"Die Faszination im Zuschauerraum ist nach wie vor die gleiche"

Moderation: Marie Sagenschneider · 26.02.2008
Generationen von Kindern sind mit den Helden der Augsburger Puppenkiste groß geworden: Urmel aus dem Eis, Jim Knopf oder das Sams. Der jetzige Leiter des Marionettentheaters, Klaus Marschall, ist überzeugt, dass auch heute noch neue Fernsehproduktionen der Puppenkiste Erfolg hätten. Allerdings sei eine solche Produktion so teuer wie ein Spielfilm und so viel Geld habe das Kinderfernsehen nicht.
Marie Sagenschneider: Jim Knopf, das Urmel aus dem Eis, der Schlaubär Ralfi, das Sams oder die Katze mit Hut - die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen, so Viele Generationen sind mittlerweile damit aufgewachsen, jede hat natürliche ihre eigenen Helden und das bis heute.

Auf den Tag genau 60 Jahre ist es her, dass Walter Oehmichen sein Theater in der Augsburger Spitalgasse eröffnete, mit dem Märchenklassiker "Der gestiefelte Kater". Bald wurden auch neue Stücke entworfen, dann kam das Fernsehen und damit der ganz große Erfolg.

(Beitrag Stefan Keim)

Ganz schön resolut, der Kleine. Stefan Keim über 60 Jahre Augsburger Puppenkiste, die immer noch in Familienhand ist, inzwischen in der dritten Generation. Seit 1992 wird sie von Klaus Marschall geleitet. Er ist der Enkel des Gründers und uns nun zugeschaltet aus Augsburg. Tag Herr Marschall und herzlichen Glückwunsch zum sechzigsten!

Klaus Marschall: Ja, guten Morgen, danke schön!

Sagenschneider: Sie sind ja praktisch mit der Puppenkiste aufgewachsen, oder muss man sagen, in die Kiste hineingewachsen?

Marschall: Ja, kann man beides sagen. Ich bin auf jeden Fall mit der Puppenkiste groß geworden. Ich habe meine erste Marionette bereits im Alter von sechs Jahren zu eigen gehabt.

Sagenschneider: Und die Marionette ist dann auch die erste Erinnerung, die Sie haben an die Puppenkiste?

Marschall: Ja, sagen wir mal, das ist die erste wirkliche Erinnerung. Wir sind natürlich als Kinder damit richtig groß geworden. Unser Laufstall stand schon in der Puppenwerkstatt. Während wir da angefangen haben zu laufen, hat die Mutter nebendran den Löwen gebastelt.

Sagenschneider: Was waren denn die Figuren, die Sie geprägt haben? Wenn man in der Redaktion hier so rumfragt, dann ist es immer was anderes, je nachdem, wie alt jemand ist. Ich kann es für mich sagen, es war "Das Urmel aus dem Eis", und "Der Löwe ist los" war, glaube ich, mein Lieblingsstück.

Marschall: Ja, bei mir ist es auch das Urmel, aber auch hier unser Kasperl und der Räuber Hotzenplotz.

Sagenschneider: Und welches Lied mögen Sie am liebsten? Die Stücke sind ja immer geprägt auch von Liedern.

Marschall: Die Stücke sind geprägt von Liedern. Ich liebe das Lied vom Räuber Hotzenplotz, was er alles klaut.

Sagenschneider: Singen Sie es noch mal an.

Marschall: [singt]

Sagenschneider: Großartig. Entstanden ist die Augsburger Puppenkiste ja eigentlich durch Zufall mitten im Zweiten Weltkrieg, oder?

Marschall: Die Puppenkiste ist, ja, durch Zufall würde ich nicht sagen, sondern sie ist sehr gesteuert in dieser Zeit auch entstanden. Oehmichen hat schon vorher die Idee oder die Freude am Puppenspiel gehabt. 1940 ist er dann das erste Mal wirklich auf Puppen getroffen, als er eingezogen war und mit seinen Kameraden in einem Kinderheim untergebracht war. Da hat er dann seinen Kameraden das erste Mal so richtig vorgespielt und hat dann später ein kleines Heimtheater, quasi ein Vorläufer von der Puppenkiste, gebaut, den Puppenschrein.

Sagenschneider: Das war auch in Augsburg, und das ist aber dann niedergebrannt in einer Bombennacht, wenn ich das richtig weiß.

Marschall: Das ist in einer Bombennacht niedergebrannt, und dann hat Oehmichen an seinem Traum im Grunde genommen weitergearbeitet, bis er 1948 dann seine Puppenkiste hier eröffnen konnte.

