entdecken. Doch verglichen mit Thailand sind es wenige, sehr wenige, die meisten Rucksack-Touristen. Sie wandern ein wenig ziellos durch Straßen und Gassen, die die Engländer vor 100 und mehr Jahren wie ein Gitternetz angelegt haben, und deren Häuser, obwohl zigmal übertüncht, ihren verrotteten Zustand nicht verheimlichen können. Nach einigen Tagen in Rangun reisen die Touristen vielleicht weiter nach Mandalay oder Pagan.

Doch längst nicht alle Regionen in Birma sind zugänglich; viele sind für Touristen gesperrt. Vor allem da, wo die zahlreichen ethnischen Minderheiten leben, an der Peripherie des Landes. Die Karen, die Kachin, Chin, Shan, die Wa und viele andere.

Von den gut 50 Millionen Einwohnern Birmas gehört knapp ein Drittel einer nicht birmanischen Ethnie an. Zwischen ihnen und der Zentralregierung gab es – seit der Unabhängigkeit des Landes am 4. Januar 1948 - immer wieder bewaffnete Konflikte. Die Minderheiten wollten ihre Unabhängigkeit bewahren. Dabei bekämpften sich die ethnischen Völker oft auch untereinander. Genau diese Uneinigkeit stärkte die Militärregierung unfreiwillig. Die Opposition in den Städten, die Minderheiten, die ins Exil gegangenen oder geflüchteten Birmaner: Sie alle hätten es nie geschafft, eine gemeinsame Front gegen die Junta aufzubauen, erzählt der namenlose Journalist:

"Ich habe noch nie eine starke und einige Opposition gegen die Regierung erlebt. Die Ethnien haben sich gewehrt, die Studenten, die Mönche, die Arbeiter. Aber nie gemeinsam: Und das ist einer der Gründe dafür, dass die Generäle immer noch an der Macht sind: die Opposition ist zu zersplittert."

U Thin Oo, 1990 für die damalige Oppositionspartei ins Parlament gewählt und bis zu ihrer Selbstauflösung Sekretär dieser Partei im thailändischen Exil, nennt einen zweiten Grund:

"Es gibt keine starke Zivilgesellschaft in unserem Land, die haben sie systematisch abgeschafft. Inklusive der politischen Parteien. Denen haben sie alle Möglichkeiten genommen."

Hoffnungen, die Uneinigkeit zu überwinden, ruhen - oder ruhten - allein auf der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Mit ihr an der Spitze hatte die Nationale Liga für Demokratie die 90er-Wahlen mit großer Mehrheit gewonnen. Die Generäle ignorierten das allerdings kaltblütig. Das Militär zog die Opposition samt Aung San Suu Kyi einfach aus dem Verkehr.

Derzeit sitzen mehr als 2100 politische Aktivisten in den Gefängnissen. Suu Kyi selbst wurde immer wieder, insgesamt 14 Jahre lang, unter Hausarrest gestellt und durfte sich politisch nicht betätigen. Doch ihr großer Mut, mit der sie den Generälen entgegentrat, machte sie zu der Hoffnungsträgerin für Birma.

Das sei sie immer noch, sagen viele, es gebe keine andere. Nach etlichen Jahren der bedingungslosen Bewunderung mischt sich inzwischen aber auch Skepsis in manche Einschätzung, vor allem bei jüngeren Leuten.

"Viele von den jungen Leuten haben sie nie persönlich kennengelernt, weil sie schon so lange unter Hausarrest steht. Aber ich glaube, dass sie nach wie vor das Symbol der Hoffnung für die Menschen in Birma ist, egal ob jung oder alt. Selbst wenn sie nicht an den Wahlen teilnehmen darf: Sie ist unsere einzige Hoffnung und niemand sonst."

"Sie ist immer noch die Ikone der Demokratie und des Volkes. Sie steht sehr fest zu ihren Überzeugungen, und sie hat die volle moralische Autorität. Aber sie hat kaum eine realistische Chance auf Veränderung."

"Mir bedeutet sie nicht so viel. Sie hat ja lange unter Hausarrest gestanden. Und damals, bei den Wahlen, war ich noch ein Kind. Ich habe sie niemals selbst gesehen, nur in der Zeitung oder im Fernsehen."

20 Jahre sind vergangen seit der letzten Wahl. Seitdem ist, grob geschätzt, die Hälfte der jetzt lebenden Bevölkerung Birmas geboren. Viele wissen gar nicht, was eine Wahl ist. Mitbestimmung ist ihnen völlig fremd.

