Der "gläserne User" - Privatsphäre im Internetzeitalter

28.08.2010
Der Bilderdienst Google Street View hat einmal mehr die Diskussion über den Schutz der Privatsphäre im Internet aufflammen lassen. Ende des Jahres will Google den Kartendienst in 20 deutschen Städten starten. Die Protestwellen schlagen hoch.
"Soll ich mein Haus verpixeln lassen oder nicht?" Der Bilderdienst Google Street View hat einmal mehr die Diskussion über den Schutz der Privatsphäre im Internet aufflammen lassen. Ende des Jahres will Google den neuen Kartendienst in 20 deutschen Städten starten. Deutschland wäre das 24. Land, in dem die dreidimensionalen Stadtpläne angeboten werden. In keinem anderen Land schlagen die Protestwellen aber so hoch wie hierzulande. Nirgends hat das Unternehmen solche Zugeständnisse in Sachen Datenschutz gemacht.

"Ich würde mein Haus nicht abbilden lassen", sagt der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering. "Weil ich schon erlebt habe, dass mit Google Earth Bezüge hergestellt worden sind, die falsch waren." Er verweist auf negative Erfahrungen in Ländern, in denen Street View bereits angeboten wird: In Kanada flatterten Hausbesitzern nach der Veröffentlichung ihrer Hausfassade reihenweise Angebote von Malerfirmen ins Haus.

"Wenn die völlig heruntergekommene Hausfassade mit weiteren Adressdaten, mit Insolvenzdaten aus Geoinformationssystemen, mit lokalen statistischen Daten zusammengeführt wird, dann sind plötzlich viele Informationen über einen einzelnen Menschen verfügbar. Und sie werden noch mit einem Bild angereichert, das ja bekanntlich mehr sagt als 1000 Worte."

Täglich sei die halbe Republik bei Google unterwegs, egal, was man suche, welche Daten man eingebe, Google verarbeite sie zu einem individuellen Nutzerprofil.

"Das Problem ist die Verknüpfung der eigenen Daten und darüber die Personenbeziehbarkeit."

Der Nutzer zahle für die meist kostenlosen Dienste mit seinen Daten – das sei aber den wenigsten klar. Google lebe nicht schlecht von der Vermarktung: 2009 habe es 24 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaftet.

Ein weiteres Puzzlestück zum "gläsernen Nutzer": Der meist zu sorglose Umgang mit Netzwerken wie Facebook, Xing oder Studi VZ. Peter Welchering fordert daher eine gesellschaftliche Debatte über die Privatsphäre und die Menschenwürde im Netz, mehr Aufklärung über die Tücken und den selbstbestimmten Umgang darin – auch schon in der Schule.
"Ich bin ein begeisterter Onliner", sagt Ibrahim Evsan. Der Internetexperte gehörte zu den ersten Unternehmern in Deutschland, die voll auf eine Präsenz im Internet setzen, und gründete 2006 das Start-Up-Unternehmen "sevenload". Sein letzter Coup: Das Webunternehmen "United Prototype", das "Social Web Games" entwickelt. Gerade liegen er und sein Team in der Endphase für das Spiel "Fliplife".

Hier wechselt "flippt" der Spieler von seinem irdischen zu einem virtuellen Ich, einem Avatar, und erschafft sich seine eigene Lebensumgebung. Gespielt wird weltweit mit der Netzgemeinde via Facebook.

Der 34-Jährige sagt von sich selbst, dass er "internetfixiert" ist:

"Ich arbeite online, habe fast nur Online-Freunde, organisiere mich online. Ich brauche morgens als erstes Online-Informationen und abends schalte ich als letztes den Computer aus."

Es gebe immer mehr Menschen, die wie er eine zweite digitale Identität haben:

"Es gibt viele Leute, die bei Xing ein digitales Leben führen, bei Diskussionsforen mitmachen. Andere sind ständig auf Facebook, andere sind auf Twitter - manche bis zu acht Stunden lang – und suchen den ganzen Tag nach den besten Tweets. Umso wichtiger ist es, seinen Namen zu schützen, dass man das digitale Leben sehr positiv und freundlich gestaltet."

Der Webunternehmer beobachtet, dass die Online-und Offline-Welten in einer Art Kulturcrash aufeinanderprallen, dies passiere aber auch aus Unwissen und Ablehnung heraus – auch bei Entscheidern.

Er verteidigt das Netz gegen regulierende Eingriffe:

"Endlich haben wir die absolute Freiheit. Das hatten wir vorher noch nie! Jeder darf Journalist spielen, jeder darf Inhalte veröffentlichen. Zum ersten Mal können wir sagen, 'Der Mensch ist frei und kann sich mit andren Menschen zusammenschließen'. Dies ist eine neue Situation, mit der Politiker schlecht umgehen können."

Und er ist ein begeisterter Nutzer von Google Street View:

"Viele Städte freuen sich, dass sie abgebildet werden. Und es hat doch auch nur Vorteile, für Urlauber zum Beispiel. Ich war kürzlich in Schweden, ich habe mir mein Hotel über Google Street View angeschaut, die Umgebung, ob es dort Parkplätze gibt. Ich kann überall auf der Welt unterwegs sein! Ich sehe wirklich nur Vorteile. Und ich brauche dafür noch nicht einmal zu zahlen!"

Bei allem Enthusiasmus sieht aber auch er die Gefahren und Tücken, die gerade auf Nutzer lauern, die sich nicht gut genug im Internet auskennen. "Es ist wichtig, dass wir an dieser digitalen Welt nicht nur teilnehmen, sondern mitbestimmen." Deshalb hat er 2009 das Buch geschrieben: "Der Fixierungs-Code. Was wir über das Internet wissen müssen, wenn wir überleben wollen."

"Der 'gläserne User' – Privatsphäre im Internetzeitalter"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Ibrahim Evsan und Peter Welchering. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Homepage von Ibrahim Evsan
Homepage von Peter Welchering