Die Politik des Blicks
Von Burkhard Müller-Ullrich · 08.09.2010
Man hat im Mittelalter Hexen den "bösen Blick" angedichtet. Man glaubte, ihr bloßes Hinschauen könne irgendetwas Schlechtes bewirken, deswegen wurden Hexen verfolgt und verbrannt. Das Beunruhigende am Blick ist, das er die Vorbereitung eines Angriffs sein kann. Man muss also mit dem Glotzen, Gaffen, Starren, Stieren stets ein bisschen vorsichtig sein.
Einerseits gehört es zu unserer anthropologischen Grundausstattung; der Mensch wird als Schaulustiger geboren. Andererseits gehört auch eine tief sitzende Scheu vor dem optischen Erfasstwerden dazu. Deshalb ist Blickpolitik ein Fundament der Zivilisation. Und deshalb echauffiert sich die Öffentlichkeit so sehr über drei Themen, die aufs engste miteinander verbunden sind: die Nacktscanner an den Flughäfen, das Google-Street View-Projekt sowie das Tragen des Burka oder Niqab genannten Ganzkörperschleiers.
Jedes mal geht es um die Zulassung oder das Verbot des Sehens. Unter dem Horizont des technologischen Fortschritts muss dieser Bereich ständig neu reguliert werden. Schon das Fernsehen hat wesentliche sozialpsychologische Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Intimbereich weit verschoben; inzwischen sind Webcams und Handycams in unseren Alltag eingezogen und pulverisieren sämtliche althergebrachten Vorstellungen von Persönlichkeitsschutz und Recht am eigenen Bild.
Ein immer hemmungsloserer Umgang mit Bildern und Abbildern kennzeichnet unsere Kultur. Nicht nur auf Urlaubsreisen hat man sich angewöhnt, die vor ihren Hütten und Cafés herumsitzenden Eingeborenen ungefragt abzulichten, sondern mittlerweile wird auch zuhause jedem fremden Gegenüber frech ins Gesicht geknipst. Die Industrie wirbt wahlweise mit dem Fun- oder Sicherheitsfaktor solchen Tuns und wirft optisches Spionagewerkzeug auf den Markt, von dem James Bond (in seinen Anfängen) nur träumen konnte.
Inzwischen dringen die bildgebenden Apparaturen sogar unter die Wäsche. So wird noch ein zweites Fundament der Zivilisation berührt: das Schamgefühl. Der bohrende Blick des Fremden macht nicht nur Angst, er hat auch etwas Demütigendes. Und ja, er hat auch eine erotische Komponente. Das Betrachten fremder Körper löst in jedem halbwegs gesunden Kopf Kontaktphantasien aus, Empfindungen, die ihrerseits durch Kulturmaßnahmen kanalisiert werden.
Womit wir bei der Burka wären. Denn genau vor derartigen Anblicksnebenwirkungen soll das Gewand ja schützen. Es handelt sich gewissermaßen um eine analoge Realverpixelung von Menschen im öffentlichen Raum. Burkaträgerinnen betreiben das, was hysterische Hausbesitzer von Google fordern: die Unkenntlichmachung von Visagen und Fassaden.
Dabei haben diese Forderungen einen etwas schrillen, rumpelstilzchenhaften Zug. Rumpelstilzchen ist ein deutsches Datenschutzmärchen: Ein hässlicher Zwerg freut sich wahnsinnig darüber, dass niemand weiß, wo er wohnt und wie er heißt. Weshalb er darauf so erpicht ist, bleibt allerdings unklar; vielleicht weiß er es selber nicht.
Ein Grund könnte sein, dass er sich für einen Star hält, beziehungsweise für einen solchen gehalten werden möchte. Denn das übersteigerte Pochen auf Persönlichkeitsrechte erklärt sich just durch das demütigende Bewusstsein der Bedeutungslosigkeit des Individuums in unserer Gesellschaft.
So wie sich manche Menschen dunkle Sonnenbrillen aufsetzen, weil sie dann wie Promis aussehen, die unerkannt bleiben wollen, so bläht sich das Ego mit den wildesten Inkognito-Forderungen auf. Außerdem geht es um ein lustiges Machtspiel: Verbieten macht grundsätzlich Spaß. Es stellt eine kleine Ausnahme von der ständigen Erfahrung politischer Impotenz dar. Mit der Waffe des Datenschutzes hat der deutsche Michel schon staatliche Volkszählungen verhindert, da möchte er auch gern das amerikanische Großunternehmen Google in die Knie zwingen.
Freilich wird sich der Status-Effekt des Verborgenseins alsbald umkehren, weil letztlich nur das, was sichtbar ist, im Leben zählt. Google wäre daher gut beraten, alsbald eine Seite einzurichten, auf der reumütige Hausbesitzer die beantragte Verpixelung wieder ausschalten können, wenn sie merken, wie prächtig die Anwesen zur Linken und zur Rechten im Internet aussehen.
