Die Parallelen wahrhafter Anhängerschaft
Geld und Glaube haben ausgesprochen viele Gemeinsamkeiten. Welche genau hat der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch untersucht und listet erstaunliche Ähnlichkeiten im Streben nach Erlösen, Tilgung der Schuld auf.
Ein 100-Euro-Schein ist zunächst nur ein kleines grünes Stück Papier. Wir achten und ehren ihn, a) weil wir darauf vertrauen, dass sein Wert gedeckt ist, solange alle anderen auch darauf vertrauen und b) weil er sich in Waren und Dienstleistungen verwandeln kann. Gewährleister dieser Wandlung ist "der Markt".
Eine Oblate beim Abendmahl ist ein kleines rundes Stück Esspapier. Von den Gläubigen ehrfurchtsvoll wertgeschätzt, weil sie a) darauf vertrauen, dass es in Leib und Blut Jesu Christi gewandelt wird und b) somit Schuld tilgen und Erlösung erwirken kann. Gewährleister dieser Wandlung ist "Gott".
Der Mannheimer Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch listet launig auf, wie parallel - er sagt "strukturhomogen" - Religion und Finanzwesen funktionieren. Gläubiger sind Gläubige, alle wollen Tilgung durch Erlöse und am Ende muss ein stellvertretender Bürge her. Dass auch Atheisten allerlei Irrationales höchst plausibel finden, sobald "Gott" durch "Geld" ersetzt wird - das war schon Karl Marx, Max Weber und Walter Benjamin aufgefallen. Jochen Hörisch aber entdeckt noch mehr: Seit dem Erdbeben von Lissabon 1755 und der beginnenden Aufklärung befragt die Theologie den christlichen Glauben kritisch, reflektiert im Dialog mit den Natur- und Humanwissenschaften, warum Gottes allmächtige Hand wohl doch nicht "alles so herrlich regieret". Anders die Volkswirtschaft: Trotz des "schwarzen Freitags" von 1929, trotz der geplatzten E-Commerce-Blase von 2002, trotz der Banken-Zusammenbrüche von 2008 und der Insolvenz ganzer Staaten wiederholt sie unbeirrt das gläubige Mantra von der "unsichtbaren Hand des Marktes", die schon alles irgendwie regeln wird.
Die "Theodizee"-Frage nach Gottes Gerechtigkeit stellen Christen ständig und falls sie dadurch vom Glauben abfallen, werden sie nicht mehr verbrannt. Die "Oikodizee"-Frage nach der Gerechtigkeit der Märkte aber, die stellen Neoliberale ungern und wer an Adam Smith's Grundgedanken vom gemeinsamen Nutzen des individuellen Egoismus zweifelt, wird als Phantast in die Ecke Marktungläubiger gestellt.
Jochen Hörisch will "die ökonomische Aufklärung auf das Niveau der religiösen Aufklärung bringen", denn ob die Transsubstantiation von Esspapier in den Leib Christi wirklich glaubwürdig ist, darf jedermann bezweifeln. Ob sich verbriefte Rentenansprüche aus 40 Jahren Arbeit einmal in reales Geld verwandeln werden, darf niemand bezweifeln. Sonst bricht das System zusammen. "Glaubensfrohe Fundamentalisten" findet man häufiger in Bankentürmen als unter Kirchtürmen und der 30jährige Konfessionskrieg zwischen Keynesianern und Milton-Friedman-Jüngern innerhalb der Volkswirtschaft ändert daran nichts.
Ein "Traktat" nennt der Autor sein Werk - ein polemisches, aber argumentativ stringentes, das unseren säkularen Glauben zu erschüttern in der Lage ist. Die unvermeidliche Frage, ob der Herr Philologe denn auch praktikable Auswege wisse aus der Banken-, Schulden- und Staatskrise - die beantwortet Jochen Hörisch mit einem überraschenden Vorschlag. Den verrate ich aber nicht, sondern empfehle sehr die Lektüre ... .!
