Die Inkarnation des Bösen

06.04.2012
"Uhrwerk Orange" - schon der Titel ist Legende, Hauptfigur Alex gilt als "Inkarnation des Bösen". Zum fünfzigjährigen Jubiläum des Romans über Jugendgewalt von Anthony Burgess ist das preisgekrönte MDR-Hörspiel "Uhrwerk Orange" aus dem Jahr 1995 erschienen.
"Beethoven: "O Freunde, nicht diese Töne ... "
"Halunken! Schweine! Mein Lebenswerk!"
Mit dem Papier des Manuskriptes verstopften wir ihnen den Mund. Dim schlug Alexander brutal zusammen. Er lag halb tot auf dem Boden ... "

Die Droogs sind eine Jugend-Gang, angeführt von dem vierzehnjährigen Alex. Sie leben in einer trostlos futuristischen Vorstadt Londons, in einer ungenannten Zukunft, und sprechen eine merkwürdige englisch-russische-Mischsprache. In der Korova-Milchbar schlürfen sie drogenversetzte Cocktails, um dann mit Terror die Zeit totzuschlagen. Marodierend ziehen sie durch die Gegend und dringen in die Villa eines Schriftstellers ein, lassen ihn die Seiten seines Hauptwerks mit dem Titel "Uhrwerk Orange" verspeisen und schlagen ihn zum Krüppel.
Alex‘ Sozialarbeiter ist wieder einmal fertig mit den Nerven:

"Eins kann ich dir sagen, mein kleiner Alex. Das nächste Mal wird es nicht mehr die Besserungsanstalt sein. Beim nächsten Mal kommst du ins Loch. Du hast meine Arbeit ruiniert! Für dich setze ich mich nicht mehr ein. Oh, nein, ich weiß jetzt, dass du die Inkarnation des Bösen bist ... "

Das nächste Mal lässt nicht lange auf sich warten. Eine Künstlerin wird überfallen und brutal vergewaltigt. Aber gleich anschließend proben die Droogs den Aufstand gegen Alex, diesen selbstherrlichen Gewalt-Snob, der sich gern zu Beethoven-Klängen Bestialitäten ausmalt. Von seiner Gang verprügelt und im Stich gelassen, findet er sich in Polizeigewahrsam wieder, muss sich für einen Mord verantworten.

"Ist sie tot, he? Naja, echt Horrorshow."
"Sehr richtig, eine Horrorshow ... "
"Und ich bin gerade erst vierzehn!"
Gefängnischor: "Schwach sind wir - schlapper Tee - rühr dreimal um - dann ist er stark ... Amen!"

Das Thema von "Uhrwerk Orange" hat nichts an Aktualität eingebüßt, im Gegenteil. Exzesse jugendlicher Gewalt sind ein großes mediales und politisches Thema, verbreitet die Angst vor den U-Bahn-Prüglern, Messerstechern und Kopftretern. Das Böse ist in der Welt - wie bekommt man es wieder hinaus? Wie weit darf die Gesellschaft gehen, um der Gewalt Herr zu werden? Und wer macht sich die Angst vor ihr womöglich zunutze? Das sind Fragen und Probleme, die Burgess in "Uhrwerk Orange" antreiben.

"Gemeine Verbrecher wie diese widerwärtige Bande hier behandelt man am besten mit einem radikalen Heilverfahren. Wir töten das Kriminelle in ihnen ab, nicht mehr und nicht weniger ..."

Es gibt eine neue Therapie gegen die Gewalt: Die Ludovico-Technik. Alex, der keine Lust auf lange Jahre im Knast hat, meldet sich als eines der ersten Versuchsobjekte. Es handelt sich um eine radikale Form der negativen Konditionierung. Alex werden übelkeitserregende Medikamente verabreicht und gefilmte Gewaltszenen zwangsvorgeführt.

"Jetzt sieh! Eine Enthauptung - ein Schnitt wie ein scharfer Pfiff. Ab ist der Kopf ... "
"Nein, nein, nein! Arghhh! Ich muss kotzen ... !"

Das Hörspiel kann überzeugen durch finstere Atmosphäre, die von den Ambientklängen geschaffen wird, und sehr gute Sprecher-Leistungen. Martin Olbertz spielt die Alex-Figur mit überschießender Vitalität, Zynismus und Leidensdruck.

"Ich bin geheilt! Lassen Sie mich raus! Ich hab jetzt 'n Durchblick. Klar wie am hellichten Tag. Tollschocks und das olle Rein-Raus, das is'n Scheiß, ein ganz großer Scheiß. Jetzt hab ich‘s kapiert! Das reicht! Das reicht!"
"Deine Behandlung hat gerade erst begonnen. Und jetzt sehen wir ein Konzentrationslager der Nazis ... "

Soll man dem Menschen die Freiheit zum Bösen nehmen, indem man ihm die Gewaltneigung wegkonditioniert? Bei Alex läuft einiges schief. Die Liebe zur Musik wird ihm versehentlich mitausgetrieben. Zu jeder Aggression unfähig und als geheilt entlassen, kehrt er in eine Gesellschaft zurück, die sich schadlos hält an dem Wehrlosen.

"Oho nein!"
"Surprise ... Surprise"
"Dim! George! Ich werd nicht mehr ... Ist das jetzt ultramodern? Sieht aus wie die Bullenkluft."
"Ist die Bullenkluft, Alex. Trau deinen alten Glotzis. Nix Tricks. Ein Job für Boys, die ins Jobalter gekommen sind, Alex. Gute Kohle."

Zuerst wird Alex von den zu Polizisten mutierten Ex-Kumpanen Dim und George zusammengeschlagen; dann nutzt der Schriftsteller, dem Alex einst das Leben ruinierte, die Gelegenheit zur Rache, will sagen: zur perfiden Beethoven-Folter.

Anthony Burgess schwarze Satire ist hörenswert, wenn auch leider mit knapp einer Stunde nur ein Schnelldurchlauf durch den Roman. Dieses Uhrwerk hätte gern ein wenig länger ticken dürfen.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Hörspiel:
Anthony Burgess: Uhrwerk Orange

1 CD - Laufzeit 58 Minuten, 14,99 Euro
DAV, Berlin 2012
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