"Die Pest zu London" von Daniel Defoe

Klassiker der Seuchenliteratur

05:18 Minuten
Illustration der Krankenlager in der St. Paul's Cathedral in London von John Franklin.
Während der Pest 1665 wurde die St. Paul's Cathedral in London als Krankenlager genutzt. © Picture Alliance / united archives / WHA
Sigrid Löffler im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Bericht aus der Gefahrenzone: Während der Beulenpest in London von 1665 lässt Daniel Defoe einen Ich-Erzähler durch die Straßen ziehen. Dieser sammelt Eindrücke, Zahlen und Fakten. Wie ein moderner Reporter.
"Die Zahl der Todesfälle schwoll an, wobei freilich oft Fieber und Fleckfieber als Ursachen angegeben wurden. Denn wer nur die Wahrheit verheimlichen konnte, tat es, um nicht von den Bekannten und Nachbarn geächtet zu werden und auch, um der Absperrung der Häuser durch die Behörden zu entgehen, eine Maßregel, die damals zwar noch nicht in Kraft war, aber angedroht wurde und in der bloßen Vorstellung die Leute mit dem äußersten Entsetzen erfüllte." (aus: Daniel Defoe, Die Pest zu London, Books on Demand 2018)

Letzter großer Ausbruch der Beulenpest in London

Der Bericht von Daniel Defoe zählt zu den großen Pest-Erzählungen der Weltliteratur. Es handele sich um einen "Klassiker der Seuchenliteratur", so die Literaturkritikerin Sigrid Löffler.
Defoe beschreibt die Pest von 1665 in London in ihren verschiedenen Stadien aus der Ich-Perspektive. Er tut dies wie ein moderner Reporter.
Als Grundlage dienten ihm dabei wohl die Aufzeichnungen seines Onkels. Denn Defoe selbst war zur Zeit der Pest erst fünf Jahre alt. Das Buch erschien schließlich 1722, lange nach dem Pest-Ausbruch.
Löffler lobt Defoes "modernen Blick" auf die Seuche. Der Autor sammelt Dokumente und Statistiken. Die Seuche ist für ihn nicht die "Geißel Gottes", sondern eine Katastrophe, der man mit vernünftigen Maßnahmen begegnen muss.
Porträt von Sigrid Löffler
Wer krank war, verheimlichte es: Sigrid Löffler liest dieser Tage noch einmal "Die Pest" von Daniel Defoe.© Picture Alliance / Eventpress Hoentsch
Löffler bezeichnet das Werk als "fiktiven Dokumentarbericht", der sich lese, als wäre Defoe selbst dabei gewesen. Die Ereignisse würden äußerst realistisch und lebendig erzählt. Vor allem der sachliche Zugang zu den Ereignissen mache den Text aktuell für heute.

Ein Kaufmann als Protagonist

Doch der Text sei auch ein Roman. Defoe nutzt als Protagonisten einen Londoner Kaufmann. Dieser beschließt, trotz der Gefahr in der Stadt zu bleiben:
"Er hamstert Vorräte. Er verschanzt sich in seinem Haus, um der Ansteckungsgefahr zu entgehen. Und doch treibt's ihn wieder hinaus – aus lauter Neugier. Er wagt sich in die leeren Straßen von London, und er lobt die Stadtbehörden."
Den hysterischen Gerüchten in der Gefahrenzone könne der Ich-Erzähler auf diese Weise reale Beobachtungen und Erfahrungen entgegensetzen.
(huc)
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