Sprecherinnen: Lore Stefanek und Eva Kryll
Regie: Stefanie Lazai
Ton: Inge Görgner
Redaktion: Dorothea Westphal
"Hoffnung brauch' ich keine"
31:20 Minuten
Am 31. Oktober wird Elke Erb der Georg-Büchner-Preis in Darmstadt verliehen. Schriftstellerin Ulrike Draesner beschreibt Erbs Lyrik als nicht immer leicht zugänglich, aber es lohnt sich eine zweite Lektüre, denn sie verschiebe die Wahrnehmung.
Bei einer Begegnung mit Elke Erb bestätigt sich, dass sie so spricht und auch so hört wie sie schreibt, wenn sie beispielsweise erzählt: "Ich höre, was ich schreibe. Da habe ich ja schon mal ein Gedicht gemacht drüber: Alles, was ich schreibe, ist das Wort im Gehörgang, belauscht ist das Wort im Gehörgang."
"Was ich lebe, das schreib ich auch"
Dieser oft zitierte Satz von Elke Erb erklärt, wie sie als Schriftstellerin vorgeht und was das Besondere ihrer Prosa und Verse ausmacht. Jede Regung, jeder Blick – alles, was sie wahrnimmt, wird notiert und zum Gedicht. Manchmal reicht ein Wort, das die Assoziationskette in Gang setzt, oder ein Hinweis aus der Natur.
Die Schriftstellerin Ulrike Draesner erzählt von ihren Leseerfahrungen: "Wenn ich einen Band von Elke in die Hand nehme, dann versetze ich mich selbst schon vorher in so eine Art verschieblichen Zustand. Ich erwarte jetzt nicht, dass jedes Gedicht zu mir auf die gleiche Art und Weise für diesen Augenblick meines Lebens etwas sagt oder mir aufgeht. Das wäre ja unheimlich. Sondern, manche springen einen an und andere sind völlig opak, und man fragt sich, was will sie denn da?"
Ulrike Draesner, selbst preisgekrönte Lyrikerin und Romanautorin, ist schon lange vertraut mit den Texten von Elke Erb. Die beiden kennen sich auch persönlich. Gedichte seien schöne Mittel, um auf die eigene Vernagelung zu stoßen, sagt Ulrike Draesner, "und zu merken, schau mal an der Stelle bist du jetzt gerade ganz taub. Oder schau, wenn du da ein paar Mal nachbohrst, dann macht es plötzlich pling."
Elke Erb verschiebe die Wahrnehmung, so Draesner weiter. Das mache es für manche irritierend, mit ihr zu sprechen: "Und das höre ich eben auch in den Gedichten. Sie verschiebt die Wahrnehmung wie eine Drehung weiter und zeigt damit zugleich auch den Mechanismus dieser Wahrnehmungen auf."
Spuren aus der Kindheit
Elke Erb wurde am 18. Februar 1938 in der Eifel geboren. Bis heute finden sich in ihren Texte Spuren aus der Kindheit, die bald vom Krieg überschattet wurde. So heißt es in den "Eifel Erinnerungen":
"Wir sehen hinter den Bergen die Städte brennen, hören die Sirenen, die Flugzeuge (Mamma, ist der Russe ein Mann?), empfangen die Evakuierten, haben nichts für die Bettler oder nur eine große mitleidige Schnitte Brot, hören vom Frieden sprechen wie von einem verlorenen Paradies."
Nach Kriegsende geht Elke Erb zur Volksschule auf dem Land. Der Vater gilt als vermisst. 1949 erfahren die Mutter und die drei Mädchen, dass er aus der englischen Kriegsgefangenschaft direkt nach Halle in den Osten Deutschlands gezogen ist. Aus Überzeugung wie Elke Erb später erfährt. Die Mutter und die Schwestern kommen nach. Der Vater hat jedoch nur ein Zimmer mit Schreibtisch und Bett gemietet. Platz ist nur noch für die Mutter. Die drei Geschwister kommen für zwei Jahre in ein Heim.
Elke Erb erzählt, dass die Entfremdung, die es zwischen Mutter und Tochter bereits gab, hier ihren Höhepunkt erlebte:
"Die Entfremdung war eigentlich schon passiert. Eigentlich durch die Art, wie die Mutter war. Die Abwesenheit des Vaters und endgültig war das dann im Heim."
"Die Entfremdung war eigentlich schon passiert. Eigentlich durch die Art, wie die Mutter war. Die Abwesenheit des Vaters und endgültig war das dann im Heim."
