Die Brücke am Moei
Die thailändische Grenzstadt Mae Sot liegt inmitten einer waldreichen Gebirgslandschaft, umgeben von Reis- und Baumwollfeldern. Sie ist Hauptstadt der Flüchtlinge aus Birma. Dort suchen sie Schutz vor dem Militärregime oder wirtschaftliches Auskommen, oft in den Textilunternehmen der Region.
Ein Markt in Thailand – direkt an der Grenze zu Birma. Vorgekochte Nudeln werden in heißes Wasser getaucht. Ein wenig Gemüse, Fleisch und Gewürze dazu, schon ist die Suppe fertig. Tief über die Schalen gebeugt schlürfen Besucher nach ihren Einkäufen gerne etwas Heißes. Der Blick zum Moei-Fluss, der Thailand von Birma trennt, ist durch Bretterbuden versperrt, in denen Zigaretten verkauft werden.
Der Moei führt nur wenig Wasser. Es ist trübe, fast schwarz. Nur etwa 100 Meter entfernt liegt Birma. Auf der Seite ist das Ufer des Flusses einzementiert. Kein Mensch ist dort zu sehen. Alles wirkt friedlich und still. Der Eindruck trügt, sagt der Birmane Bo Kyi, der seit elf Jahren im thailändischen Grenzort Mae Sot lebt.
"Viele birmanische Flüchtlinge wollen nach Thailand, weil das Militär in Birma ihre Dörfer zerstört hat. Die Vertriebenen geraten zwischen die Fronten des Bürgerkriegs. Sie werden als Lastenträger zwangsverpflichtet, entweder von den Milizen der Autonomiebewegung der ethnischen Minderheiten oder von der nationalen Armee Birmas. Deshalb versuchen viele über die Grenze fliehen. Das ist aber sehr schwierig."
Menschenrechtsverletzungen der Armee an der Zivilbevölkerung sind in den Regionen der ethnischen Minderheiten Birmas an der Tagesordnung. Hunderttausend sind dort auf der Flucht. Viele leben versteckt im Dschungel. In ihre Dörfer können sie nicht zurück, weil die Armee ihre Häuser nicht nur zerstört, sondern das Terrain auch vermint hat, damit die Menschen nicht wieder alles aufbauen können.
"Die Flüchtlinge können von Glück reden, wenn sie auf dem Weg nach Thailand nicht auf eine der Landminen treten. Die thailändische Regierung will, dass die Flüchtlinge wieder nach Birma zurückkehren. Sie behauptet, dass sie nur freiwillig zurückgehen müssten. Aber die meisten Flüchtlinge fürchten sich vor einer Abschiebung."
Neben dem Grenzmarkt schwingt sich eine hohe Brücke über den Moei. Straßenlaternen, alle 50 Meter eine, dazu Hinweisschilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung markieren die lange Brücke – aber Autos passieren sie nicht.
Die Grenzstadt Mae Sot ist etwa drei Kilometer entfernt. Der alte Ortskern ist eine Ansammlung zweistöckiger Betonbauten, mit offenen Ladenlokalen zur Straßenseite hin. Eng ist es dort und laut. Eisenwaren, Farben, Möbel werden hier angeboten.
Das neue Mae Sot - Entlang zweier parallel angelegter Ausfallstraßen mit löchrigem Asphalt und ungeteerten Seitenwegen, eine Mixtur aus Schnellrestaurants, Kleiderboutiquen und Hotels, neben bunten Pagoden und chinesischen Tempeln und Baugruben. Hier wird alles Alte abgerissen. Autowerkstätten, kleine Handwerksbetriebe weichen prächtigen Häusern im sogenannten Chinabarock mit säulenverzierten Balkonen in den Farben rosa und himmelblau. Wer mit den Bau- und Mietpreisen nicht mithalten kann, zieht weiter an den Stadtrand.
Durch die weit geöffneten Fenster eines herrschaftlichen Hauses in einer stillen Seitenstraße der Altstadt ist ein großes holzgetäfeltes Wohnzimmer mit hohen Decken erkennbar. Drei Thais in kurzen Hosen sitzen vor dem Fernseher und schauen sich ein englisches Fußballspiel an. Die Fassaden des Holzhauses sind von Grün überwachsen. Blumen blühen auf der Veranda im ersten Stock.
