"Die ganze Klaviatur der staatlichen Repression"

Moderation: Gabi Wuttke · 27.07.2013
Vor der Parlamentswahl in Kambodscha bekommt die Opposition gegen die regierende Volkspartei CPP und Ministerpräsident Hun Sen viel Unterstützung, vor allem von der Jugend. Doch Manfred Hornung bezweifelt, ob sich diese Begeisterung auch im Wahlergebnis niederschlägt. Die Regierung gehe gegen jeden vor, den sie als gefährlich ansehe.
Gabi Wuttke: Am Telefon in Phnom Penh ist um elf Uhr 51 Ortszeit Manfred Hornung, Chef des Kambodscha-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Ich grüße Sie, guten Tag!

Manfred Hornung: Guten Tag!

Wuttke: Wie ist Ihre Einschätzung, könnte die Opposition Hun Sen zu einem Problem werden?

Hornung: Viele der Beobachter gehen davon aus, dass über die Manipulation der Wahllisten und auch die Kontrolle der Medien es sehr schwierig sein wird für die Opposition, diesen Enthusiasmus, der sich jetzt auf der Straße zeigt vor allem unter Jugendlichen, sich wirklich dann in Stimmen für die Opposition im Endeffekt an den Wahlurnen umsetzen wird.

Wuttke: Wie rigide erleben Sie diese Regierung gegen alles und jeden, der nicht passt?

Hornung: Es gibt sehr starke Maßnahmen gegen Aktivisten, die sich politisch-gesellschaftlich engagieren, die sich einsetzen für Medienfreiheit, für Gerechtigkeit bei der Verteilung des Landes. Das für zu Verurteilungen, zu Haftstrafen. Die ganze Klaviatur der staatlichen Repression wird gegen Personen eingesetzt, die tendenziell als gefährlich für die Regierung angesehen werden.

Wuttke: Das heißt konkret was? Oder, transformieren wir das Ganze auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, also auch der Heinrich-Böll-Stiftung, welchen Handlungsspielraum haben Sie, was dürfen Sie, was dürfen Sie nicht?

Hornung: Hier muss man eine sehr feine Unterscheidung treffen zwischen Nichtregierungsorganisationen, die Serviceleistungen erbringen, die sich sozusagen nicht politisch engagieren und auch bei den wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen einmischen, und denen, die das Gegenteil tun. Nehmen wir ein konkretes Beispiel, der Radioaktivist Mom Sonando wurde im letzten Jahr verhaftet, er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt unter sehr fragwürdigen politischen Bedingungen, durch willfährige Gerichte, um auch der Bevölkerung zu zeigen, dass diese Form der offenen Meinungsbildung nicht gewünscht ist. Diese Warnungen gehen dann an die Bevölkerung raus, durch diese Einzelfälle, auch durch diese Verhaftung von Aktivisten im Landsektor. Ganz speziell hier in Phnom Penh befanden sich im Jahre 2012 zu verschiedenen Zeiten bis zu 17 Landrechtsaktivisten in Haft.

Wuttke: Wenn wir jetzt mal an der Euphorie der jungen Kambodschaner vorbeisehen in die Mitte der Gesellschaft, nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Land: Wie wirkt das, was Sie gerade beschrieben haben, diese Einschüchterung? Wie erleben Sie das in diesen Wochen, Monaten und jetzt eben nur noch diesem einen Tag vor der Parlamentswahl?

Hornung: Wir haben auch Berichte erhalten gerade jetzt in Wahlkampfzeiten, dass gerade im Landbereich die Angst geschürt wird vor Unruhen, ganz bewusst von den Sicherheitskräften, die einen sehr starken Einfluss ausüben in dieser Wahlkampfphase, wo der ländlichen Bevölkerung suggeriert wird, wenn die Regierungspartei abgewählt würde, käme es zu Unruhen, würde eine bürgerkriegsähnliche Situation wieder zurückkommen. Die ganze Stabilität, die diese Regierung in den letzten 20 Jahren erarbeitet hat, würde durch einen Regierungswechsel infrage gestellt. Das ist eine Mischung aus Angst, aber auch aus Angeboten an die Bevölkerung, die gerade im ländlichen Bereich sehr starke Wirkung zeigt, da dort nur die Radioprogramme des nationalen Radioprogramms empfangen werden können, die sehr streng von der Regierung kontrolliert werden.

