Die Hagia Sophia vor dem ersten Freitagsgebet

So stehen die Istanbuler zur „neuen“ Moschee

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Blick auf die Hagia Sophia in Istanbul. Im Vordergrund weht eine türkische Flagge, die ein Mann auf dem Platz in die Höhe hält.
Nach mehr als 80 Jahren wird am 24.7. zum ersten Mal wieder ein Freitagsgebet in der Hagia Sophia stattfinden. © imago / Seskim Photo
Von Karin Senz |
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"Eine Frage der inneren Souveränität": Der türkische Präsident Erdogan verbittet sich ausländische Einmischung zur Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee. Das sehen manche Istanbuler genauso. Aber es gibt auch andere Stimmen.
Entenkopf-Grün – das ist die Farbe des neuen Teppichs, den Erdogan in der Hagia Sophia Moschee ausrollen läßt – 100 Prozent Baumwolle, 100 Prozent "Made in Turkey" – darauf hat der Präsident Wert gelegt. Die Hälfte des Bodens, also 2000 Quadratmeter sind schon bedeckt. Für Umut Bahceci bedeutet das, sie muss ihr Programm ändern. Die 43-Jährige führt seit fast 20 Jahren Touristen durch die Hagia Sophia:
"Ich muss mir was Neues überlegen. Denn um den Boden der Hagia Sophia zu erklären, habe ich mir normalerweise mindestens eine halbe Stunde Zeit genommen, um über den Marmor zu sprechen, die Markierungen. Aber ich weiß jetzt noch nicht, was ich zu dem Neuen sagen werde, dafür muss ich erstmal rein."

Nach mehr als 80 Jahren fndet wieder ein Freitagsgebet in der Hagia Sophia in Istanbul statt - angeführt vom türkischen Präsidenten Erdogan: Was bezweckt er damit? Hören Sie dazu auch unser Interview mit dem Türkei-Korrespondenten Christian Buttkereit:
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Das Omphalion, ein Bodenmosaik am Platz des Kaisers während der Messe, soll nur während der Gebetszeiten bedeckt sein. Ähnliches gilt für die Fresken und Mosaiken an den Wänden und der Decke, erklärt Regierungssprecher Ibrahim Kalin:
"Die Ängste, dass die Fresken und Mosaiken zugedeckt oder verputzt werden oder dass die Hagia Sophia für Besucher geschlossen wird, sind unbegründet. Sie wird wieder zugänglich für Besucher sein, und jeder, der will, kann sich die Mosaiken anschauen."

Seit drei Wochen für Besucher geschlossen

Seit der Gerichtsentscheidung vor drei Wochen, den Status der Hagia Sophia als Museum aufzuheben, ist sie für Besucher geschlossen.
Kemal, ein Istanbuler Arzt, wollte eigentlich mit seinem Neffen hinein. Jetzt gehen die beiden zwischen den Springbrunnen auf dem Platz davor spazieren. Der 45-Jährige war erst dagegen, dass aus dem historischen Bau wieder eine Moschee wird, erzählt er:
"Das Ministerium hat versprochen, alle Fresken und die anderen Dinge zu bewahren, weil sie auch der ganzen christlichen Welt gehören. Wenn sie dabei bleiben, ist das okay. Wir werden nur nicht akzeptieren, wenn sie abgedeckt oder übermalt werden."
Kemal ist als Arzt in der ganzen Welt unterwegs und interessiert sich für die Kultur anderer Länder. Er versucht, etwas Emotionen aus der Diskussion zu nehmen:
"Es gab immer Übergänge von Kirchen zu Moscheen und von Moscheen zu Kirchen. Und es war nie ein Problem, wenn man es einfach als einen Ort des Gebets sieht. Wichtig ist, das kulturelle Erbe zu schützen."

