Gerichtsentscheidung zur Hagia Sophia

Moschee statt Museum

10:13 Minuten
Besucher in der Hagia Sophia in Istanbul
Bislang waren es Besucher, in Zukunft werden Betende das Innere der Hagia Sophia bestimmen. © dpa / picture alliance / Marius Becker
Susanne Güsten im Gespräch mit Britta Bürger · 10.07.2020
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Die Hagia Sophia in Istanbul wird wieder in ein muslimisches Gotteshaus umgewandelt. Das Oberste Verwaltungsgericht hat dies mit seiner Entscheidung nun ermöglicht. Damit haben sich in der Türkei die Nationalisten durchgesetzt.
1000 Jahre lang war die Haghia Sophia die wichtigste Kirche des Christentums. Nach der Eroberung von Konstantinopel 1453* wurde sie zur Moschee. 1934 hat sie Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, in ein Museum umgewandelt. Das Museum hat diese Geschichte vermittelt. Nun kommt die Wendung.
Am 10. Juli hat ein türkisches Gericht entschieden, dass die Hagia Sophia von einem religiös neutralen Museum in eine Moschee umgewandelt werden kann.
Türkei-Korrespondentin Susanne Güsten beobachtete ein paar hundert türkischen Muslimen, die daraufhin am Abend in Istanbul für ein Gebet vor die Hagia Sophia gekommen waren, um die Entscheidung zu feiern. "Voll war es aber nicht", ergänzt sie.

Das Symbol der türkischen Herrschaft

Die Klage eingereicht hatte ein kleiner Verein von Nationalisten. "Dahinter stand die nationalistische Bewegung, die seit zwei Jahren mit an der Regierung sind, Bündnispartner von Ministerpräsident Erdoğan", erläutert Güsten.
Die Hagia Sophia verkörpert den Besitzanspruch der Türken auf das Gebäude, die Stadt, auf das Land. Laut Güsten war es den Nationalisten ein "Stachel im Fleisch", dass das Museum neutral war. "Dass die Hagia Sophia nicht als Symbol der türkischen Herrschaft über die Eroberung des Byzantinischen Reiches und den Besitz Istanbuls galt, sondern dass sie sie mit aller Welt teilen mussten. Das war schon immer ihre Forderung und heute haben sie sich durchgesetzt."
"Das hängt vor allem damit zusammen, dass Erdogan inzwischen stark auf die Nationalisten angewiesen ist", so Güsten. Der Staatspräsident selbst habe in dieser Frage immer etwas gebremst und dazu aufgerufen, erst mal die anderen Moscheen zu füllen, man habe genug andere. "Was auch wahr ist: 80 000 Stück an der Zahl".

Erbe des Sultans

Für die Journalistin spiegelt sich in der Entscheidung das neo-osmanische Verständnis der jetzigen Regierung, wonach die Türkei den Türken allein gehört und damit auch den Muslimen allein gehört. "Denn in der türkischen Identität ist nur ein Türke wer Muslim ist. Die Minderheiten werden toleriert, aber sind kein konstituierender Bestandteil des Staates mehr."
Das Gericht hat entschieden, die Hagia Sophia sei ein Erbe von Fatih Sultan Mehmet dem Eroberer. Und dass das Kabinett 1934 dadurch nicht das Recht hatte, die Moschee zum Museum zu erklären. "Das ist insofern interessant, als dass die Kabinettsentscheidung von damals tatsächlich die Unterschrift von Staatsgründer Atatürk trug", erklärt Güsten.
Erdoğan habe sich in seiner Rede vor allem auf Sultan Mehmet den Eroberer bezogen. "Er habe die Stadt erobert, sei schnurstracks zur Hagia Sophia gegangen und habe einen Pfeil in ihre Kuppe geschossen, dann dort gebetet und damit den Besitz der Türken über die Moschee, die Stadt und das Land begründet. Er hat sich in einem langen, langweiligen Vortrag außerdem offenbar in die Tradition, in die Nachfolge des Sultans stellen wollen", sagt Güsten.

Religionsamt übernimmt nun die Verantwortung

Das Gebäude geht nun aus der Verantwortung der Kultur- und Museumsverwaltung über in die des Religionsamtes. Güsten hält das für den bedenklichsten Aspekt der ganzen Entscheidung: "Dieses Gebäude steht seit 1500 Jahren und spiegelt so viel der Menscheitsgeschichte wider. Und das Religionsamt ist wirklich nicht dafür bekannt, dass es viel mit Kultur, Geschichte und Konservierung am Hut hat. Da kann viel schiefgehen."
Die UNESCO bedauert die Entscheidung. Aber, so Güsten: Erdoğan habe immer wieder betont, man sei souverän, der Türkei gehöre das Gebäude, man entscheide allein und der Rest der Welt habe das zu respektieren. Trotzdem soll die Hagia Sophia für alle Besucher offen bleiben. Außerdem soll der Eintritt wegfallen. "Und die Kunstwerke - Ikonen, Mosaiken und Malereien -sollen nicht angetastet werden."

*Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine inhaltliche Korrektur vorgenommen.
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