Wuttke: Aber den Bauern wird doch von der Regierung ihr Land abgeknöpft. Es wird gegeben per Konzession an große internationale Unternehmen. Da müsste es doch eigentlich ein Wutpotenzial geben. Wie ist es zu erklären, dass es dann so eine relative Willfährigkeit gibt, wenn es nicht die Angst ist, die das Verhalten bestimmt?

Hornung: Wie gesagt, da spielen auch sehr viele psychologische Faktoren eine Rolle, gerade im Land ist unter der auch älteren Bevölkerung die Zeit unter dem Pol-Pot-Regime noch sehr lebendig und auch sehr bewusst. Und trotz dieser ganzen Auswüchse, wenn wir über Land Grabbing sprechen, über Korruption, ist immer noch diese Angst verbreitet, dass mit einem Wechsel diese Anarchie, dieses Chaos zurückkehren wird. Und ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Faktor, der die Bevölkerung weiterhin sozusagen dazu bringt, sich für die Regierungspartei einzusetzen.

Wuttke: Was ist denn aus dem einstmals so einflussreichen Königshaus geworden?

Hornung: Nach der Abdankung Sihanouks im Jahre 2004 und der Inthronisation des neuen Königs Sihamoni hat die Monarchie sehr viel an Gestaltungskraft verloren. Es vergehen teilweise Monate im Land, ohne dass man von dem König überhaupt etwas in der Presse liest. Viele Beobachter sagen auch, dass er seine relativ starke verfassungsrechtlich garantierte Rolle als konstitutioneller Monarch nicht ausreichend ausübt. Bezeichnend für die Schwäche des Königshauses ist, dass er sich selbst sozusagen hat missbrauchen lassen und im Wahlkampf mit Hun Sen auf Wahlkampfreise sozusagen gegangen ist, was viele als ein Überschreiten seiner Aufgaben als Staatschef gesehen hatten.

Wuttke: Summa summarum, der Lichtstreifen am Horizont, den Sie sehen, ist sehr, sehr dünn?

Hornung: Ich glaube nicht. Wir hatten Stimmen gehört von Aktivisten hier im Lande. Was sehr bezeichnend ist und was auch sehr gut ist im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen, ist das Engagement, die Beteiligung der Jugend in diesem Wahlkampf. Man muss auch sehen, dass es demografisch die jüngsten Wahlen sind, wenn man so will, in der Geschichte Kambodschas. Von den circa neun Millionen Wahlberechtigten sind über drei Millionen zwischen 18 und 30 Jahre alt und viele davon sind Erstwähler. Und ich glaube, dass dieser Enthusiasmus spürbar ist, vor allem in den Städten. Und das ist ein Kapital, mit dem dieses Land weiter arbeiten wird. Ich hoffe, dass sich dieser Enthusiasmus auch innerhalb der CCP überträgt und dass die Kader innerhalb der CCP sich überlegen, dass eine Reform auch des Systems notwendig ist. Inwieweit sich dann dieser Enthusiasmus und diese Begeisterung der Jugend für die Opposition im Endeffekt dann in den Urnen für die Opposition niederschlägt, bleibt ob dieser Manipulationsmöglichkeiten der Regierung fraglich. Das ist die eigentlich spannende Frage, die sich am Wahltag zeigen wird.

Wuttke: Sagt Manfred Hornung in Phnom Penh, dort leitet er das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir erreichten ihn via Skype. Herr Hornung, besten Dank!

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Links auf dradio.de:

"Die Regierung verkauft unseren Wald"
Kambodschas Terror-Regime und seine linken Bewunderer - Peter Fröberg Idling: "Pol Pots Lächeln", Edition Büchergilde 2013, 352 Seiten
Tropenträume zu verkaufen - Zwei Dörfer in Kambodscha suchen ihre Zukunft (Ursendung)