Wenig dahinter und von der Straße aus kaum zu erkennen, hat Bo Kyi, Vertreter einer internationalen Gefangenenorganisation sein Büro in einem dunklen fensterlosen Verschlag aus wettergegerbtem Holz. Er ist selber Flüchtling aus Birma. Seine Odyssee begann 1988, als Student und einer der Anführer des großen Aufstands gegen das Militärregime. Sieben Jahre verbrachte er in birmanischen Gefängnissen.
"1998 wurde ich freigelassen. Danach habe ich kurze Zeit als Privatlehrer gearbeitet. Schon ein Jahr später wollte das Regime mich wieder verhaften. Einige meiner Freunde auch. Sie sind immer noch im Gefängnis. Ich habe mich dagegen entschieden, Birma zu verlassen. Im September 1999 erreichte ich die thailändische Grenze, wo ich andere ehemalige politische Gefangene traf. Da habe ich mich gefragt, was kannst du hier für die Menschern in Birma tun. Viel Zeit meines Lebens hatte ich dort im Gefängnis verbracht. Ich kenne die Situation also gut. So haben wir hier in Mae Sot eine Organisation für politische Gefangene gegründet."
Bo Kyi, der im Vorstand der Gefangenenorganisation sitzt, gehört heute zu der kleinen privilegierten Gruppe von Birmanen in Thailand, die offiziell arbeiten darf, Reisepapiere besitzt und sich ins Thaileben integriert hat. Die meisten Birmaner gelten in Thailand dagegen als illegale Einwanderer, nicht als Flüchtlinge. Thailand hat die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben, gewährt den Geflohenen daher keinen Schutz und unterstützt sie auch nicht finanziell.
Junge Frauen sitzen gebeugt über Nähmaschinen, die in Dreierreihen in einem Schuppen aufgestellt sind. Ihre Kinder hocken daneben vor einem Fernseher, in dem ein birmanischer Horrorfilm läuft. In Richtung Süden und weit vom Stadtzentrum Mae Sots entfernt, mit Blick auf abgeerntete Reisfelder, hat eine Hilfsorganisation ein kleines Ausbildungszentrum für Birmanische Migranten aufgebaut, sagt Kyaw Zin, ein Mitarbeiter.
"In Birma selbst sind die Preise sehr hoch und der Lebensstandard ist niedrig. Deshalb flüchten so viele. Hier in Thailand müssten die Menschen einen Mindestlohn von 153 Baht bekommen, umgerechnet vier Euro am Tag. Tatsächlich verdienen sie nur 50 bis 80 Baht. Sie arbeiten elf Stunden täglich. Überstunden werden nicht bezahlt. Sie leben am Stadtrand in kleinen Hütten ohne Trinkwasser."
Oder sie schlafen gleich am Arbeitsplatz, den Fabriken. Die meisten birmanischen Arbeitssuchenden können sich eine offizielle Arbeitserlaubnis in Thailand zum Preis von 100 Dollar nicht leisten. Das macht sie zu Opfern von Ausbeutung und Schikanen ihrer Arbeitgeber und auch der Polizei.
"Man kann davon ausgehen, dass zwei Millionen Birmanen in Thailand arbeiten, nur 800 000 sind aber registriert, wie das verantwortliche Thai-Ministerium angibt. Das bedeutet, dass mehr als eine Million Birmanen illegal arbeiten und von der Polizei jederzeit verhaftet werden können."
Über 200 florierende Fabriken haben sich zwischen Baumwollfeldern in der Ebene rund um Mae Sot angesiedelt. In der Mehrzahl werden Stoffe gewebt und verarbeitet. Die Fabriken sind absolute No-Go-Areas. Umgeben von hohen Mauern und ohne Firmenschilder sind sie von außen nicht einsehbar.
Die Frauen, die im Gebäude der Hilfsorganisation an den Nähmaschinen sitzen, haben bis zu ihrer Entlassung in diesen Fabriken gearbeitet. Sie hatten bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn gefordert. Eine hohe Mauer umgibt das kleine Büro und den Trainingsraum mit den Nähmaschinen. Denn wer die birmanischen Arbeitsmigranten über ihre Rechte informiert, gegen Fabrikbesitzer prozessiert und Entschädigungszahlungen mit Hilfe thailändischer Anwälte für sie erstreitet, lebt gefährlich.
