Hans-Ulrich Grimm: Die Fleischlüge – Wie uns die Tierindustrie krank macht
Droemer Verlag München 2016
335 Seiten, 18 Euro
Jan Grossarth: Vom Land in den Mund – Warum sich die Nahrungsindustrie neu erfinden muss
Nagel & Kimche München
160 Seiten, 17,90 Euro
Was Tofu mit Demenz zu tun hat
Das Buch "Die Fleischlüge" von Autor Hans-Ulrich Grimm enthält viele unangenehme Überraschungen zum Thema Nahrungsmittelproduktion in knalligen Formulierungen. Wirtschaftsredakteur Jan Grossarth zeichnet in "Vom Land in den Mund" ein differenzierteres Bild. Es eint sie ein gemeinsames Plädoyer.
Die Empörung war groß, die Medienwelt hatte ihren Aufreger: Laut Weltgesundheitsorganisation WHO fördert der ständige Genuss von rotem Fleisch Krebs. Die Nation stand Kopf. Schließlich ist Fleisch hierzulande so etwas wie ein Grundnahrungsmittel, bisweilen billiger als Gemüse. Doch der Verdacht ist begründet, so Buchautor Hans-Ulrich Grimm:
"Ein Steak kann natürlich nicht gesundheitsgefährdend sein, nur viel Steaks und viel Fleisch kann eben doch gesundheitsgefährlich sein. Und das liegt daran, dass offenbar - und da gibt es viele neue Studien dazu - der Körper mit zu viel Fleisch, zu viel Protein offenbar nicht zurechtkommt. Und wenn zu viel von diesem Baustoff in den Körper kommt, wandelt der Körper es in einen Brennstoff, das heißt er verwendet es praktisch wie Zucker. Dann steigt praktisch der Blutdruck an, der Insulinspiegel steigt an und dann steigen das Risiko für die ganzen Krankheiten, die normalerweise zum Beispiel dem Zucker zugeschrieben werden."
Hans-Ulrich Grimms Buch "Die Fleischlüge – Wie uns die Tierindustrie krank macht" bietet viele unangenehme Überraschungen. Egal ob rotes oder weißes Fleisch, ob Milch oder Eier, Fisch oder Vegetarisches – die gesamte Nahrungsmittelproduktion auch über den unmittelbaren Fleischbereich hinaus ist ungesund, zumindest in den Mengen, in denen hierzulande Fleisch und Fisch verzehrt wird.
Der Autor liebt knallige Formulierungen wie "H-Milch ist tote Milch" oder "je mehr Tofu jemand isst, desto höher ist das Demenzrisiko". Hans-Ulrich Grimm überspitzt gerne, allerdings verweist er dann stets auf die Ergebnisse von Gesundheitsstudien renommierter Forschungseinrichtungen. Er übersetzt deren Fachtermini in Umgangssprache und da klingen die Ergebnisse dann alles andere als harmlos. Beispiel Supermarktmilch:
"Es geht nicht um die Milch, es geht um die moderne Milch, die dann pasteurisiert, homogenisiert wird. Die Fettklümpchen werden immer weiter verkleinert, erhitzt wird bei der sogenannten ESL Milch, die drei, vier Wochen hält, bis hin zur H-Milch, so dass praktisch die Milch ab Kuh bis zu dem, was sich im Supermarkt findet, praktisch mit der Kuh ursprünglich gar nichts mehr zu tun hat. So und jetzt gibt es ganz neue Studien. Zur Denaturierung der Eiweiße gibt es eine italienische Studie nigelnagelneu. Die haben praktisch alle Eiweiße einzeln durchdekliniert und haben festgestellt, dass die zum Teil denaturiert werden und das hat zum Beispiel Auswirkungen auf das menschliche Immunsystem."
Die industrielle Verarbeitung der Lebensmittel, so Grimm, erhöht die Gesundheitsrisiken. Zahlreiche Zusatzstoffe aus der Chemieküche sollen Haltbarkeit, Geschmack und Aussehen verbessern, die Verarbeitung erleichtern. Ob sie auch gesund sind, ist durchaus umstritten.
Dass über die Gesundheitsgefahren dieser industriell gefertigten Lebensmittel öffentlich zu wenig diskutiert wird, führt Hans-Ulrich Grimm auf die allzu enge Verzahnung von Wissenschaft, Industrie und Staat zurück. So sitzen zum Beispiel im Vorstand der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der wichtigsten deutschen Forschungsstätte, Vertreter der Pharmaindustrie, der Versicherungswirtschaft, der Unternehmen, die für Massentierhaltung verantwortlich sind. Verbrauchervertreter und Biobranche fehlen. Ein Schelm, wer das Böses bei denkt.
Nachdem Ulrich Grimm die gesamte Lebensmittelindustrie samt Biobranche heftig attackiert und unsere tägliche Ernährung unter Generalverdacht gestellt hat, singt er ein Loblied auf Weidehaltung und Wildfleisch und kommt am Ende des Buches dann zu einem etwas überraschenden Resümee:
"Mittlerweile ist die Wissenschaft auch so weit, dass sie das untersucht hat, wie viel Fleisch gut ist für den Menschen. Da sagen sie jetzt, das scheint irgendwie Konsens zu sein, less but no zero, weniger, aber nicht nichts, so ein bisschen Fleisch ist offenbar das, was am gesündesten ist. Die Menschen, die gar kein Fleisch essen, Menschen, die ganz viel Fleisch essen, die leben beide offenbar nicht, sagen wir mal, im optimalen Gesundheitszustand, was Lebenserwartung und dergleichen anbelangt."
