Die Geschichte der Wagner-Erben

Rezensiert von Jürgen Kesting · 26.07.2009
In "Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie" widmet sich Oliver Hilmes den fünf Kindern, die Cosima Wagner mit ihren beiden Ehemännern Richard Wagner und Hans von Bülow gezeugt hat. Sie begründeten die Wagner-Dynastie.
Es war nicht das für sein Bombentalent verantwortliche Gen, das Richard Wagner und seine Frau Cosima an ihre gemeinsamen Kinder – seine Töchter Isolde und Eva und seinen Sohn Siegfried – weitergegeben haben; vererbt haben sie, mit einem Wort des Wagner-Kritikers Maximilian Harden, den "Dynastenwahn" von Erben mit dem Überlegenheitskomplex von Erwählten.

Dem Lebensbericht über die Witwe, die sich zur hohen Frau stilisierte, lässt der Berliner Politologe, offenbar ein Dauergast vieler Archive, ein weiteres Kapitel der Wagner-Saga folgen: "Cosimas Kinder". Im Prolog des Buches heißt es:

"Die Gründung der Wagner-Dynastie ist die Geschichte von Cosimas Kindern. Es geht um das aufregende Epos von Triumph und Tragödie, Genie und Verfall, Kunst und Ideologie sowie Politik und eigennütziger Geschäftigkeit(....) Die Geschichte vom Aufstieg Hitlers und der NSDAP ist auch die Geschichte vom Sündenfall der Wagner-Dynastie, vom moralischen Niedergang einer deutschen Familie."

Dies sind Binsenweisheiten. Aber ist es gerechtfertigt, im Untertitel des Buches vom "Triumph und der Tragödie der Wagner-Dynastie" zu sprechen? Dass die Witwe in ihrem zweiten Leben die Fortsetzung der Festspiele ermöglichte, war gewiss eine bemerkenswerte Leistung. Doch entsprach es keineswegs dem Meisterwillen, dass Bayreuth alsbald zum Theater der Besitzenden und Herrschenden wurde. Und es war alles andere als ein Triumph, dass die Festspiele sich zum Zentrum nationaler Selbstbeglückung entwickelten. Und wenn es eine Tragödie gab, so lag sie in der Perversion des Meisterwillens zum Führerwahn.

Die ekligen Kämpfe um die Macht in der weihrauchgeschwängerten Kultstätte aber sind nichts weniger als eine familiäre Tragödie. Dazu fehlt den Figuren einfach die Fallhöhe. Hilmes berichtet, keineswegs als erster, über den Leidensweg derer, die zu den Opfern des familiären Bandenkriegs zählten. Dazu gehörten Daniela und Blandine, Cosimas Töchter aus der Ehe mit Hans von Bülow, über die der Meister in seiner ganzen Ichbezogenheit sagte: "Es wäre besser, wenn sie nicht geboren wären". Er schildert die Ehe von Eva Wagner, der Zweitgeborenen, mit dem fanatischen Antisemiten Houston Stewart Chamberlain, der Bayreuth – gemeinsam mit anderen Ideologen wie Hans von Wolzogen – in ein chauvinistisches Treibhaus verwandelte und dort Adolf Hitler einführte; berichtet über die im Kampf um die Erbfolge gnadenlos ausgebeutete Isolde und über den Stammhalter Siegfried, der trotz seiner "anderen Zugehörigkeit" die Ehe mit jener Winifred einging, unter deren Ägide nach seinem Tod Bayreuth zum Hoftheater Hitlers wurde.

Wenn Hilmes über die ehelichen Probleme, die sexuellen Eskapaden, die finanziellen Sorgen oder die seelischen Nöte der seltsam weltfernen Sippschaft berichtet, verfällt er in den Tonfall des Klatsches und der Vulgär-Psychologie. So schreibt er über die Bülow-Tochter Daniela, die über alle künstlerischen Fragen eine Meinung hatte, ohne eine Ahnung zu haben:

"Warum gab sie sich so provokant, kühl und verletzend? Was Henry Thode, ihr Ehemann, noch nicht wissen konnte: Die Gründe für Danielas Verhalten wurzelten in tief sitzenden Gefühlskomplexen."

