Die Grüne Zitadelle darf gestürmt werden

Von Susanne von Schenck |
Zum Tag der deutschen Einheit wurde in Magdeburg die so genannte Grüne Zitadelle eingeweiht. Dabei handelt es sich um den letzten Entwurf des 2000 verstorbenen Architekten Friedensreich Hundertwasser. Mitten im Zentrum gelegen soll das knallige Gebäude mit begrünten Dächern die Touristen in die Stadt locken.
Magdeburg wird manchmal auch das "hässliche Entlein" unter den deutschen Landeshauptstädten genannt. Sperrig kommt die Stadt an der Elbe daher, wie eine spröde Arbeiterbraut, die ihre Reize versteckt. Nun aber hat sie einen, der ins Auge springt.

An prominenter Stelle, direkt an der einstigen Prachtstraße, dem Breiten Weg, ist heute die "Grüne Zitadelle" von Friedensreich Hundertwasser eingeweiht worden, der letzte Entwurf des vor fünf Jahren verstorbenen Meisters. Der Name nimmt Bezug auf Magdeburgs Zeit als Festungsstadt und unterstreicht, so Jorum Harel, künstlerischer Oberbauleiter und Nachlassverwalter Hundertwassers, auch die ökologische Komponente des Bauwerks.

Harel: " Die grüne Zitadelle von Magdeburg heißt es, weil viele Dächer total bewaldet sind, eben grün. Eines Tages wird hier ein riesiger Wald sein. Zur Gestaltung: Da sind die Zinnen, eben ein Zitadelle, eine Burg, die Fassadenfarbe ist ein gewisses Rosa, ist nur eine schöpferische Vorleistung auf die Kreativität der Natur. Denn die Farbe ist jetzt nicht so, wie Hundertwasser sie haben wollte. Jetzt ist sie viel zu frisch, viel zu laut, aber durch den Eingriff der Luft, Umweltverschmutzung, Regen, kriegt sie im Lauf der Zeit, wie wir Menschen Falten, Alterflecken kriegen, kriegt die Fassade verschiedene Tönungen, Schlieren, die dann phantastisch sind. In zehn Jahren ist die Fassade so, wie Hundertwasser sie haben will, und wie sie dann gestaltet ist."

"Ornamentlosigkeit ist ein Zeichen geistiger Kraft", schrieb zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein anderer Wiener, der Architekt Adolf Loos in "Ornament und Verbrechen". Bei den Schnörkeln und Verzierungen seines Landsmanns wäre ihm vermutlich das kalte Grausen gekommen.

Hundertwassers knallige Gebäude sind auch für die meisten zeitgenössischen Architekten ein Alptraum. Sie sehen in dem erfolgreichen Hundertwasser allenfalls einen reinen Fassadendekorateur, der einen populistischen Geschmack bedient.

Friedensreich Hundertwasser, der eigentlich Fritz Stowasser hieß, hingegen verdammte die gerade Linie der Architektur – eine Zwangsjacke sei sie. Die gedankenlose Serienarchitektur mache den Menschen neurotisch, befand der Apostel der grünen Philosophie und setzte ihr seine fröhlich bunten und begrünten Betonzuckergüsse entgegen.

Katrin Thies: "Hundertwasser - da gibt es eigentlich nur entweder oder. Ich finde es sehr schön und sehr interessant und für mich der optimale Rahmen, mich zu präsentieren aufgrund der Tatsache, dass man eben eine unheimlich breite Menschenmasse anspricht. Man spricht den Magdeburger an, den Tourist, der aus unmittelbarer Nähe kommt oder von weiter her. Ich finde es eine Bereicherung für Magdeburg, ich finde den Platz auch sehr schön, auch in Verbindung mit dem Dom, um unterschiedliche Baustile miteinander zu verbinden, und bin eigentlich ein totaler Befürworter und froh, dass ich dabei bin. "

Als eine der ersten Gewerbemieterinnen hat Katrin Thies ihr Geschäft für Fliesen und gehobenen Wohnbedarf pünktlich zum 3. Oktober eröffnet. Gerade räumt sie die letzten Vasen in die Regale. In der Tat: in Magdeburgs Stadtmitte, die noch keine richtige ist, haben sich die Baumeister einst und heute ausgetobt - ein Jurassic Park der Architekturen, skurril und einzigartig. Romanik, Gotik, Barock oder Gründerzeit, dann die DDR-Platte und die kühlen Einkaufstempel der Gegenwart – das liegt in Magdeburg unmittelbar nebeneinander. Über allem thront souverän der gotische Dom.

In die "Grüne Zitadelle" wird Ende des Jahres ein Kindergarten einziehen, mit zahlreichen Zugängen zu den begrünten Dächern. Gut vorstellbar, dass die Kinder das Haus herrlich finden werden. Ein Hotel hat bereits seinen Betrieb aufgenommen, und Hundertwassers Konzept von Lebens- und Wohnkunst im Einklang mit der Natur können sich Besucher demnächst in einer Ausstellung im Erdgeschoß vergegenwärtigen. Außerdem verteilen sich 55 Wohnungen über mehrere Etagen des ungewöhnlichen Hauses.

Deren Vermietung geht bisher schleppend voran. Das mag nicht zuletzt an den für Magdeburg hohen Mieten liegen. Knapp neun Euro kalt kostet der Quadratmeter, das ist für Magdeburg viel. Bei ca. 20 Prozent Arbeitslosen und 30.000 leer stehenden Wohnungen wird es vermutlich noch eine Weile dauern, bis die Wohnungen Mieter gefunden haben. Hoffentlich nicht, meint Uta Siebrecht, Projektleiterin bei CentumAqua, der Marketinggesellschaft des Hunderwasserhauses.

Uta Siebrecht: "Ja, die Preise sind hoch, aber sie sind hoch, weil sich das Haus ja in einer ganz exponierten Lage befindet, direkt im Stadtzentrum Magdeburgs, Sie haben in zwei Minuten alles, was Sie brauchen als Mensch, die öffentlichen Verkehrsmittel, die Natur, die Kultur, die großen Kirchen. Das Besondere, was man an diesem Haus noch nicht sehen kann, fängt erst an zu wachsen, das ist die Natur. Wenn die Menschen erstmal eine Wohnung im Einklang mit der Natur beziehen können, werden sich viele entscheiden, dann doch den höheren Mietpreis in Kauf zu nehmen für dieses besondere Wohnambiente. "

23 Millionen Euro hat der Bau gekostet, der auf Grund einer Privatinitiative entstand und aus Privatinvestitionen finanziert wurde.

Das Hundertwasserhaus wird, so hofft Oberbürgermeister Lutz Tümper, ein Imagegewinn für die Stadt sein. Schon jetzt kommen täglich Reisebusse, die Nachfrage nach Führungen ist kaum zu bewältigen.

Und was hätte der Meister gesagt? Er war immer kritisch, meint sein Nachlassverwalter Joram Harel. Vielleicht ist er deswegen so penibel bemüht, sämtliche Vorgaben seines bewunderten Freundes genau einzuhalten. Noch kurz vor der Einweihung setzte er die Bauherren unter Druck: er bemängelte die Farbe der Treppenhäuser und die öffentlichen Toiletten, und er ließ auch 9000 bereits gepflanzte Stauden wieder herausreißen.

Harel: "Ich bin nicht Hundertwasser, aber ich habe dreißig Jahre mit ihm diese Baustellen besucht. Er hätte sicher vieles gemacht, verlangt, gesehen, was ich nicht sehe, wo ich blind bin. Er hatte diesen sechsten Sinn, den ich nicht habe. "
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