Sagenschneider: Wieso hat er das Marionettentheater Puppenkiste genannt?

Marschall: Es war Oehmichens Traum, mit einer Kiste überallhin reisen zu können und dort mit seinen Puppen zu spielen. Daher entstand der Name Puppenkiste.

Sagenschneider: Und das hat er auch gemacht, Gastspielreisen gab es schon immer viele?

Marschall: Das hat er dann auch gemacht. Der Puppenschrein, Schrein ist ja auch so was, ist ja auch so ein Kasterl, das war der Vorläufer, und die Puppenkiste war dann das Nächstgrößere. Er ist dann, ich glaube 1951 hat er angefangen, mit einer Reisebühne quer durch Deutschland zu reisen.

Sagenschneider: Das hörte, glaube ich, ein bisschen auf, als das Fernsehen dann kam 1953 mit "Peter und der Wolf", das war das erste Stück. Und das hat dann so in Anspruch genommen, dass, glaube ich, die Gastspiele schon ziemlich reduziert werden mussten?

Marschall: Sie wurden dann reduziert, aber man hat weiterhin noch Gastspiele durchgeführt bis weit in die 60er Jahre hinein. Wir haben die erst vor zehn Jahren wieder aufwecken lassen und sind dann mit der Puppenkiste noch mal vor zehn Jahren quer durch Deutschland gereist. Heute nur noch in kleinem Umfang, das heißt, wir sind heute zusammen mit einem Pharmakonzern in Kinderkliniken unterwegs.

Sagenschneider: Mit dem Stück "Das kleine Känguru und der Angsthase".

Marschall: Genau.

Sagenschneider: Wie niedlich. Ab wann wurden denn eigentlich bei der Augsburger Puppenkiste bei den Themen, bei dem Familienbetrieb, der er bis heute ist, ab wann wurden dann die ersten eigenen Stücke geschrieben?

Marschall: Es wurden schon in den 50er Jahren eigene Stücke geschrieben, wobei das eigentlich immer zweitrangig war. Zunächst war es immer wichtig, eine gute Geschichte zu haben, und da hat man sich oft an Kinderbüchern eben auch bedient. Wir spielen ja nicht nur Märchen, sondern viele, viele Kinderliteraturstücke, die wir auf die Bühne bringen. Aktuell haben wir letztes Jahr zur Weihnachtszeit beispielsweise von Cornelia Funke "Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel" auf die Bühne gebracht.

Sagenschneider: Wie wichtig war es eigentlich, dass die Augsburger Puppenkiste immer ein Familienbetrieb war? Sie sind jetzt der Enkel, Ihr Bruder ist für die Puppen zuständig und ich glaube, Ihre Kinder machen auch schon mit, oder?

Marschall: Die machen auch schon mit. Ich glaube, das gibt uns eine gewisse Konstanz über die 60 Jahre hinweg. Ich denke schon, dass es der Garant dafür war, dass wir nicht uns zu sehr an alle möglichen oder an alle auch unmöglichen Veränderungen in der Zeit angepasst haben.

Sagenschneider: Würde es, Herr Marschall, die Augsburger Puppenkiste auch heute noch geben, wäre das Fernsehen nicht gewesen?

Marschall: Das kann ich Ihnen nicht beantworten, dazu hat das Fernsehen viel zu lange und viel zu viel über uns berichtet. Wir haben heute ohne das Fernsehen hier in Augsburg über 400 Vorstellungen pro Jahr bei einer Platzausnutzung von 98 Prozent. Das heißt, die Puppenkiste als Theater ist rappelvoll. Und wir freuen uns natürlich, dass das Interesse hier noch so groß ist.

Sagenschneider: Aber überregional bekannt in ganz Deutschland, das war eben das Fernsehen?

Marschall: Das war in der Hauptsache natürlich das Fernsehen. Die Gastspielreisen haben zwar noch ein Übriges dazugetan, aber ich denke, wir müssten heute viel mehr unterwegs sein, um diese Bekanntheit erreichen zu können.

Sagenschneider: Die Fernsehstücke, hatten die was mit den Bühnenproduktionen noch zu tun oder lief das völlig getrennt?