Auch Harun wollte mit seiner Familie die Hagia Sophia besichtigen. Er kommt aus der Nähe von Ankara. Dass es jetzt nicht klappt? Er zuckt mit den Schultern. Er wollte sowieso nach der Wiedereröffnung noch mal kommen, um in der Hagia-Sophia-Moschee zu beten. Für ihn ist Erdogan nur dem Willen des Volkes nachgekommen:
"Wir haben uns immer gewünscht, dass unsere wertvollen Moscheen wie die Hagia Sophia für Muslime und Türken geöffnet werden. Und das wird jetzt wahr. Ich hoffe, wir werden die türkische Macht überall sehen."
Dabei leuchten seine Augen. Man spürt die Begeisterung. Für Kritik an der Entscheidung, aus dem Museum wieder eine Moschee zu machen, hat der 35-Jährige nur bedingt Verständnis:
"Für uns ist wichtig, dass die Kritik nicht überhandnimmt. Wir sprechen hier von der Republik Türkei. Wir können schon eigene Entscheidungen treffen. Und wir stehen hinter jeder Entscheidung des Präsidenten, wir als Nation."

Nicht alle Türken stehen hinter der Entscheidung

Tatsächlich stört auch viele Kritiker im Land, dass das Ausland der Türkei vorschreiben will, wie es mit seinen Kulturgütern umzugehen hat. Aber es gibt durchaus Kritiker der Entscheidung in der Türkei. Dazu gehört Zeynep Ahunbay. Sie ist Architekturhistorikerin und sitzt im Beirat des Weltkulturerbes Hagia Sophia. Sie teilt die Kritik der UNESCO:
"Wenn man etwas ändern will, dann muss man Vorschläge machen und es der UNESCO präsentieren. Ihre Experten bewerten sie. Aber die Entscheidung, die Hagia Sophia für Gebete zu öffnen, kam sehr schnell. Darum wissen wir nicht, wie der Prozess genau abläuft. Zum Beispiel legen sie Teppich aus, aber wo genau? Also ohne das Ganze als Projekt anzulegen, ist das problematisch. Davor hatte die UNESCO gewarnt."
Innenraum der Hagia Sophia mit christlichen Bildern.
Abgesehen von den Gebetszeiten sollen die christlichen Kulturschätze weiter zugänglich sein, sagt die Regierung.© imago / ANE Edition
Andere Kritik ist politisch. Die Türkei habe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten andere Probleme als zu wenig Moscheen. Der türkische Präsident wolle nur ablenken, meint beispielweise Merel Aksener, Chefin der Oppositionspartei Iyi Pari. Besonders scharfe Kritik kommt aus Griechenland, aber beispielweise auch von der EU oder aus Russland.
Erdogan wehrt sich: "Die Reaktionen aus dem Ausland sind für mich nicht verbindlich. Es gibt positive und negative. Einige haben persönlich mit mir gesprochen. Ich habe ihnen entsprechende Antworten gegeben. Was die Hagia Sophia angeht, ist das unser Thema. Es ist für niemanden möglich. Da kann sich niemand einmischen. Das ist eine Frage der inneren Souveränität ist."
Der 24. Juli scheint als Termin nicht zufällig gewählt, darauf hat die regierungsnahe Zeitung Sabah hingewiesen. Denn am 24. Juli 1923 schließt die Türkei mit damaligen Großmächten den Vertrag von Lausanne. In ihm sind die Grenzen mit Griechenland festgeschrieben. Ein Seitenhieb für Athen? Zumindest sind die Beziehungen der beiden Nachbarländer wegen Bohrstreits im Mittelmeer aktuell sehr angespannt.

Ein Symbol der christlich-islamischen Toleranz

In kritischen türkischen Medien ist davon die Rede, dass Erdogan versucht die Steine zu islamisieren, nachdem es ihm bei den Köpfen nicht gelungen sei.
Die Istanbuler Reiseführerin Umut Bahceci wählt ihre Worte sehr vorsichtig, kritisiert nicht, dass die Hagia Sophia wieder Moschee wird. Sie erzählt, wie sie ihre Reisegruppen erlebt:
"Wenn sie die Mosaiken von Maria und Jesus Christus sehen und direkt daneben die wunderschönen Tafeln mit dem Namen von Allah und dem Propheten Mohammed darauf. Sie freuen sich, die Schönheit und Toleranz zu sehen unter einer Kuppel. Und die Hagia Sophia ist der einzige Ort, wo man diese wunderschönen Bildnisse sehen kann und wo man diese Atmosphäre so spürt."
Ob sich diese Atmosphäre jetzt ändert? Das werde sie erst spüren, wenn sie in der Moschee steht. Aber eines ist klar, sie erlebe Geschichte mit. Denn auch das Datum 2020 wird in die Historie des 1500 Jahre alten Baus eingehen.
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