Die Hitmacher - Folge 4

Pop in der Authentizitätsfalle

Ein Porträt von Pop-Queen Beyoncé auf dem Roten Teppich bei den MTV Music Awards
Immer voll authentisch: Sängerin Beyoncé © picture alliance / dpa / Jason Szenes
Von Ina Plodroch · 03.08.2017
Obwohl längst klar ist, dass Popsongs quasi industriell in Arbeitsteilung hergestellt werden, erheben die Musiker trotzdem den Anspruch, authentisch zu sein. Selbst Superstar Beyoncé tut das. Warum ist diese Authentizität so wichtig? Schuld daran ist mal wieder – Bob Dylan.
Max Giesinger ist einer von 80 Millionen, einer von uns, mal niedergeschlagen, mal gut drauf – und er ist einer von den vielen deutschen Song-Poeten, die sich nur um eine Haaresbreite voneinander unterscheiden. Ihr Geschäft: Irgendwie gefühlige Songwriter-Musik zu schreiben, die immer so wirkt, als kämen die Pauschalkeulen direkt aus ihrem Herzen.
Jan Böhmermann: "Die neuen Deutschen Pop-Poeten schreiben tiefgründige Lyrics, da stecken echte Künstler hinter, echte Singer/Songwriter, keine Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo."
Jan Böhmermann im April in seinem "Neo Magazin Royal".
"Und Max Giesinger. Ich habe mir alle deine Songs genau angehört, zurecht bis du stolz auf deine echte Autorenschaft.
Max Giesinger: 'Das ist wirklich wichtig für mich, ich würde mir das nicht von anderen schreiben lassen.'
Moderator: 'Du schreibst das alles alleine?'
Max Giesinger: 'Mit einem Kumpel, mit dem mache ich das zusammen'."
Sagte Max Giesinger in einem Interview – obwohl er zumindest "80 Millionen" mit gleich drei sehr professionellen Kumpels geschrieben hat: den Musikern und Komponisten Martin Fliegenschmidt, David Jürgens und Alexander Zuckowski . Seine PR-Beratung und er selbst lassen es lieber unerwähnt, dass er wie die meisten Pop-Musiker im Chart-Geschäft seine Songs nicht alleine schreibt.
Ralf von Appen: "Wenn es um das Kerngeschäft geht, das Ausdenken der neuen Songs, dann ist es noch nicht akzeptiert, dass es da wie in einer Fabrik zugeht."

Authentizität - der Lackmustest für Rockmusik seit Dylan

Ralf von Appen untersucht als Musikwissenschaftler die Rolle von Authentizität in der Popmusik. Aber ist ein Song wie "80 Millionen" unglaubwürdiger, weil Giesinger ihn nicht alleine geschrieben hat?
"Das sind Leute aus dem Singer-Songwriter Bereich, wo man als Hörer dann auch meint, die würden aus ihrem Leben berichten. Da ist wichtig, dass der Eindruck vermittelt wird, dass die eigene Autoren ihrer Songs sind."
Dass sie an diesem Anspruch festhalten, daran ist vor allem einer Schuld, meint von Appen:
"Dylan war einer der ersten im Business, der seine Songs selber geschrieben hat. Dann wären die Beatles noch zu nennen, Chuck Berry. Aber ab dem Moment, wo Dylan gekommen ist und die Beatles, gab es kein zurück mehr. Da war es für Rockmusik als Gegenkultur entscheidend, dass die Leute ihre eigenen Songs geschrieben haben. Da war jeder, der das nicht gemacht hat langweiliges Pop-Establishment für die Eltern und nicht mehr Teil der Jugendkultur."
Sänger Ed Sheeran mit einer Gitarre und Mikrofon in der Hand während eines Konzertes
Auch Ed Sheeran gibt sich wie eine Authentizitätsbombe.© imago/CordonPress
Und deshalb tut die Popwelt weiter so, als wären Charts voller echter Genies, die nur aus sich heraus schöpfen. Das zeigt nicht nur Max Giesinger: Auch Ed Sheeran gibt sich wie eine Authentizitätsbombe – der Typ von nebenan, der nur sich und seine Gitarre braucht und Millionen mit seinem Leben berührt.
Und das in einer Zeit, in der es nur so von Selbstdarstellern in den sozialen Netzwerken wimmelt und die Fans doch eigentlich mal genug von so viel Echtheit haben müssten.

Glaubwürdige Geschichten verkaufen sich besser

Von Appen: "Das heißt, dass wir Musik noch besser finden, wenn wir eine Geschichte dahinter kennen, wenn wir Indizien dafür haben, dass er aus seinem Leben berichtet, da wäre Grönemeyer mit dem Mensch-Album, das er geschrieben hat, nachdem sein Bruder und seine Frau gestorben sind, Beyoncé wurde angeblich betrogen. So etwas nehmen wir dann als persönlich wahr."
Seltsam ist das schon – warum muss Beyoncé unbedingt von sich erzählen? Mit der Literatur verglichen wäre es ja fast schon absurd: Ein Roman nur als gelungen zu bewerten, wenn er autobiografisch ist.
Der Superstar Beyoncé berichtet offenbar so freizügig aus ihrem Leben wie der Singer-Songwriter an der U-Bahn-Station – mit dem Unterschied, dass oft über zehn Komponisten und Produzenten an ihren Songs gewerkelt haben. Auch sie kündigte direkt nach der Geburt ihrer Zwillinge an: Sie arbeitet an neuem Songmaterial – und man hat die Lyrics voll mütterlichen Stolz schon fast vor Augen. Diese Inszenierung betrifft die handwerkliche Authentizität, sagt Ralf von Appen.
"Wir wollen nicht wie bei Milli Vanilli betrogen werden, so dass die Leute gar nichts damit zu tun haben, was im Studio passiert. Und wir wollen dass die, die es auch ehrlich können, bekannter werden als die, die tricksen."

Image und Message müssen zueinander passen

Deshalb klebt dieser Anspruch am Pop wie ein Kaugummi, das lange nicht mehr schmeckt. Dabei spricht doch nichts dagegen, wenn keine persönliche Geschichte erzählt wird – oder die Lyrics zumindest gemeinsam entworfen werden. Niemand hat so viel Herzschmerz, dass er damit eine ganze Popkarriere füllen kann.
Worauf es ankommt: dass wir dem Künstler auf der Bühne glauben wollen – und das auch können. Dass Image und Message zueinander passen.
Der eine kann bessere Beats produzieren, der andere bessere Melodien schreiben, der Sänger selbst erzählt vielleicht die besten Geschichten – es kann Songs also auch besser machen.
Und vielleicht vollzieht sich auch ganz langsam ein Wandel: Bei Joy Denalane beispielsweise, bei der auch Martin Fliegenschmidt, David Jürgens und Alexander Zuckowski mitgeschrieben habe, also die "Kumpels" von Max Giesinger, hat das Label Universal ganz offen kommuniziert, mit wem die Sängerin an ihren Songs gearbeitet hat. Ziemlich authentisch, oder?
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