Die Mär von den Brunnenvergiftern

Von Blanka Weber · 06.08.2010
Zwischen 1347 und 1351 wütete in ganz Europa die Pest. Gut ein Drittel der Bevölkerung starb an der Seuche. Weil die Juden beschuldigt wurden, das Brunnenwasser vergiftet zu haben, kam es vielerorts zu Progromen, so auch in Erfurt.
"Uns ist es wichtig, unseren Gästen zu zeigen, dass dieser Mythos Pest, den es gibt, diese Mär, dass die Juden Schuld am Ausbruch der Pest sind, das wollen wir mit Hilfe der Sonderausstellung widerlegen. Wir wollen aufräumen damit, wir wollen zeigen, die Krankheit gab es, aber der Jude hatte damit wenig zu tun, gar nichts, es war ein Vorwand, um sich zu bereichern, um die Juden loszuwerden."

Sagt Ines Beese, die Leiterin der Alten Synagoge in Erfurt. Schautafeln und ein Gewürztisch mit Beispielen mittelalterlicher Heilstoffe stehen in dem historischen Raum. Eine große abgedunkelte Vitrine enthält die Originalabschrift des Pestgutachtens der Pariser Universität von 1348. Per Knopfdruck öffnet sich eine Jalousie. Die kostbare Pergamenthandschrift gilt als eine der ältesten, sagt Thomas Boullion von der Universität Erfurt:

"Es gibt auf jeden Fall zwei Handschriften, die in Paris liegen. Diese Handschrift ist wahrscheinlich Ende der 1350-er Jahre entstanden. Höchstwahrscheinlich im ostfranzösischen Raum, keinesfalls also in Erfurt."

Pergamentschriften haben im Vergleich zu Papier keine Wasserzeichen. Deshalb können sie von Forschern nicht exakt zugeordnet werden. Eines steht jedoch fest: Das auf Latein geschriebene Gutachten der Französischen Mediziner gibt Einblick in den Stand der Wissenschaften damals. Sie beschäftigen sich mit den Symptomen und Heilmethoden. Sie geben Hinweise auf desinfizierende Kräuter und Gewürze, nennen mineralische und tierische Stoffe zum Herstellen von tablettenähnlichen Mitteln:

"Getrocknete oder frische Früchte, mit Wein genossen, schaden nicht, aber ohne Wein werden sie tödlich. Rote Rüben und anderes Gemüse, eingemacht oder frisch genossen, sind schädlich. Dagegen sind gewürzhafte Kräuter, also Salbei oder Rosmarin, sehr gesund. Der Genuss kalter, feuchter, wässriger Speisen ist größtenteils nachteilig."

Das Hauptinteresse der Zeitgenossen galt jedoch der Ursache dieser folgenreichen Seuche, sagt Thomas Bouillon. Dass die Pest eine Infektion ist, die durch Bakterien ausgelöst wird, war in Europa damals noch nicht bekannt:

"In diesem Zusammenhang kam zunächst einmal in Frankreich das Gerücht auf, was auch durch einen berühmten französischen Arzt erstmals so festgehalten war, dass die Pest durch vergiftetes Brunnenwasser sich verbreitet. Diese Brunnenvergiftung ist von diesem Arzt nicht direkt den jüdischen Bürgern zugewiesen worden als Verursacher, das ist in einem weiteren Prozess entstanden. Es war nicht die erste Welle von Verfolgungen, die es im Mittelalter gab. Aber aus dieser Vorstellung der Brunnenvergiftung hat sich dann ein europaweiter Pogrom entwickelt, auch hier in Erfurt."

In Erfurt brach die Pest im Sommer 1350 aus und wütete fast ein dreiviertel Jahr. Ein Stadtchronist schreibt, es werde angenommen, Juden hätten die Quelle eines Flusses vergiftet. Er verweist jedoch gleichzeitig auf die hohen Schulden, die Bürger, Bauern und Adlige bei den Juden haben.

Eines ist trauriger Fakt der Stadtgeschichte: Im März 1349, also noch vor dem schweren Ausbruch der Pest, begann einer der folgenreichsten Judenpogrome in der Stadt:

"Im Zusammenhang mit der Schuldzuweisung an die Juden müssen wir immer genau die parallel stattfindende große Bewegung der Geißlerumzüge in Europa sehen. In Erfurt kann man sagen, zunächst einmal gab es das Judenpogrom, dann kamen die Geißler in Erfurt an, dann kam die Pest."

Die Geißler waren eine christliche Laienbewegung - Menschen, die sich öffentlich geißelten, um Buße zu tun und sich von ihren Sünden zu reinigen. Die im Jahr 1349 ausgelöschte Erfurter jüdische Gemeinde lebte friedlich mit den Christen Tür an Tür und war gleichermaßen bedeutend in der Region wie die Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz.

In der Erfurter Bibliotheca Amploniana werden heute drei originale Pergament-Abschriften des Pariser Pestgutachtens aufbewahrt. Allesamt historische Unikate. Amplonius Rathing war einst Mediziner und vermachte seine Bibliothek, darunter sind auch hebräische Bibeln, 1412 der Stadt Erfurt.

Die Sonderausstellung Von pestbringenden Dämpfen und reiner Luft ist bis zum 6. November 2010 in der Alten Synagoge Erfurt zu sehen.
Mehr zum Thema