Die kulturelle Souveränität ist "so wichtig wie die Verteidigung"

Von Martina Zimmermann · 17.06.2013
Mit einem Veto hatte Frankreich gedroht, sollte der Kulturbereich nicht von den Verhandlungen um eine Freihandelszone zwischen EU und USA ausgenommen werden. Nach wochenlangem Kampf hat die EU-Kommission am Freitag schließlich nachgegeben. Im Land wurde nun der Sieg gefeiert.
"In bestimmten Augenblicken muss man in der Politik Nein sagen. Frankreich hat Nein gesagt, und ich glaube, dass viele in Europa Frankreich dafür dankbar sind."

...so die französische Kulturministerin. Aurélie Filippetti erinnerte daran, dass Frankreich schon 1993 die "kulturelle Ausnahme" durchgesetzt hatte während der Neuverhandlungen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT. Bereits damals hatten die Filmemacher ein Flugzeug gechartert, um Brüssel zu sagen, was sie vom amerikanischen Standpunkt hielten, Kultur sei eine Ware wie jede andere. In Europa hat Kultur einen Sonderstatus, der Museumsförderung, Theatersubvention und Buchpreisbindung oder Quoten in Radio- und Fernsehprogrammen erlaubt.

Auch die Zauberformel der französischen Filmförderung heißt "Exception culturelle". Eine Abgabe für jede Kinokarte, die Beteiligung der Fernsehsender an der heimischen Filmförderung. Dank solcher Maßnahmen verfügen die französischen Produzenten über die höchsten Fördergelder Europas. Der französisch-rumänische Regisseur Radu Mihãileanu warnt vor einer "kulturellen Invasion":

"Ohne die 'kulturelle Ausnahme' hätte ich meine Filme nicht machen können, weder 'Den Zug des Lebens' noch 'Gehe und lebe'. Wäre ich allein vom Markt abhängig gewesen, hätte man für 'Gehe und lebe' Stars verlangt. Welcher Star hätte einen kleinen Äthiopier gespielt? Dieser Film wurde dank der 'kulturellen Ausnahme' möglich. Damals dachte keiner, dass der Film Geld bringen würde. Letztendlich war er ein Erfolg von Amerika bis nach Japan."

Auch "The Artist" hätte keiner ohne Förderung finanziert, einen Stummfilm in Schwarz-Weiß. Die für den Film preisgekrönte Schauspielerin Bérénice Bejo und Regisseur Michel Hazanavicius haben sich für die "kulturelle Ausnahme'" eingesetzt. Im April richteten 80 europäische Filmemacher eine Petition an die Europäische Kommission mit der Forderung, den Filmbereich auszuschließen bei den im Sommer beginnenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Inzwischen haben 7000 unterschrieben, darunter auch Costa-Gavras und Wim Wenders. Während des Filmfestivals in Cannes unterstützte Jury-Präsident Steven Spielberg den Kampf.

Aber es geht auch um Fragen zum Urheberrecht und darüber, wer an Kulturprodukten verdienen soll, erklärt Musiker Jean-Michel Jarre:

"Man muss aufhören, die Idee zu verbreiten, dass es auf der einen Seite die guten Jungs gibt, die Fabrikanten von Telefonen und Rohren, und auf der anderen die Leute, die dauernd jammern, obwohl sie auf Goldsäcken sitzen: die europäischen Künstler, die an ihren Errungenschaften und der Vergangenheit festhalten. Das ist falsch. Die Deutschen waren Pioniere in ökologischen Fragen. Genauso wichtig ist heute der Kampf für Kultur und Urheberrecht. Barroso täuscht sich. Wir sind die Vertreter der Modernität, er ist reaktionär."

Der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso hatte heute die französische Position als "reaktionär" bezeichnet. Dazu die Kulturministerin Aurélie Filippetti kalt:

"Diese Worte sind erschreckend und unakzeptabel seitens des Präsidenten der Europäischen Kommission. Sie sind ein Angriff auf alle, die mit Frankreich gekämpft haben: Künstler, Kreateur und die Völker Europas, denn das EU-Parlament hat mit einer überwältigenden Mehrheit für die 'kulturelle Ausnahme' gestimmt."

Sogar der deutsche Kollege Naumann sei dafür gewesen, erklärte Filippetti, aber er sei von seinen Regierungskollegen übertönt worden. Es sei der Entschlossenheit von Präsident Hollande zu verdanken, dass über die 'kulturelle Ausnahme' nicht verhandelt werde. Man werde wachsam bleiben, versprach die Ministerin.

"Wir wollen eine Partnerschaft mit den USA, aber nicht um jeden Preis. Wir wollen die Instrumente für eine kulturelle Souveränität bewahren. Das ist mindestens so wichtig wie Landwirtschaft und Verteidigung. Auch die Kultur sorgt für Arbeitsplätze und Wachstum."

Der Kulturbereich und kreative Unternehmen in Europa machen 3,3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes aus, rechnet Filippetti vor, das seien 6,7 Millionen Arbeitsplätze in Europa."

Jean Michel Jarre hat über 80 Millionen Platten verkauft. Der Musiker hätte wohl auch ohne "kulturelle Ausnahme" international Karriere gemacht. Dennoch meint er:

"Das betrifft alle. Überall gibt es Kinder, die Musiker oder Fotograf werden wollen oder Filmemacher, die Videospiele erfinden oder Journalist werden wollen. Wird Kultur zur Ware, werden alle diese Jugendlichen ihr Geld einmal mit einer anderen Arbeit nebenher verdienen müssen. In den Entwicklungsländern ist es noch schlimmer. In Afrika, in Südostasien werden Länder intellektuell geplündert. Wer sich in Brüssel oder Washington für das Urheberrecht einsetzt und für die 'kulturelle Ausnahme', kämpft für mehr Gerechtigkeit in der Welt."
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