Die Geschichte des Eugenio Pacelli

Rezensiert von Joachim Jauer · 31.08.2008
Der preisgekrönte Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat neues Licht in eine dunkle Epoche der Geschichte gebracht. Für sein Buch "Papst und Teufel" hat der Autor erst vor kurzem geöffnete Archivakten aus der Zeit des Nationalsozialismus studiert. Das erlaubt ihm ein differenzierteres Urteil über Papst Pius XII., der vielen als "Hitlers Papst" gilt.
Wer hinter dem Titel "Papst und Teufel" eine der üblichen Geschichten aus den "Geheimverliesen des Vatikan" erhofft, liegt falsch. Keine Fortsetzung der Fantastereien eines Dan Brown, das macht der Kirchenhistoriker Hubert Wolf gleich zu Beginn seines neuesten Buches deutlich:

"Das Bild, das sich Dan Brown vom Vatikanischen Geheimarchiv gemacht hat, könnte unzutreffender nicht sein. Die Szenerie ist nicht einmal gut erfunden."

Im Gegensatz zu dem amerikanischen Thrillerautor und seiner Spinnergeschichte "Illuminati" hatte Hubert Wolf jahrelang als Forscher Zugang zum Archiv des Vatikan. Nicht etwa nur papsttreue Katholiken, nein, jeder, der sich als seriöser Wissenschaftler ausweisen kann, darf dort auch in den erst vor kurzem geöffneten Akten uneingeschränkt forschen. Wolf hat als einer der ersten die Materialien aus der Zeit des Nationalsozialismus studiert.

Im Zentrum der Geschichte steht Eugenio Pacelli, der in den Zwanzigerjahren päpstlicher Nuntius bei der deutschen Reichsregierung in Berlin war, danach Kardinalstaatssekretär unter Pius XI. und damit in den ersten Jahren der Hitlerei mächtigster Mann im Vatikan nach dem Papst.

Pacelli galt als deutschfreundlich und brillanter Diplomat. Er folgte 1939 Pius XI, als der zwölfte Pius auf dem Papstthron und hat eine große Anzahl von persönlichen Notizen hinterlassen, die im Kontext mit offiziellen Dokumenten zu einem differenzierten Urteil über die umstrittene Person des Eugenio Pacelli berechtigen.

Umstritten ist Pius XII. seit der Dramatiker Rolf Hochhuth in seiner theatralischen Anklage "Der Stellvertreter" dem Papst vorgeworfen hatte, zu den Gaskammern von Auschwitz geschwiegen zu haben. Seitdem galt Pius XII. den einen als "Hitlers Papst".

Seine Verteidiger wie etwa der jüdische Religionsphilosoph Pinchas Lapide aus Frankfurt am Main nannten ihn allerdings "den größten lebenden Wohltäter des jüdischen Volkes". Der Papst hatte in dem winzigen Vatikanstaat über 7000 römischen Juden Zuflucht gewährt.

Hubert Wolf führt den Leser sehr eloquent in das Denken katholischer Kirchenführer zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein. In einer Zeit des Umbruchs nach dem Ersten Weltkrieg sah sich die Kirche mit neuen Ideologien konfrontiert und so in einem historischen Kampf gegen "das Böse". Bittere Erfahrungen mit dem blutigen Kampf von Lenins und Stalins atheistischem Bolschewismus gegen die orthodoxe Kirche hatte sie gerade gemacht und beobachtete nun die Entstehung des Nationalsozialismus als rassistischer Pseudoreligion.

Pacellis Vorgänger Pius XI., hat bereits 1928 in einem Dekret den aufkommenden Antisemitismus lange vor der "Machtergreifung" der Nazis feierlich verurteilt:

" ... so verdammt - der heilige Stuhl - den Hass gegen das von Gott einst auserwählte Volk, jenen Hass nämlich, den man heute mit dem Namen Antisemitismus zu bezeichnen pflegt."