Obwohl die thailändische Wirtschaft heute ohne Arbeiter aus dem Ausland nicht mehr funktionieren könnte, sprechen manche Politiker und Medien von einer nationalen Bedrohung durch die Birmanen. Auch Einheimische begegnen ihnen allzu oft mit Skepsis.
Blumen- und Gemüsestände, Imbissbuden, der Geruch nach verbranntem Bratfett, nach Knoblauch und Fisch – die Märkte im alten Ortskern von Mae Sot unterscheiden sich kaum von denen in anderen südostasiatischen Staaten. Und doch bleiben sie vielen Flüchtlingen, die sich nicht in die Öffentlichkeit trauen, fremd. Es sei ohnehin besser, in Anwesenheit von Thais den Mund zu schließen und sich unsichtbar zu machen, meint der aus Birma stammende Mönch Ashin Sopaka.
"Ich habe mich anfangs nicht einmal im Bus getraut, in meiner Sprache zu sprechen. Denn wenn ein Thai Birmanisch hört, verändert sich schlagartig sein Gesichtsausdruck."
Sopaka kam 2003 nach Deutschland und erhielt Asyl. Vor drei Jahren wollte er einen Friedensmarsch von Bangkok nach Mae Sot, zusammen mit anderen Aktivisten unternehmen, um auf die Diskriminierung der Birmanen im Land aufmerksam zu machen. Dabei schlug ihm auch von offizieller Seite Misstrauen entgegen.
"Als wir den thailändischen Kontrollpunkt vor Mae Sot erreichten, wurde ich von sechs bewaffneten Soldaten verhaftet und in ein Armeelager gebracht. Er wollte mich zurück nach Birma schicken, sozusagen als Geschenk an die Generäle dort. Er sagte, dass er mit dem Regime dort kooperiert. Wir waren schon auf der Brücke über den Moei, aber die Soldaten der Gegenseite zwangen uns anzuhalten. Er versuchte immer wieder, mich nach Birma abzuschieben. Meinen deutschen Flüchtlings-Ausweis hielt der Thai-Offizier für gefälscht. Erst als er die deutsche Botschaft in Bangkok anrief, klärte sich die Sache für mich."
Birmanische Flüchtlingskinder sitzen auf schmalen Bänken und lernen Englisch. "The best Friends" heißt die Organisation, die Sopaka mit anderen gegründet hat. An einer der Ausfallstraßen in Richtung Süden hat sie ein Haus mit drei Etagen gemietet. Ein Rohbau mit unverputzten Wänden. Wahllos sind alte Möbel in die hohen Räume gestellt: Zerschlissene Sofas, wackelige Tische, von Thais ausrangierte Schränke.
Drei birmanische Jugendliche vertreiben sich den Nachmittag mit dem Einstudieren eines Schlagers. Hier im Flüchtlingslager Umphaing an der Grenze zu Birma leben 30 000 Menschen, umgeben von kegelförmigen Bergen. Hüttendach drängt sich an Hüttendach. Ein kompaktes stumpfes Aschgrau inmitten von Grün. Pfade, in die der Regen tiefe Furchen gewaschen hat, durchziehen das Camp wie ein Geflecht aus Adern. Viele Kinder und Jugendliche kennen nichts als das Lagerleben.
Im Schneidersitz hocken die drei Jungen auf dem löchrigen Boden einer Bambushütte, lesen den Text von einem Blatt Papier ab. Abgeschottet von der Außenwelt, aber keineswegs sicher vor Angriffen der birmanischen Armee, leben insgesamt 150.000 Birmanen in Flüchtlingslagern entlang der Grenze. Manche Lager bestehen seit 20 Jahren.
Und die Grenzstadt Mae Sot ist auch nicht so friedlich, wie sie auf den ersten Blick wirkt, sagt der Birmane Bo Kyi von der Organisation für politische Gefangene.
"Vor vier Jahren wurde der Generalsekretär der oppositionellen Organisation der Karen, einer ethnischen Minderheit, hier in Mae Sot ermordet. So etwas passiert. Die Täter sind Mitglieder birmanischer oder thailändischer Gangs. Erst kürzlich wurden neun Birmanen hier in Mae Sot umgebracht. Das kann mit Drogenhandel oder anderen illegalen Geschäften zu tun haben."
