Die männliche Misere

Rezensiert von Brigitte Neumann · 02.05.2010
In "Heldendämmerung" geht es um die Krise des Mannes. Er ist das bislang übersehene Opfer des Patriarchats, und zwar weltweit, so dieThese der Friedensaktivistin und Sicherheitsexpertin Ute Scheub.
Sie ist so alt wie die Menschheit, gilt als praktisch unlösbare Konflikt-Konstante, etwa so wie Leben und Tod. Und den meisten hierzulande als ein Thema, so lästig wie Mundgeruch: Die Geschlechterfrage. Schon das Wort riecht ungewaschen. Ja, gewissermaßen ranzig. Es riecht nach Vergeblichkeit. Warum? Folgt man Ute Scheubs Thesen, heißt die weltweite Supermacht – jenseits aller Religionen, Systeme und Kulturen – Patriarchat. Und das seit Menschengedenken. Sie definiert sämtliche Spielregeln, hält die Männer in Schach. Und die Voraussetzung, um mitspielen zu dürfen, ist der weitgehende Ausschluss der Frauen.

"Das ist genau das Riesenproblem, dieser Männerclub oder diese Männerseilschaften, die sich auch gegenseitig immer wieder das Seilende in die Hand geben. Und das ist schon immer noch extrem schwierig, da für Frauen reinzukommen – noch am ehesten auf der politischen Ebene. Aber Militär, Wirtschaft – diese Clubs sind nach wie vor so dicht wie vorher."

Aber Ute Scheub sieht Hoffnung auf Besserung, allerdings vorwiegend außerhalb Europas, nämlich in Asien, Lateinamerika und auf dem von Gewaltausbrüchen schwer gebeutelten Kontinent Afrika. Scheub beschreibt Männerinitiativen in Südafrika, einem Land, in dem Vergewaltigung endemisch ist und alle sechs Stunden eine Frau von ihrem Intimpartner getötet wird. Sie berichtet von Männern, die sich in Workshops zusammenfinden, weil sie lernen wollen, wie man ein friedliches Leben führen könnte. Diese Männer haben begriffen, so Ute Scheub, dass die von Männern verübte Gewalt nicht nur Frauen trifft, sondern auch auf sie selbst zurückschlägt.

"Je gleicher die Geschlechterverhältnisse sind, je egalitärer, desto besser geht es allen Menschen in diesen Nationen. Also Männer müssten ein ganz großes Interesse daran haben, dass es Frauen besser geht, dass es auch Kindern besser geht, weil das vieles erleichtert. Und die Männer macht es auch glücklicher, weil sie, und das ist ja auch das Witzige an diesen neueren Erkenntnissen, dass man richtig sehen kann: Männer sind ganz schwer getroffen durch das Patriarchat. Sie leben kürzer, sie leben schlechter, sie haben ein Risikoverhalten, was ihr Leben richtig versaut. Und insofern: Es wäre eine absolute Win-Win-Situation für die ganze Welt, wenn mehr Gleichberechtigung herrschen würde."

Feministinnen werden an dieser Stelle mit einem Hauch Fatalismus einwenden, das sei ja nun schon länger bekannt. Die einschlägige Literatur kam unter anderem von Susan Faludi, Klaus Theweleit, Pierre Bourdieu und von den Pädagogen Dieter Schnack und Rainer Neutzling.

Ihr 1990 erschienenes Buch "Kleine Helden in Not" beschreibt, dass das Dilemma mit der Männlichkeit dort beginnt, wo der kleine Junge versucht, sich aus der ursprünglich erlebten Herrschaft der Mutter zu befreien und in Rollen zu schlüpfen, die sein Geschlecht als das Überlegenere imaginieren. Die Angst vor dem Rückfall ins Warme, Weiche, Weibliche bleibe dem Mann dann ein Leben lang eigen, schreibt auch Ute Scheub. Das ist ein Konflikt, der sich verschärfen kann, wenn Männer ihre Arbeit verlieren, womöglich gar an eine Frau.

"In vielen Bereichen ist das so, dass Männer sich bedroht fühlen. Sie fühlen ihre Stellung bedroht. Sie können ja untereinander unheimlich gut. Und Männer haben nun ihre traditionellen Clubs und Bars und Bordelle manchmal auch, wo sie sich treffen, wo sie das aushandeln und sehen zu, dass das eben gegenüber Frauen dicht bleibt."

Ute Scheub legt mit ihrem Buch eine umfangreiche und aktuelle Faktensammlung vor, die belegt, dass das Patriarchat weder Folklore noch Nebenwiderspruch ist, sondern eine irrationale, brandgefährliche Herrschaftsform. Krieg gilt ihr als Ultima Ratio, wenn die hegemoniale Männlichkeit bedroht ist. Kriegstreiber sind zwar immer nur wenige. Dass dann doch ganze Heere zustande kommen, liegt an etwas, das Scheub die männliche Homosozialität nennt:

"Es ist eine uneingestandene Bindung, die gleichzeitig so konkurrenzversessen und – besessen ist, und auch so negativ gelebt wird."

"Ich glaube, ein ganz wichtiger Faktor dafür, dass Männer sich so wenig verändern, und so wenig tun für die Geschlechtergerechtigkeit, ist, dass sie sich immer nur an andern Männern messen. Die innermännliche Konkurrenz und Hierarchie ist einfach extrem stark und danach richten sie sich aus. Und das ist sehr traurig, weil das natürlich dazu führt, dass man sich in ewig gleichen Mühlen befindet."

Das Buch "Heldendämmerung" ist stark, dort wo Ute Scheub Fakten und Begebenheiten aus aller Welt sammelt, um ihre These von einer in Krisen potenziell zu Kriegen neigenden Männergesellschaft zu untermauern. Das Buch ist schwach, wo es in seinem letzten Kapitel mit dem Titel "Schöner leben durch Gleichberechtigung" verspricht, Lösungen anzubieten. Mehr als die Forderung, die UNO-Menschenrechtskonvention endlich umzusetzen, kommt da nämlich nicht.

Ute Scheub vergisst außerdem, die Rolle der Frauen beim Zustandekommen der männlichen Misere mitzuberücksichtigen. Vielerorts werden sie ihr Schärflein bei der Bildung destruktiver männlicher Selbstbilder beitragen: Die mächtigen Matronen, Frauen, die sich aushalten lassen, Frauen, die auf ihrer Rolle als Ohnmächtige bestehen. Ein Buch, dass auch diese Seite der Medaille miteinbezieht, fehlt noch.

Ute Scheub: Heldendämmerung - Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist
Pantheon Verlag
400 Seiten, 14,95 Euro