Hilmes begnügt sich weithin mit einer Kehrrichtsammlung von durchweg bekannten Fakten, mit denen sich alle Vorurteile gegen den Wagner-Clan erneut düngen lassen. Was ihm fehlt, ist das Problem-Bewusstsein gegenüber dem Politikum Bayreuth. Dass jeder Mensch, wie Beethoven sagte, das Gesamtleben einer Gesellschaft repräsentiert; dass die Geschichte Bayreuths zu den dunklen und quälenden Kapiteln der Weltgeschichte zählt, wird in dem faktenreichen Buch immer wieder angedeutet, aber nicht im Sinne einer Gesellschafts– oder Epochen-Biographie entwickelt wie etwa in Brigitte Hamanns "Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth". Wie dürftig und vage, wenn der Politologe Hilmes über den fatalen Houston Stewart Chamberlain schreibt:

"So zimmerte er sich seine eigene geschlossene Weltanschauung, die es den Menschen als zum Heil aufzudrängen galt. ... Raffinierte Küchenpsychologie ging einher mit glanzvollen Literaturzitaten, naturwissenschaftlichen Halbwahrheiten und einer gehörigen Portion Pseudophilosophie. .... Dabei benutzte Chamberlain die Geschichte sowie die Literatur als Steinbruch, um durch weit hergeholte Vergleiche die eigenen Position eindrucksvoll zu untermauern."

Diese Anmerkung lässt sich auf den Autor zurückwenden. Geschrieben ist das 280 Seiten starke Buch in der Manier des Magazin-Journalismus mit seinen tautologischen Übertreibungen und modischen Floskeln. Maximilian Harden übt nicht Kritik, sondern er "ätzt". Über Danielas Tode: " Ihre psychische Verfassung stand inzwischen vor dem Totalen Zusammenbruch." Von "geweihten Devotionalien" geht die Rede, vom "Rauschen im Blätterwald", vom "Nobelhotel" Bayerischer Hof, von "vor-programmierten Problemen" (als reichten nicht die programmierten), von "torpedierten Gastspielen", von "großer Tragik", von einer "wie eine Bombe" einschlagenden Nachricht, von "greller Pietätlosigkeit", von einem "Martyrium, das durch unsägliche Schmerzen geprägt war". Die emotionalen Rückstände, die das Buch hinterlässt, sind der Humus für Ressentiments.

Es ist sicher nicht falsch, wenn Oliver Hilmes, sich auf die Arbeit Brigitte Hamanns stützend, darauf hinweist, dass bei der Aufarbeitung der Vergangenheit Winifred die Rolle zugewiesen wurde, die Schuld des Hauses Wagners zu verkörpern. Hingegen fiel Wieland die Rolle des Retters zu, der mit der Maxime – "Hier gilt’s der Kunst" – den Aufbruch verkörperte. Seine politischen Verstrickungen wurden in einer Art von Verdrängungsstrategie lange Zeit auch von denen beschwiegen, die zu den Kritikern der Festspiele gehörten. Umso auffälliger, dass Hilmes mit dem jüngeren Bruder schonungsvoll und völlig kritiklos umgeht:

"Auch in der Ära Wolfgang Wagner machten die Festspiele von sich reden. Der Chef setzte künstlerische Akzente, indem er sein Haus für Gäste öffnete. Er lockte so bedeutende Dirigenten wie Daniel Barenboim, James Levine, Carlos Kleiber und Christian Thielemann auf den Grünen Hügel."

War das Engagement einiger Dirigier-Stars schon eine große Tat? Und bewies Wolfgang Wagner wirklich eine "glückliche Hand", als er Götz Friedrich oder Patrice Chéreau nach Bayreuth holte? Nein, sein Geschick lag darin, dass er, die Zeichen der Zeit nach 1968 erkennend, Regisseure nach Bayreuth einlud, deren Inszenierungen ästhetische sowohl wie politische Provokationen bedeuteten und den ehrenvollen und erfolgreichen Skandal sicherten. Wichtiger als die politischen Kontroversen der 70er-Jahre ist Hilmes der Hinweis darauf, dass Wolfgang sich von seiner Frau Ellen trennte und seine 25 Jahre jüngere Mitarbeiterin Gudrun Mack ehelichte. Wenn er darob von einem "handfesten Skandal" spricht, so ist das erneut kennzeichnend für einen Klatsch, der sich an der Unmoral, über die er sich entrüstet, weidet. Dem erbittert geführten Kampf um die Nachfolge Wolfgang Wagners, der mehr war als eine bloße Personalie, widmet Hilmes eben 18 Zeilen. Er endet mit der banalsten aller Auguren-Fragen:

"Wie wird sich Bayreuth unter Eva und Katharinas Leitung entwickeln? Wie werden die Halbschwestern, die vorher ja kaum kannten, miteinander auskommen? Schwer zu sagen."

Wenn es denn so schwer ist, etwas zu sagen, wär’s dann nicht besser, zu schweigen? Die Berücksichtigung einer Maxime von Karl Kraus hätte dem Buch gut getan: "Nicht auf die Größe der Zielscheibe, auf die Distanz kommt es an".

Oliver Hilmes: Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie
Siedler Verlag, 2009
Oliver Hilmes: "Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie"
Oliver Hilmes: "Cosimas Kinder. Triumph und Tragödie der Wagner-Dynastie"© Siedler Verlag