Über dem Ufer des Moei-Flusses liegt brütende Hitze. Auf der birmanischen Seite der Grenze ist niemand zu sehen. Und auch die Brücke über den Moei bleibt leer. An der thailändischen Seite warten chinesische Motorräder und Fotoapparate vergeblich auf Käufer. Vor einigen Wochen ist der Grenzübergang von der birmanischen Seite geschlossen worden. Aus Gründen der Grenzsicherung, wie es offiziell heißt.
Der Moei führt nur wenig Wasser. Es ist trübe, fast schwarz. Nur etwa 100 Meter entfernt liegt Birma. Auf der Seite ist das Ufer des Flusses einzementiert. Kein Mensch ist dort zu sehen. Alles wirkt friedlich und still. Der Eindruck trügt, sagt der Birmane Bo Kyi, der seit elf Jahren im thailändischen Grenzort Mae Sot lebt.
"Viele birmanische Flüchtlinge wollen nach Thailand, weil das Militär in Birma ihre Dörfer zerstört hat. Die Vertriebenen geraten zwischen die Fronten des Bürgerkriegs. Sie werden als Lastenträger zwangsverpflichtet, entweder von den Milizen der Autonomiebewegung der ethnischen Minderheiten oder von der nationalen Armee Birmas. Deshalb versuchen viele über die Grenze fliehen. Das ist aber sehr schwierig."
Menschenrechtsverletzungen der Armee an der Zivilbevölkerung sind in den Regionen der ethnischen Minderheiten Birmas an der Tagesordnung. Hunderttausend sind dort auf der Flucht. Viele leben versteckt im Dschungel. In ihre Dörfer können sie nicht zurück, weil die Armee ihre Häuser nicht nur zerstört, sondern das Terrain auch vermint hat, damit die Menschen nicht wieder alles aufbauen können.
"Die Flüchtlinge können von Glück reden, wenn sie auf dem Weg nach Thailand nicht auf eine der Landminen treten. Die thailändische Regierung will, dass die Flüchtlinge wieder nach Birma zurückkehren. Sie behauptet, dass sie nur freiwillig zurückgehen müssten. Aber die meisten Flüchtlinge fürchten sich vor einer Abschiebung."
Neben dem Grenzmarkt schwingt sich eine hohe Brücke über den Moei. Straßenlaternen, alle 50 Meter eine, dazu Hinweisschilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung markieren die lange Brücke – aber Autos passieren sie nicht.
Die Grenzstadt Mae Sot ist etwa drei Kilometer entfernt. Der alte Ortskern ist eine Ansammlung zweistöckiger Betonbauten, mit offenen Ladenlokalen zur Straßenseite hin. Eng ist es dort und laut. Eisenwaren, Farben, Möbel werden hier angeboten.
Das neue Mae Sot - Entlang zweier parallel angelegter Ausfallstraßen mit löchrigem Asphalt und ungeteerten Seitenwegen, eine Mixtur aus Schnellrestaurants, Kleiderboutiquen und Hotels, neben bunten Pagoden und chinesischen Tempeln und Baugruben. Hier wird alles Alte abgerissen. Autowerkstätten, kleine Handwerksbetriebe weichen prächtigen Häusern im sogenannten Chinabarock mit säulenverzierten Balkonen in den Farben rosa und himmelblau. Wer mit den Bau- und Mietpreisen nicht mithalten kann, zieht weiter an den Stadtrand.
Durch die weit geöffneten Fenster eines herrschaftlichen Hauses in einer stillen Seitenstraße der Altstadt ist ein großes holzgetäfeltes Wohnzimmer mit hohen Decken erkennbar. Drei Thais in kurzen Hosen sitzen vor dem Fernseher und schauen sich ein englisches Fußballspiel an. Die Fassaden des Holzhauses sind von Grün überwachsen. Blumen blühen auf der Veranda im ersten Stock.
Wenig dahinter und von der Straße aus kaum zu erkennen, hat Bo Kyi, Vertreter einer internationalen Gefangenenorganisation sein Büro in einem dunklen fensterlosen Verschlag aus wettergegerbtem Holz. Er ist selber Flüchtling aus Birma. Seine Odyssee begann 1988, als Student und einer der Anführer des großen Aufstands gegen das Militärregime. Sieben Jahre verbrachte er in birmanischen Gefängnissen.