Burkhard Müller-Ullrich, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie. Er schreibt für alle deutschsprachigen Rundfunkanstalten und viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war Redakteur beim Abendstudio des Schweizer Radios, beim Schweizer Buchmagazin "Bücherpick" und Leiter der Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk. Er ist Mitglied der Autorengruppe "Achse des Guten", deren Website www.achgut.de laufend aktuelle Texte publiziert.
Jedes mal geht es um die Zulassung oder das Verbot des Sehens. Unter dem Horizont des technologischen Fortschritts muss dieser Bereich ständig neu reguliert werden. Schon das Fernsehen hat wesentliche sozialpsychologische Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Intimbereich weit verschoben; inzwischen sind Webcams und Handycams in unseren Alltag eingezogen und pulverisieren sämtliche althergebrachten Vorstellungen von Persönlichkeitsschutz und Recht am eigenen Bild.
Ein immer hemmungsloserer Umgang mit Bildern und Abbildern kennzeichnet unsere Kultur. Nicht nur auf Urlaubsreisen hat man sich angewöhnt, die vor ihren Hütten und Cafés herumsitzenden Eingeborenen ungefragt abzulichten, sondern mittlerweile wird auch zuhause jedem fremden Gegenüber frech ins Gesicht geknipst. Die Industrie wirbt wahlweise mit dem Fun- oder Sicherheitsfaktor solchen Tuns und wirft optisches Spionagewerkzeug auf den Markt, von dem James Bond (in seinen Anfängen) nur träumen konnte.
Inzwischen dringen die bildgebenden Apparaturen sogar unter die Wäsche. So wird noch ein zweites Fundament der Zivilisation berührt: das Schamgefühl. Der bohrende Blick des Fremden macht nicht nur Angst, er hat auch etwas Demütigendes. Und ja, er hat auch eine erotische Komponente. Das Betrachten fremder Körper löst in jedem halbwegs gesunden Kopf Kontaktphantasien aus, Empfindungen, die ihrerseits durch Kulturmaßnahmen kanalisiert werden.
Womit wir bei der Burka wären. Denn genau vor derartigen Anblicksnebenwirkungen soll das Gewand ja schützen. Es handelt sich gewissermaßen um eine analoge Realverpixelung von Menschen im öffentlichen Raum. Burkaträgerinnen betreiben das, was hysterische Hausbesitzer von Google fordern: die Unkenntlichmachung von Visagen und Fassaden.
Dabei haben diese Forderungen einen etwas schrillen, rumpelstilzchenhaften Zug. Rumpelstilzchen ist ein deutsches Datenschutzmärchen: Ein hässlicher Zwerg freut sich wahnsinnig darüber, dass niemand weiß, wo er wohnt und wie er heißt. Weshalb er darauf so erpicht ist, bleibt allerdings unklar; vielleicht weiß er es selber nicht.
Ein Grund könnte sein, dass er sich für einen Star hält, beziehungsweise für einen solchen gehalten werden möchte. Denn das übersteigerte Pochen auf Persönlichkeitsrechte erklärt sich just durch das demütigende Bewusstsein der Bedeutungslosigkeit des Individuums in unserer Gesellschaft.
So wie sich manche Menschen dunkle Sonnenbrillen aufsetzen, weil sie dann wie Promis aussehen, die unerkannt bleiben wollen, so bläht sich das Ego mit den wildesten Inkognito-Forderungen auf. Außerdem geht es um ein lustiges Machtspiel: Verbieten macht grundsätzlich Spaß. Es stellt eine kleine Ausnahme von der ständigen Erfahrung politischer Impotenz dar. Mit der Waffe des Datenschutzes hat der deutsche Michel schon staatliche Volkszählungen verhindert, da möchte er auch gern das amerikanische Großunternehmen Google in die Knie zwingen.
Freilich wird sich der Status-Effekt des Verborgenseins alsbald umkehren, weil letztlich nur das, was sichtbar ist, im Leben zählt. Google wäre daher gut beraten, alsbald eine Seite einzurichten, auf der reumütige Hausbesitzer die beantragte Verpixelung wieder ausschalten können, wenn sie merken, wie prächtig die Anwesen zur Linken und zur Rechten im Internet aussehen.
Burkhard Müller-Ullrich, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie. Er schreibt für alle deutschsprachigen Rundfunkanstalten und viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war Redakteur beim Abendstudio des Schweizer Radios, beim Schweizer Buchmagazin "Bücherpick" und Leiter der Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk. Er ist Mitglied der Autorengruppe "Achse des Guten", deren Website www.achgut.de laufend aktuelle Texte publiziert.

Burkhard Müller-Ullrich© privat