Marschall: Das lief parallel bis Ende der 50er Jahre. Man hat dann ab den 60er Jahren auch diese beiden Medien getrennt. Was wir heute landläufig aus dem Fernsehen kennen, ob das "Das Urmel" ist oder der "Jim Knopf" oder "Der Löwe ist los" oder der "Kater Mikesch", und wie sie alle heißen, das sind reine Fernsehproduktionen gewesen, die auch so nie auf der Bühne der Puppenkiste stattgefunden haben.

Sagenschneider: Wie haben sich denn die Stücke im Laufe des Jahres geändert?

Marschall: Ja gut, wir haben natürlich die Sprache angepasst. Es ist schon zum Teil ein bisschen flotter geworden, als wir früher gespielt haben, aber im Großen und Ganzen muss ich sagen, halten wir auch die Tradition noch hoch. Wir spielen nach wie vor beispielsweise den Räuber Hotzenplotz genau in der gleichen Inszenierung wie 1965, als er das erste Mal auf die Bühne gekommen ist. Und die Kinder sind nach wie vor begeistert davon.

Sagenschneider: Ich war damals auch begeistert. Es war mein allererstes Theaterstück, der Räuber Hotzenplotz. Stefan Keim hat ja vorhin gesagt, im Fernsehen fehlen heute neue Abenteuer der Augsburger Puppenkiste, das Kinderprogramm sei ihm doch zu gleichförmig. Empfinden Sie das ähnlich?

Marschall: Ja, ich empfinde das ähnlich. Ich glaube auch nicht an das, was mir über die Redakteure immer wieder zugetragen wird, dass die Puppenkiste im Fernsehen heute nicht mehr zeitgemäß ist. Ich glaube da nicht dran. Ich weiß auch nicht, woher die Aussage kommt. Das hört man immer wieder bei Fernsehredaktionen. Ich denke nach wie vor, dass die Produktion mit der Puppenkiste, und wir kennen ja die ganzen alten Produktionen, die sind nach wie vor für Kinder ganz tolle Unterhaltung. Und ich glaube, dass wir auch in der Lage wären, heute so was wieder auf die Beine zu stellen. Das Problem ist nur, dass eine Produktion mit der Puppenkiste den Umfang und auch vor allen Dingen den zeitlichen und den finanziellen Umfang hat wie eine Spielfilmproduktion, und diese Gelder sind beim Kinderprogramm heute kaum mehr zu haben.

Sagenschneider: Sind die Kinder wirklich in dem Umfang noch so zu begeistern für das Puppentheater? Denn wir reden ja mittlerweile von Kindergenerationen, die mit Fernsehserien aufgewachsen sind, mit Internet und mit Animationsfilmen, die zum Teil ja wirklich hervorragende Qualität haben.

Marschall: Das auf jeden Fall, ich will auch niemandem was absprechen, beispielsweise die Disney-Pixar-Filme, ob das "Findet Nemo" ist oder "Ratatouille" oder wie sie alle heißen, das sind tolle Produktionen, da gibt es überhaupt nichts dran zu rütteln. Allerdings lassen die nur wenig Freiraum für die Phantasie. Und da springt dann wieder das Puppentheater ein, also das Figurentheater im Allgemeinen, jetzt nicht nur die Puppenkiste. Denn das ist doch eine ganz andere Art des Erlebens.

Sagenschneider: Und da merken Sie auch, da sind die Kinder noch für zu haben, ja?

Marschall: Da sind die Kinder nach wie vor für zu haben. Also die Faszination im Zuschauerraum ist nach wie vor die gleiche.

Sagenschneider: Wie begehen Sie denn heute den 60. Geburtstag? Was gibt's Besonderes?

Marschall: Wir werden heute eine Ausstellung eröffnen in der City-Galerie hier in Augsburg. Wir haben beschlossen, dass wir einfach auch mal mit unseren Figuren ganz woanders hingehen, ganz rausgehen, um auch den Leuten Zugang zu verschaffen, die sonst den Weg direkt in unser Theater nicht finden, und stellen einige der bekanntesten Figuren aus und werden heute Abend dann mit geladenen Gästen in einem großen Rahmen feiern.

Sagenschneider: Dann viel Spaß, Herr Marschall. Herzlichen Dank und alles Gute für die nächsten Jahrzehnte.

Marschall: Ich danke Ihnen!

Sagenschneider: Klaus Marschall war das, der Leiter der Augsburger Puppenkiste, die heute ihren 60. Geburtstag feiert. Wer sich über das Programm oder auch das Museum, das es seit einigen Jahren gibt, auf dem Laufenden halten will, dem sei die Internetseite der Augsburger Puppenkiste empfohlen: www.diekiste.net.
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