Die Kunst des Glaubens

Rezensiert von Gunnar Lammert-Türk · 26.12.2012
Esther Maria Magnis wurde katholisch erzogen. Als ihr Vater starb, brach sie mit Gott. Losgelassen hat sie die religiöse Sinnsuche aber nicht. Nun hat die inzwischen 32-jährige Autorin ein Buch vorgelegt, das sie als "Bekehrung" versteht.
Eins gleich vorneweg: Dieses Buch ist ein moderner Nachfolger der Bekenntnisse des Kirchenvaters Augustin. Der schrieb im 5. Jahrhundert nach Christus über Gott:

"Denn zu dir hin hast du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir."

Kann man solche Gedanken auch im Jahr 2012 noch schreiben? Esther Maria Magnis tut es. Das Buch ist das Zeugnis einer religiösen Suche, des Ringens mit dem Tod und mit Gott. Es ist unterteilt in drei Phasen - Schwarz, Weiß und Rot, angelehnt an den Schneewittchenstoff.

Der erste Teil, Rot, steht für den Lebenshunger, aber auch für das Leid. Als Mädchen will die Autorin das Leben aufbewahren, mit den Mohnblumen, die sie vom Feld holt. Doch ...

" ... am Abend in der Vase schliefen sie ein, und alle Blätter fielen auf den Tisch. Ich versuchte das immer wieder als Kind. Immer wieder pflückte ich den Mohn und war immer wieder leicht enttäuscht, dass er nicht in unserer Küche so rot blühen wollte."

Rot, die Farbe des Lebens, ist auch die des Blutes. Als Vierjährige hört Esther Maria Magnis auf einem Bauernhof einen markerschütternden Schrei. Dann sieht sie die aufgeschlitzte Sau.

"Und die Männer holten rote Sachen aus ihrem Bauch. Überall roter Dampf in meiner Erinnerung, die an manchen Stellen so dunkel wie das Rot hinter den geschlossenen Lidern erscheint."

Blitzartig und rätselhaft lässt Magnis hier das Leid aufscheinen. Ein weiteres Erlebnis beschreibt sie noch geheimnisvoller. Sie steht unter dem sommerlichen Sternenhimmel am Meer. Sie fühlt die Tiefe des Himmels wachsen, und das Rauschen der Wellen scheint sich vom Strand in diese Weite zu wenden.

Für die Autorin ein Schlüsselmoment:

"In mir, ohne Konsonanten, ohne Vokale - mein Name. Die Welt trat nicht zurück, aber ich trat aus ihr hervor. Mitten aus der Nacht, weil mein Name in mir nachklang. Die ganze Zeit. In einer Weise, in der ich nicht sprach. Darin lag ein Ernst, liebevoll und gleichzeitig unbedingt."

Da ist Esther Maria Magnis noch ein Kind. Sie erlebt ihren Gott als sanft und von berückender Gegenwart. In der Kirche dagegen ist er langweilig und spießig. Als ihr Vater dann an Krebs erkrankt und schließlich stirbt, wird das Rot des Lebens ganz zur Farbe des Leids. Die Autorin schildert das Leiden um den Sterbenden mal leise, poetisch und zart, mal laut, grell und derb. Und wie sie, die mit all ihrer seelischen Kraft um ihn gebetet hat, beinahe den Verstand verliert.

"Wahnsinn ist, wenn man Türen eintreten muss, um ins Herz des Hauses zu gelangen, an den Kern, an das kleine, einzig harte, immerwährende Atom, an das man sich retten kann. Wenn sich Sekunden hinter einem als Loch auftun, worein der Boden stürzt und einem unter den Fersen schon wegbricht. Und man rennt schreiend durch das Haus und spannt die Muskeln an, um die Türen einzutreten. Und ins Nichts stößt man seinen Fuß."

Soweit die erste Phase des Buches: Rot. Im zweiten Teil, "Weiß wie Schnee", wird der Tod zum großen Gleichmacher. Jede Spur und jeder Laut, jeder Lebenssinn wird von ihm geschluckt. Esther Maria Magnis will mit dem Tod ihr Auskommen finden und beschließt, Gott loszuwerden. Dieser Versuch endet in verzweifelter Konsequenz in einem Rausch des Nihilismus, in der Vision einer Welt ohne Menschheit.

"Gut und Böse sind mit uns verschwunden, und dann ist das Universum erlöst vom Stöhnen der Menschen, vom Atmen und Keuchen. Vom Wimmern und Lachen. Vom Lärm, der hier war. Es wird Stille sein. Wer die Freiheit aus dieser Stille in sich entdeckt, der muss nicht mehr kämpfen, der muss nicht mehr lieben, dem zaubert das Nichts ein Lächeln aufs Antlitz. Dasselbe, das wir von den Leichen kennen. Erlöst vom Dasein."

Aber das Buch trägt nicht nur den Titel: "Gott braucht Dich nicht", sondern auch den Zusatz: "Eine Bekehrung". Und deshalb folgt auf den schneeweißen Nihilismus die dritte Phase. In "Schwarz wie Ebenholz" gibt Esther Maria Magnis ihrem Gott wieder Konturen, dem ebenholzfarbenen Fensterrahmen des Märchens entsprechend. Und sie übt sich in Erklärungsversuchen.

"Es mag still gewesen sein in jenen Zimmern, unerträglich still - Gott war stiller. Sein Schweigen scheint mir unerbittlich gegen das Schweigen der Welt. Seine Stille ist gnadenlos gegen den Tod. Sie bringt das Nichts zum Bersten. Gott untergräbt die Stille. Es muss eine Macht darin liegen, die ich nicht verstehe."

Das ist der Schluss, den die Autorin zieht: Auch im Kampf um den krebskranken Vater habe Gott ihr still und doch wirksam beigestanden. Auch davon soll dieses Buch berichten.

"Ich glaube, die Liebe in uns zieht. Sie kann nicht beruhigt werden. Nur vorläufig, aber nie ganz. Sie zieht. Zu Gott. Und darum leiden wir. Ich glaube, wir vermissen Gott. Nicht alle. Ich weiß, dass es gute Gründe gibt, nicht zu glauben. Aber manchmal denke ich, die meisten Menschen sind einfach nur traurig, dass er nicht da ist."

"Gott braucht dich nicht" ist persönliches, offenes Buch. Und Esther Maria Magnis schreckt nicht vor klaren Worten zurück:

"Mich kotzt eine Gesellschaft an, die ihren Kindern ums Verrecken ein Selbstbewusstsein anerziehen will, nur um es später wieder zu rauben. Selbst? Seele? Was ist das? Wir haben keine. Ich habe das drei Jahre lang gelebt. Nicht als Theorie verbreitet, sondern gelebt und bin froh, dass ich damit nicht in der Klapse gelandet bin."

Ihre Wut richtet sich auch gegen Versuche in der Kirche, Gott seines Geheimnisses zu entkleiden. Denn ein banalisierter Gott taugt nicht für das Ringen mit dem Tod, das wird bei der Lektüre deutlich. Esther Maria Magnis hat ein leidenschaftliches Plädoyer abgeliefert für die Aktualität der Gottesfrage. Denn, davon ist sie überzeugt, mit ihr hängen die großen alten Fragen nach Wahrheit und Schönheit und dem Geheimnis der menschlichen Existenz eng zusammen. Fragen, die uns nach wie vor beschäftigen.

Esther Maria Magnis: Gott braucht Dich nicht. Eine Bekehrung.
Rowohlt, Reinbek 2012