"1998 wurde ich freigelassen. Danach habe ich kurze Zeit als Privatlehrer gearbeitet. Schon ein Jahr später wollte das Regime mich wieder verhaften. Einige meiner Freunde auch. Sie sind immer noch im Gefängnis. Ich habe mich dagegen entschieden, Birma zu verlassen. Im September 1999 erreichte ich die thailändische Grenze, wo ich andere ehemalige politische Gefangene traf. Da habe ich mich gefragt, was kannst du hier für die Menschern in Birma tun. Viel Zeit meines Lebens hatte ich dort im Gefängnis verbracht. Ich kenne die Situation also gut. So haben wir hier in Mae Sot eine Organisation für politische Gefangene gegründet."
Bo Kyi, der im Vorstand der Gefangenenorganisation sitzt, gehört heute zu der kleinen privilegierten Gruppe von Birmanen in Thailand, die offiziell arbeiten darf, Reisepapiere besitzt und sich ins Thaileben integriert hat. Die meisten Birmaner gelten in Thailand dagegen als illegale Einwanderer, nicht als Flüchtlinge. Thailand hat die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben, gewährt den Geflohenen daher keinen Schutz und unterstützt sie auch nicht finanziell.
Junge Frauen sitzen gebeugt über Nähmaschinen, die in Dreierreihen in einem Schuppen aufgestellt sind. Ihre Kinder hocken daneben vor einem Fernseher, in dem ein birmanischer Horrorfilm läuft. In Richtung Süden und weit vom Stadtzentrum Mae Sots entfernt, mit Blick auf abgeerntete Reisfelder, hat eine Hilfsorganisation ein kleines Ausbildungszentrum für Birmanische Migranten aufgebaut, sagt Kyaw Zin, ein Mitarbeiter.
"In Birma selbst sind die Preise sehr hoch und der Lebensstandard ist niedrig. Deshalb flüchten so viele. Hier in Thailand müssten die Menschen einen Mindestlohn von 153 Baht bekommen, umgerechnet vier Euro am Tag. Tatsächlich verdienen sie nur 50 bis 80 Baht. Sie arbeiten elf Stunden täglich. Überstunden werden nicht bezahlt. Sie leben am Stadtrand in kleinen Hütten ohne Trinkwasser."
Oder sie schlafen gleich am Arbeitsplatz, den Fabriken. Die meisten birmanischen Arbeitssuchenden können sich eine offizielle Arbeitserlaubnis in Thailand zum Preis von 100 Dollar nicht leisten. Das macht sie zu Opfern von Ausbeutung und Schikanen ihrer Arbeitgeber und auch der Polizei.
"Man kann davon ausgehen, dass zwei Millionen Birmanen in Thailand arbeiten, nur 800 000 sind aber registriert, wie das verantwortliche Thai-Ministerium angibt. Das bedeutet, dass mehr als eine Million Birmanen illegal arbeiten und von der Polizei jederzeit verhaftet werden können."
Über 200 florierende Fabriken haben sich zwischen Baumwollfeldern in der Ebene rund um Mae Sot angesiedelt. In der Mehrzahl werden Stoffe gewebt und verarbeitet. Die Fabriken sind absolute No-Go-Areas. Umgeben von hohen Mauern und ohne Firmenschilder sind sie von außen nicht einsehbar.
Die Frauen, die im Gebäude der Hilfsorganisation an den Nähmaschinen sitzen, haben bis zu ihrer Entlassung in diesen Fabriken gearbeitet. Sie hatten bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn gefordert. Eine hohe Mauer umgibt das kleine Büro und den Trainingsraum mit den Nähmaschinen. Denn wer die birmanischen Arbeitsmigranten über ihre Rechte informiert, gegen Fabrikbesitzer prozessiert und Entschädigungszahlungen mit Hilfe thailändischer Anwälte für sie erstreitet, lebt gefährlich.
Obwohl die thailändische Wirtschaft heute ohne Arbeiter aus dem Ausland nicht mehr funktionieren könnte, sprechen manche Politiker und Medien von einer nationalen Bedrohung durch die Birmanen. Auch Einheimische begegnen ihnen allzu oft mit Skepsis.