"Die neue Sonne am Horizont"
Elke Erb studiert in Halle und beginnt mit dem Schreiben. Und sie übernimmt erste Übersetzungen aus dem Russischen ins Deutsche. Sie entscheidet sich für eine Existenz als freie Autorin, obwohl sie noch keine Zeile veröffentlicht hatte.
Anfang der 60er-Jahre beginnt sie dann, als Lektorin für den Mitteldeutschen Verlag in Halle zu arbeiten. Es entstehen erste Kontakte zu Sarah und Rainer Kirsch, zu Adolf Endler, Karl Mickel und Erich Arendt. Ihm und Peter Hacks schickt sie ihre ersten Texte. Erich Arendt antwortet: "Ich begrüße die neue Sonne am Horizont." Elke Erb erinnert sich: "Und das fand ich ja auch wirklich enorm. Wie konnte der? Hat er das doch irgendwie gemerkt, dass da mehr ist, als zu dem man sagen kann - das mir."
Seitdem sie sich in die laufende Lyrikdebatte Anfang der 60er-Jahre für eine bessere Lyrik in "diesem besseren" Land einbringt, gilt sie als regimekritisch. 1968 veröffentlicht sie ihre ersten Gedichte. In dem Band "Kastanienallee" behauptet sich ein Ich gegen das staatlich verordnete Wir. Zu jedem Gedicht gibt es Erläuterungen - eine Art Selbstvergewisserung des Denkprozesses bei der Wahl der Wörter. "Kastanienallee" ist ihr sechstes Buch und bringt ihr den Peter-Huchel-Preis ein.
Seitdem sie sich in die laufende Lyrikdebatte Anfang der 60er-Jahre für eine bessere Lyrik in "diesem besseren" Land einbringt, gilt sie als regimekritisch. 1968 veröffentlicht sie ihre ersten Gedichte. In dem Band "Kastanienallee" behauptet sich ein Ich gegen das staatlich verordnete Wir. Zu jedem Gedicht gibt es Erläuterungen - eine Art Selbstvergewisserung des Denkprozesses bei der Wahl der Wörter. "Kastanienallee" ist ihr sechstes Buch und bringt ihr den Peter-Huchel-Preis ein.
Ihre Texte seien nicht immer leicht zugänglich, findet Ulrike Draesner: "Mir geht es oft mit Elkes Texten so, dass ich sie lese und wirklich weglegen muss und nachwirken, nachhören. Und natürlich, wenn man später wieder draufschaut, fünf Minuten später oder einen Tag später, hat man sich ja selbst auch verändert. Und auch der Text hat sich verändert. Und das finde ich sehr schön, dass Literatur das kann."
"Meine lunatische Dichterin"
Diese Begeisterung beim wiederholten Lesen von Texten widerfährt Elke Erb seit Jahren bei der Lektüre der Gedichte der österreichischen Lyrikerin Friederike Mayröcker. 1993 bringt sie die gesammelte Lyrik und Prosa dieser Seelenverwandten heraus. Als eine Art Jungbrunnen empfindet sie es, die Gedichte der Kollegin zu lesen, wie sie sagt: "Du kannst es immer wieder lesen. Du begibst dich als Fisch in diesen Weiher und du wirst immer wieder der neue Fisch. Du strahlst vor Leben, von ihr. Weil sie total ist. Sie ist wirklich unbedingt. Sie ist total Schreibende."
In Wien erzählt Friederike Mayröcker, dass die beiden eine lange Freundschaft verbinde: "Manchmal meldet sie sich am Vormittag, und dann nehme ich ein Notizheft und schreibe alles auf, was ich rasch aufschreiben kann. Weil die Sachen sind so wunderbar, was sie sagt. Und ich gebe dann natürlich an, dass das Elke Erb ist, wenn ich es verwende für meine eigenen Sachen."
Am 31. Oktober wird Elke Erb der Georg-Büchner-Preis verliehen. Die Gratulation von Friederike Mayröcker, die in der Sendung zum Geburtstag gedacht war, passt auch zu diesem Anlass:
"Liebe Elke, meine lunatische Dichterin - große Freundin - viele Deiner Gedichte hätte ich selbst gerne geschrieben. Sei umarmt und beglückwünscht von Deiner alten Friederike."
(DW)
Die Sendung lief erstmals am 12.2.2008, anlässlich des 70. Geburtstages der Autorin.