"Ein Japaner hat mir mal erzählt, er könne gar nicht glauben, dass die Leute unterdrückt werden. Weil sie immer so glücklich aussähen. An der Bushaltestelle oder auf dem Markt: Immer würden sie lächeln! Aber das ist unsere Angewohnheit: Die Leute lächeln selbst dann, wenn sie unter schwerem Druck stehen. Was nicht heißt, dass sie glücklich sind! Also: Wie funktioniert die Unterdrückung? Ganz einfach: mit Brutalität. Wenn du nur irgendwie provozierst – also wenn ich zum Beispiel einen die Regierung provozierenden Artikel veröffentlichen würde, wäre ich postwendend im Gefängnis. Und wenn du auf die Straße gehst, wie das die Mönche getan haben, wirst du abgeknallt. Das wissen die Leute, sie sind eingeschüchtert. Du kannst erschossen oder mitten in der Nacht aus deinem Haus abgeführt werden. Diese Gefahr besteht. Immer!"

"Die Unterdrückung funktioniert auf eine sehr komplizierte, aber raffinierte Weise. Sie ist nicht sichtbar. Obwohl wir eine Militärregierung haben, sieht man kaum Militär in den Straßen."

Äußerlich kaum erkennbar herrscht eine Atmosphäre der Angst im Land. Greifbar wird die Zurückhaltung aber, wenn man die Menschen auf ihre Regierung anspricht. Taxifahrer, die auf ihrer Fahrt auch nur in die Nähe des Hauses von Aung San Suu Kyi geraten, überhören jede Frage nach Details. Soe Aung, der sich als Student an dem Aufstand 1988 beteiligte, später aus Birma fliehen musste und heute Sprecher von Exilgruppen in Thailand ist, vergleicht das damalige mit dem heutigen Regime:

"Der Aufstand 1988 ist ein historisches Ereignis in unserem Land, weil damals fast alle auf die Straße gingen und gegen das Militärregime protestierten. Aber das gegenwärtige ist noch viel schlimmer, weil es jede Möglichkeit nutzt, um Angst in der Bevölkerung zu verbreiten. Es gibt Informanten. Es gibt Spione und viele Leute, die dem Geheimdienst zuarbeiten."

Von der Sule Pagoda im Zentrum Ranguns fahren hunderte Busse in alle Außenbezirke der Stadt. Die Schaffner schreien potentiellen Fahrgästen hinterher. Am Straßenrand preisen Verkäuferinnen Obst und Gemüse an. Ein Wirbel von Rufen und aufheulenden Motoren. Das pulsierende Leben einer gesunden Großstadt, könnte man denken. Dennoch hat man das bedrückende Gefühl: Hier kämpft jeder um ein bisschen Lebensgrundlage. Auch weil die Militärjunta mit ihren Methoden der Unterdrückung seit mehr als 50 Jahren so fest im Sattel sitzt. Die Menschen auf den Straßen kennen das Machtspiel:

"Obwohl bei den Wahlen 1990 die Nationale Liga für Demokratie einen überwältigenden Wahlsieg errungen hat, und obwohl es eine freie und faire Wahl war, ist das Ergebnis ja nie anerkannt worden. Birma steht immer noch unter Kontrolle der Militärs; die Regierungsgewalt ist nie an die legal gewählte Partei übertragen worden."

Diesen entscheidenden Makel möchten die Militärs endlich loswerden. Sowohl innerhalb des Landes als auch international möchten sich die Generäle als legal gewählte Regierung präsentieren. Damit sie nicht noch einmal so ein Debakel wie 1990 erleben, haben sie fast alles dafür getan, dass sich der überraschende Wahlsieg der damaligen Opposition nicht wiederholen kann.

Erstens: Die Verfassung schreibt vor, dass 25 Prozent aller Parlamentssitze von vorneherein für das Militär bestimmt sind. Zweitens: Das Wahlgesetz schreibt vor, dass niemand, der je zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, einer politischen Partei angehören darf. Aung San Suu Kyi, die 14 der vergangenen 20 Jahre unter Hausarrest oder im Gefängnis verbrachte, hat damit hat keine Möglichkeit mehr als aussichtsreiche Spitzenkandidatin ihrer Partei zu kandidieren. Und drittens haben Wahlen in Birma ohnehin nur wenig gemein mit dem, was man hierzulande unter demokratischen Wahlen versteht.
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