Die Liebe zum Schund

25.10.2012
Der Romancier Jonathan Lethem liebt das Randständige und das Kaputte. Er ist der Popkultur in jeder Erscheinungsform verfallen: Musik, Comics, Heftchenliteratur. In seinen "Bekenntnissen" erzählt er von dem, was ihn als Fan und Leser prägte.
Beim Anblick des Titels dieses neuen Buches von Jonathan Lethem fragt man sich unwillkürlich, ob es dafür wirklich schon Zeit ist: für die Memoiren eines Schriftstellers, der gerade einmal 48 Jahre alt ist. Und der zwar einer der bekannteren amerikanischen Schriftsteller sein mag, insbesondere außerhalb der USA, sicher aber noch nicht die Größe und Bedeutung eines Jonathan Franzen oder eines Richard Ford hat.
Beim Lesen merkt man allerdings, dass es tatsächlich nur darum ging, den hier versammelten Essays, Liebeserklärungen und journalistischen Arbeiten von Lethem einen Rahmen zu geben. Jonathan Lethem erzählt kurz von seinen jungen Jahren, in denen er in Buchhandlungen jobbte und irgendwann der Science-Fiction-Literatur verfiel, um sich schließlich intensiv mit den zahlreichen, insbesondere popkulturellen Einflüssen seit seiner Jugend zu beschäftigen, die ihn nicht zuletzt zum Schreiben animiert haben. "The Ecstasy of Influence" heißt diese Essaysammlung dann auch im Original.

Dieser Titel verdankt sich einem berühmt-umstrittenen Aufsatz, den Lethem über das Plagiieren geschrieben hat. Hauptthese: Alle Kunst basiert auf den Ideen und Einflüssen anderer; Plagiate gehören dazu, es kommt halt auf ihren kreativen Gebrauch an. "Ich hatte versucht", so Lethem in einem Nachwort zu seinem selbst aus lauter Samples bestehenden Essay, "einen Bereich in der Mitte des Schlachtfelds zu besetzen, ein Niemandsland zwischen zwei Extremen: den Anarchisten, die das Copyright ganz abschaffen wollten, und denjenigen, die (...) einem romantisierenden Bild eines im prometheischen Vakuum operierenden Künstlers nachhingen."
Zuerst aber waren in Lethems Leben nur seine Hippie-Eltern und ein Gedanke:"Schriftsteller, dachte ich, wird man so: Man jobbt in einer Buchhandlung, bis man seinen ersten Roman vorlegen kann." Also zählt er die Buchhandlungen auf, in denen er in New York City und in Berkeley gearbeitet hat, was nicht so aufregend ist. Es folgen Texte, in denen er seine Begeisterung für Autoren wie Philip K. Dick und J.G. Ballard oder für Comic-Superhelden von Superman bis Spiderman erläutert, was sich schon aufregender liest. Und am Ende kommen die wirklichen Glanzstücke dieses Buches: tolle Erzählungen über Begegnungen mit James Brown, dem "Godfather of Soul" und Bob Dylan.
Lethem, das spürt man in jedem dieser Essays, ist Fan und Lesender, er liebt das Randständige, das Kaputte, er ist der Popkultur in jedweder ihrer Erscheinungsformen verfallen: Musik, Comics, Heftchenliteratur. Dabei gibt es natürlich Probleme: Wenn das Randständige populär wird, zum Mainstream wird, wie in den Batman- und Spiderman-Verfilmungen. Oder wenn überhaupt immer gleich von "Popkultur" die Rede ist. "Ich bevorzugte meist Unpop: Comics, die wegen mangelnder Leserschaft eingestellt waren, Bands sans carrière, Schundautoren, deren bestellte Textmengen hinter austauschbaren Titelbildern veröffentlicht wurden."

Jonathan Lethem hat all das in seinen bisher sieben Romanen verarbeitet. Er hat sich an einem Science-Fiction-Roman genauso versucht wie an einem Indierock-Roman und Superhelden-Geschichten. Berühmt geworden ist er jedoch mit einer Art von Brooklyn- und Familienroman: "Die Festung der Einsamkeit". Wer also wirklich alles aus dem Leben dieses Schriftstellers wissen will, muss diesen Roman lesen.

Besprochen von Gerrit Bartels

Jonathan Lethem: Bekenntnisse eines Tiefstaplers
Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens
Klett-Cotta, Stuttgart 2012
352 Seiten, 21,95 Euro (16,99 als E-Book)
Mehr zum Thema