Die Fußstapfen der Eltern

01.11.2013
Ursula von Arx' Geschichten sind eine Art Austausch: Wer liebt wen, warum und warum nicht? Die Autorin dokumentiert Gespräche und Berichte von Töchtern und Söhnen ebenso wie von Eltern und zeigt dabei auf die ganz unterschiedlichen Momente der Liebe und Enttäuschung zwischen den Generationen.
"Die Verbindlichkeit zwischen Eltern und Kindern ist radikal und die Grundlage für die tiefsten Gefühle überhaupt, die schönsten und die schmerzhaftesten. Wer Vater oder Mutter wird, sucht Liebe lebenslänglich", schreibt die Journalistin Ursula von Arx gleich zu Anfang ihres wunderbaren neuen Buches. "Liebe, lebenslänglich" heißt es und erzählt davon, wie "Eltern ihre Töchter und Söhne sehen - und umgekehrt".

In 14 Beziehungsporträts lässt die Autorin jeweils Eltern und Kinder zu Wort kommen und fragt gleichzeitig: Ist diese Liebe ein Gefängnis, oder ein willkommener Fixpunkt? Wie gelingen solche Beziehungen? Und woran scheitert sie?

Wie schon in ihrem viel gelobten Erstlingswerk "Das gute Leben" verknüpft sie auch dieses Mal die Positionen zu ebenso fein gezeichneten wie treffenden Miniaturen. Da erzählt ein junger Winzer davon, wie es ist, in die Fußstapfen des Vaters zu treten und sein Vater erklärt, warum er darauf bestanden habe, dass der Junge am Anfang ohne Schützenhilfe seinen eigenen Weg geht: "Er habe mit seinen Kindern immer auf einen beiläufigen Umgang gesetzt, darauf, dass man das tue, was einem natürlich erscheine."

Auch Una Szeemann hat den gleichen Weg wie ihre Mutter Ingeborg Lüscher eingeschlagen und ist heute selbst Künstlerin. Ihre Mutter betont, ihr seien zwei Dinge in der Erziehung wichtig gewesen: "Dass meine Tochter erfährt, was Liebe ist, und dass sie erfährt, was Mitgefühl ist." Die Tochter, selbst noch kinderlos, spricht heute von einer "wunderbaren Nähe", die Mutter von einer "idealen Beziehung". Und genau das verbindet viele der Geschichten, die Ursula von Arx hier so präzise und feinfühlig erzählt: dass Beziehungen zwischen Eltern und Kindern gelingen können - allen Hindernissen zum Trotz.

Doch manchmal ist der Graben zwischen Eltern und Kindern einfach zu tief. Während eine 59jährige Mutter auf Nähe hofft, bleibt ihr 37jähriger Sohn distanziert: "Es fehlt wohl einfach das Bedürfnis. Und man geht ja sparsam um mit seinen Ressourcen", sagt er. Ein Journalist mittleren Alters beschreibt seinen Vater als Tyrannen und dessen Tod als Befreiung. Ein Gewicht sei von ihm abgefallen. Die Eltern von David Jaeggi, der sich mit 23 Jahren das Leben nahm, wiederum müssen damit leben lernen, dass es letztlich keine Antwort darauf gibt, warum ihr Sohn sterben wollte: "Seine Abgelöstheit dem Leben gegenüber hat er ganz für sich behalten."

So reiht sich Geschichte an Geschichte, facettenreich und berührend. Weder deutet Ursula von Arx noch psychologisiert sie. Dafür lässt sie die Menschen selbst hervortreten, in ihrer Würde, ihren Widersprüchen und ihrer Verletzlichkeit. Das ist nicht nur wunderbar zu lesen, sondern betrifft einen beim Lesen auch selbst: Man will entweder sofort zu Hause anrufen - oder Verbündete und Gründe suchen, davon Abstand zu nehmen.

Besprochen von Ariadne von Schirach

Ursula von Arx: Liebe, lebenslänglich. Wie Eltern ihre Töchter und Söhne sehen - und umgekehrt
Kein & Aber, Zürich 2013
224 Seiten, 19,90 Euro
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