Wolfs Buch besticht durch Nüchternheit. Der katholische Kirchenhistoriker ergreift an keiner Stelle eifernd für seine Kirche Partei, er wehrt sich aber ebenso klar und konsequent gegen den Pauschalvorwurf des Amerikaners Daniel Goldhagen, "die Katholiken, die katholische Kirche, der Papst und die Kurie insgesamt seien antisemitisch" gewesen.

Die deutschen Bischöfe, ganz überwiegend um die eigenen Schäfchen besorgt, setzten 1933 in ihrer Mehrheit auf Verhandlungen mit den neuen Machthabern und ebneten durch leichtfertiges Vertrauen auf Hitlers verlogene Zusagen den Weg für das Konkordat. Pacelli im Vatikan notierte dazu, ein Pistole sei gegen seinen Kopf gerichtet gewesen. Er habe wählen müssen zwischen einem Vertrag zu den von Hitler diktierten Bedingungen und der "praktischen Ausschaltung der katholischen Kirche im Dritten Reich". Denn kaum war die Tinte unter der Vereinbarung Staat-Kirche trocken, begannen die Nazis mit verstärktem anti-katholischem Kirchenkampf.

Ausführlich geht der Autor auf die mutigen Protestpredigten des Münsteraner Bischofs Graf Galen ein, der die Nazis des Mordes an Kranken öffentlich anklagte. Den beiden Pius-Päpsten als "obersten Hirten aller Katholiken auf der ganzen Welt" aber seien die Hände gebunden gewesen, bilanziert Wolf:

"Der Papst war zur politischen Neutralität verpflichtet. Deshalb konnte er nicht selbst den Bannstrahl gegen die Nationalsozialisten schleudern. Er musste - so sah es Pacelli 1941 wenigstens selbst - den offenen Kampf mit dem Teufel den Bischöfen überlassen."

Trotz der Verurteilung des Antisemitismus war der Vatikan zaudernd und zögerlich, ja sogar schwerhörig, wenn es um die Bitte Verfolgter ging, den antijüdischen Terror der Nazis lautstark zu verurteilen.

Ergreifend der Brief, den Edith Stein an den Papst gerichtet hat. Die jüdisch geborene Philosophin, die zum Katholizismus konvertiert und Karmeliternonne geworden war, schrieb bereits im Frühjahr 1933 einen bedrückenden Hilferuf, gegen den antijüdischen Terror zu protestieren:

"Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland (...) darauf, dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe (...) Wir fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen länger anhält."

Doch der Papst schwieg. Erst viel später, 1937, zu spät, hat Pius XI. in seiner Enzyklika "Mit brennender Sorge" den Nationalsozialismus und damit den Antisemitismus noch einmal grundsätzlich verurteilt. Sein Rundbrief wurde von allen katholischen Kanzeln in Hitlerdeutschland verlesen.

Das grausame Schicksal Edith Steins aber zeigt die ganze tragische Hilflosigkeit der Kirche gegenüber dem Terror. Die Karmeliternonne war vor den Nazis aus Köln noch Holland geflohen. Dort hatten die katholischen Bischöfe 1942 in einem gemeinsamen Hirtenbrief gegen die Deportation der Juden protestiert und damit genau das getan, was Edith Stein sehr viel früher vom Papst vergeblich erbeten hatte. Aus Rache wurden die getauften Juden - unter ihnen Edith Stein - nach Auschwitz ins Gas verschleppt.


Hubert Wolf, der mehrfach preisgekrönte Kirchenhistoriker, hat neues Licht in eine dunkle Epoche der Geschichte gebracht. Sein Buch setzt Interesse an den diplomatischen Umwegen und manchem theologischen "Wettlauf um den heißen Brei" voraus. Wer sich darauf einlässt, liest ein brillantes und notwendigerweise kritisches Buch.

Hubert Wolf: Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
C. H. Beck Verlag, München 2008
Hubert Wolf: Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Hubert Wolf: Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich© C. H. Beck Verlag