Zwei extrem unterschiedliche Herangehensweisen
Erheblich dezenter, von Vorwürfen weitgehend frei, auf Ausgleich zwischen den extremen Positionen von Agroindustrie und Tierschützer sowie Biobranche bedacht, präsentiert sich das Buch "Vom Land in den Mund" von Jan Grossarth. Der Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat sich in den letzten Jahren in den Ställen der Viehwirtschaft umgeschaut, Schweine- und Kuhställe, Hühner- und Putenhöfe besucht. Während Grimm die Massentierhaltung in schwärzesten Farben anprangert, zeichnet Grossarth ein differenziertes Bild. Natürlich gehört die Tierquälerei verboten, die in einigen der riesigen Aufzuchtbetriebe herrscht, aber ihn stört an der Massentierhaltung etwas anderes:
"Ich habe den Kritikpunkt, dass ich diese Massentierhaltung als einseitig auf Hygiene, auf Sauberkeit, auf schnelles Wachstum und sowas fixiert sehe. Wenn Sie einen Schweinemäster sprechen, der spricht wie ein Hotelier. Der sagt, die wollen es alle sauber haben, die Tiere. Die sind ein Prozent nur noch krank, früher waren's 30 Prozent. Er geht nicht darauf ein, dass diese Tiere Bedürfnisse haben, natürliche Bedürfnisse, die in diesem Haltungssystem nicht befriedigt werden, Spielmöglichkeiten, Freiluft, Licht, was auch immer, aber am Begriff der Masse hängt es nicht."
So sehr Jan Grossarth eine artgerechtere Tierhaltung begrüßt, so kompliziert ist doch ihre Umsetzung in Zeiten ständig sinkender Preise. In seinem Buch hat er dafür ein typisches Beispiel aus der konventionellen Milchviehhaltung:
"Da war ich also in der Eifel, habe zwei Betriebe mir angesehen. Der eine ist uralt, hat also wenig Platz für die Tiere, so einen engen alten, muffligen Stall. Der hat aber seine Kredite bezahlt und der kommt jetzt sogar klar mit den niedrigen Milchpreisen, während ein anderer eigentlich einen sehr vorzeigbaren Stall hat, 20 Meter hohe Decken, freie Luft, Tiere ,die auf Stroh laufen, mit Melkrobotern. Da können sie selbstständig hin und sich melken lassen. Das ist ganz, ganz ästhetisch, aber auch aus tierhygienischen, aus tierethischen, ich glaube in jeder Hinsicht eine fortschrittliche Tierhaltung. Der wird aber wahrscheinlich seinen Betrieb schließen müssen, weil er die hohen Kredite, die er aufnehmen musste, um das zu bauen, jetzt nicht mehr bezahlen kann."
Es sind diese kleinen Reportage-Elemente, Anekdoten aus dem Alltag bäuerlicher Betriebe, die das mit 160 Seiten recht schmale Taschenbuch so anschaulich und gut lesbar machen. Als Wirtschaftsjournalist kennt und nennt er natürlich die Zahlen und Statistiken, aber er hat eben auch mit Bauern und Unternehmern, Tierschützern und Verbandsfunktionären, Wissenschaftlern und Vertretern der Nahrungsmittelindustrie gesprochen. Im Unterschied zu Hans-Ulrich Grimm vermeidet der FAZ-Redakteur jede Verurteilung, plädiert wiederholt für ein "sowohl als auch". Für ihn erfordert eine sichere Nahrungsmittelproduktion Agrarindustrie, also modernste Maschinerie, große Felder, Einsatz von Dünger und Pestiziden. Er sieht durchaus, dass sie Ökosysteme zerstört, die Böden auslaugt, Luft und Wasser belastet. Aber nur sie kann seiner Ansicht nach sieben Milliarden Menschen ernähren, zugleich Bioenergie und Rohstoffe für die Chemie liefern. Gleichzeitig plädiert er für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft mit Kleinfelderwirtschaft, blühenden Randstreifen, Rindern auf den Weiden, kurzum artgerechter Tierhaltung.
"Für mich ist das entscheidende Wort Vielfalt und eben nicht Raps bis zum Horizont oder Mais bis zum Horizont. Wir brauchen sie, weil sie uns gut tun, weil wir ein ästhetisches Empfinden haben und die Atmosphären dieser Landschaften eine Wirkung auf uns haben. Und monotone Landschaften wirken deprimierend und vielfältige Landschaften, die eigentlich diesen Begriff Landschaft verdient haben nur, wo man mal Obstwiesen hat, Obstbäume, alten Baumbestand, Abwechslung, Variation machen fröhlich, melancholisch oder geben uns das Gefühl, dass wir irgendwie in dieser Landschaft, in dieser Natur uns wohl fühlen können. Und ich meine, dass das auch ein Kriterium sein sollte für industrielle Nahrungserzeugung."
Bei allen offenkundigen Unterschieden – da treffen sich die beiden Autoren in ihrem Plädoyer für eine umweltfreundliche Landwirtschaft, die die Natur schützt. Ansonsten verkörpern die beiden Bücher zwei extrem unterschiedliche Herangehensweisen an Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Beide bieten auf ihre Weise anregende und aufregende Lektüre.