Die neue Vielfalt der Parteienlandschaft

Bye, bye Volkspartei

03:38 Minuten
Zahlreiche Wahlplakate auch kleiner Parteien sind in einem bayerischen Dorf vor einem Haus aufgestellt.
Die ausdifferenzierte Parteienlandschaft bringt Vorteile mit sich, findet der Journalist Daniel Bax. © Getty Images / Alexandra Beier
Ein Kommentar von Daniel Bax · 25.10.2019
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Die Zeit der Volksparteien ist vorbei. Das wird oft beklagt, weil die Folge davon politische Zersplitterung sei. Man kann das aber auch positiv sehen, sagt der Journalist Daniel Bax, schließlich spiegelt sich darin auch die Ausdifferenzierung der Milieus.
Nach den Wahlen in Thüringen am kommenden Wochenende wird man womöglich das Undenkbare denken müssen. Eine Koalition von CDU und Linkspartei. Oder eine Minderheitsregierung, die sich im Erfurter Landtag auf wechselnde Mehrheiten stützt? Alles scheint möglich.
Die Lage in Thüringen ist symptomatisch für die Entwicklung unseres politischen Systems. Denn: Es gibt in Deutschland keine Volkspartei mehr, die heute noch regelmäßig große Mehrheiten der Bevölkerung auf sich vereinen kann. Selbst die CSU ist nicht mehr in der Lage, in Bayern absolute Mehrheiten zu erringen. Von der SPD in ihren einstigen Stammländern ganz zu schweigen.
Der Niedergang der "Volksparteien" wird häufig beklagt. Dabei spiegelt er nur wider, dass sich Lebensstile und politische Milieus in der Bevölkerung immer weiter ausdifferenziert haben. Die Idee einer Volkspartei hat in der Gegenwart darum keinen Platz mehr – und das hat durchaus positive Aspekte. Die Vielfalt der Gesellschaft wird jetzt eben auch im Parteiensystem sichtbar.

Sind klarere Verhältnisse von Vorteil?

Auch in anderen Ländern verlieren die Traditionsparteien an Boden. Das gilt selbst dort, wo ein Mehrheitswahlrecht oder ein Präsidialsystem dieser Entwicklung entgegen wirken. In Frankreich, den USA und Großbritannien etwa verleiht das politische System einzelnen Parteien oder Politikern mehr Macht als hierzulande. Das sorgt für klarere Verhältnisse als bei uns. Aber ist das wirklich von Vorteil?
Präsidialsysteme begünstigen die Karrieren von Seiteneinsteigern, die an keine Parteidisziplin gebunden sind und Stimmungen in der Bevölkerung besser aufgreifen können. Das birgt Chancen, wie das Beispiel von Emmanuel Macron zeigt. Er hat seine eigene Partei gegründet, die ganz auf seine Person zugeschnitten ist. Welche Risiken das mit sich bringt, lässt sich an den USA beobachten – und das nicht erst seit Donald Trump.
Auch in Großbritannien ist das althergebrachte Zweiparteiensystem erodiert. Das Mehrheitswahlrecht garantiert nicht mehr die Stabilität, die es dem Land über Jahrzehnte bescherte. Kleine Parteien haben auch dort stark an Einfluss gewonnen.

Das System der Checks und Balances funktioniert

Die Väter des Grundgesetzes haben in Deutschland ein föderales System der Checks und Balances fest geschrieben. Es zwingt Politiker aller Parteien zu Kompromissen und hat eine Kultur des Ausgleichs geschaffen. Dieses System mag vielleicht ein bisschen langweilig sein. Aber es funktioniert bis heute gut und hegt Populisten ein.
Ein Blick in die 16 deutschen Landesparlamente zeigt: Noch nie gab es so eine Vielfalt an Regierungskoalitionen wie heute. Die Zukunft hört inzwischen auf Namen wie Jamaika und Kenia. Diese wird oft als reine Notlösung beklagt. Doch in dieser Vielfalt liegt eine große Chance. Wir erleben das Ende einer monolithischen Politik des Weiter-So. Um auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren, muss die Politik flexibler werden. Die alten Volksparteien sind nicht mehr in der Lage, darauf in angemessener Weise und Geschwindigkeit zu reagieren.

Minderheitsregierungen schaffen Raum für Veränderungen

In Deutschland gibt es eine historische Furcht vor Minderheitsregierungen. Doch weil sich solche Regierungen weder auf betonierte Mehrheiten im Parlament noch auf den Fraktionszwang verlassen können, müssen sie mit politisch überzeugenden Inhalten Parlamentsmehrheiten gewinnen. Das schafft Raum für Veränderungen, die den Bedürfnissen der Bevölkerung stärker Rechnung tragen. Thüringen muss deshalb kein Menetekel sein. Es könnte sogar zu einem Zukunfts-Modell für die Politik in Deutschland werden.

Daniel Bax ist Journalist und Autor. Geboren 1970 in Blumenau (Brasilien), lebt er seit über 30 Jahren in Berlin. Er schreibt regelmäßig über Themen wie Migration und Integration, Religion und Gesellschaft sowie Musik und Popkultur. In seinem 2015 veröffentlichten Buch "Angst ums Abendland" ging er den Wurzeln des populären antimuslimischen Ressentiments nach. 2018 erschien sein aktuelles Buch "Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind".

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