Besprochen von Andreas Malessa
Eine Oblate beim Abendmahl ist ein kleines rundes Stück Esspapier. Von den Gläubigen ehrfurchtsvoll wertgeschätzt, weil sie a) darauf vertrauen, dass es in Leib und Blut Jesu Christi gewandelt wird und b) somit Schuld tilgen und Erlösung erwirken kann. Gewährleister dieser Wandlung ist "Gott".
Der Mannheimer Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch listet launig auf, wie parallel - er sagt "strukturhomogen" - Religion und Finanzwesen funktionieren. Gläubiger sind Gläubige, alle wollen Tilgung durch Erlöse und am Ende muss ein stellvertretender Bürge her. Dass auch Atheisten allerlei Irrationales höchst plausibel finden, sobald "Gott" durch "Geld" ersetzt wird - das war schon Karl Marx, Max Weber und Walter Benjamin aufgefallen. Jochen Hörisch aber entdeckt noch mehr: Seit dem Erdbeben von Lissabon 1755 und der beginnenden Aufklärung befragt die Theologie den christlichen Glauben kritisch, reflektiert im Dialog mit den Natur- und Humanwissenschaften, warum Gottes allmächtige Hand wohl doch nicht "alles so herrlich regieret". Anders die Volkswirtschaft: Trotz des "schwarzen Freitags" von 1929, trotz der geplatzten E-Commerce-Blase von 2002, trotz der Banken-Zusammenbrüche von 2008 und der Insolvenz ganzer Staaten wiederholt sie unbeirrt das gläubige Mantra von der "unsichtbaren Hand des Marktes", die schon alles irgendwie regeln wird.
Die "Theodizee"-Frage nach Gottes Gerechtigkeit stellen Christen ständig und falls sie dadurch vom Glauben abfallen, werden sie nicht mehr verbrannt. Die "Oikodizee"-Frage nach der Gerechtigkeit der Märkte aber, die stellen Neoliberale ungern und wer an Adam Smith's Grundgedanken vom gemeinsamen Nutzen des individuellen Egoismus zweifelt, wird als Phantast in die Ecke Marktungläubiger gestellt.
Jochen Hörisch will "die ökonomische Aufklärung auf das Niveau der religiösen Aufklärung bringen", denn ob die Transsubstantiation von Esspapier in den Leib Christi wirklich glaubwürdig ist, darf jedermann bezweifeln. Ob sich verbriefte Rentenansprüche aus 40 Jahren Arbeit einmal in reales Geld verwandeln werden, darf niemand bezweifeln. Sonst bricht das System zusammen. "Glaubensfrohe Fundamentalisten" findet man häufiger in Bankentürmen als unter Kirchtürmen und der 30jährige Konfessionskrieg zwischen Keynesianern und Milton-Friedman-Jüngern innerhalb der Volkswirtschaft ändert daran nichts.
Ein "Traktat" nennt der Autor sein Werk - ein polemisches, aber argumentativ stringentes, das unseren säkularen Glauben zu erschüttern in der Lage ist. Die unvermeidliche Frage, ob der Herr Philologe denn auch praktikable Auswege wisse aus der Banken-, Schulden- und Staatskrise - die beantwortet Jochen Hörisch mit einem überraschenden Vorschlag. Den verrate ich aber nicht, sondern empfehle sehr die Lektüre ... .!
Besprochen von Andreas Malessa
Jochen Hörisch: Man muss dran glauben. Die Theologie der Märkte.
Wilhelm Fink Verlag 2013, 132 Seiten, 17,90 Euro
Wilhelm Fink Verlag 2013, 132 Seiten, 17,90 Euro
Links auf dradio.de:
Stationen der Wirtschaftsgeschichte - Sylvia Nasar: "Markt und Moral"; Karen Ilse Horn: "Die Stimme der Ökonomen"
Mehr als ein Apologet des kruden Laissez-faire-Kapitalismus -Reinhardt Blomert: "Adam Smiths Reise nach Frankreich oder die Entstehung der Nationalökonomie"