Blumen- und Gemüsestände, Imbissbuden, der Geruch nach verbranntem Bratfett, nach Knoblauch und Fisch – die Märkte im alten Ortskern von Mae Sot unterscheiden sich kaum von denen in anderen südostasiatischen Staaten. Und doch bleiben sie vielen Flüchtlingen, die sich nicht in die Öffentlichkeit trauen, fremd. Es sei ohnehin besser, in Anwesenheit von Thais den Mund zu schließen und sich unsichtbar zu machen, meint der aus Birma stammende Mönch Ashin Sopaka.
"Ich habe mich anfangs nicht einmal im Bus getraut, in meiner Sprache zu sprechen. Denn wenn ein Thai Birmanisch hört, verändert sich schlagartig sein Gesichtsausdruck."
Sopaka kam 2003 nach Deutschland und erhielt Asyl. Vor drei Jahren wollte er einen Friedensmarsch von Bangkok nach Mae Sot, zusammen mit anderen Aktivisten unternehmen, um auf die Diskriminierung der Birmanen im Land aufmerksam zu machen. Dabei schlug ihm auch von offizieller Seite Misstrauen entgegen.
"Als wir den thailändischen Kontrollpunkt vor Mae Sot erreichten, wurde ich von sechs bewaffneten Soldaten verhaftet und in ein Armeelager gebracht. Er wollte mich zurück nach Birma schicken, sozusagen als Geschenk an die Generäle dort. Er sagte, dass er mit dem Regime dort kooperiert. Wir waren schon auf der Brücke über den Moei, aber die Soldaten der Gegenseite zwangen uns anzuhalten. Er versuchte immer wieder, mich nach Birma abzuschieben. Meinen deutschen Flüchtlings-Ausweis hielt der Thai-Offizier für gefälscht. Erst als er die deutsche Botschaft in Bangkok anrief, klärte sich die Sache für mich."
Birmanische Flüchtlingskinder sitzen auf schmalen Bänken und lernen Englisch. "The best Friends" heißt die Organisation, die Sopaka mit anderen gegründet hat. An einer der Ausfallstraßen in Richtung Süden hat sie ein Haus mit drei Etagen gemietet. Ein Rohbau mit unverputzten Wänden. Wahllos sind alte Möbel in die hohen Räume gestellt: Zerschlissene Sofas, wackelige Tische, von Thais ausrangierte Schränke.
Drei birmanische Jugendliche vertreiben sich den Nachmittag mit dem Einstudieren eines Schlagers. Hier im Flüchtlingslager Umphaing an der Grenze zu Birma leben 30 000 Menschen, umgeben von kegelförmigen Bergen. Hüttendach drängt sich an Hüttendach. Ein kompaktes stumpfes Aschgrau inmitten von Grün. Pfade, in die der Regen tiefe Furchen gewaschen hat, durchziehen das Camp wie ein Geflecht aus Adern. Viele Kinder und Jugendliche kennen nichts als das Lagerleben.
Im Schneidersitz hocken die drei Jungen auf dem löchrigen Boden einer Bambushütte, lesen den Text von einem Blatt Papier ab. Abgeschottet von der Außenwelt, aber keineswegs sicher vor Angriffen der birmanischen Armee, leben insgesamt 150.000 Birmanen in Flüchtlingslagern entlang der Grenze. Manche Lager bestehen seit 20 Jahren.
Und die Grenzstadt Mae Sot ist auch nicht so friedlich, wie sie auf den ersten Blick wirkt, sagt der Birmane Bo Kyi von der Organisation für politische Gefangene.
"Vor vier Jahren wurde der Generalsekretär der oppositionellen Organisation der Karen, einer ethnischen Minderheit, hier in Mae Sot ermordet. So etwas passiert. Die Täter sind Mitglieder birmanischer oder thailändischer Gangs. Erst kürzlich wurden neun Birmanen hier in Mae Sot umgebracht. Das kann mit Drogenhandel oder anderen illegalen Geschäften zu tun haben."
Über dem Ufer des Moei-Flusses liegt brütende Hitze. Auf der birmanischen Seite der Grenze ist niemand zu sehen. Und auch die Brücke über den Moei bleibt leer. An der thailändischen Seite warten chinesische Motorräder und Fotoapparate vergeblich auf Käufer. Vor einigen Wochen ist der Grenzübergang von der birmanischen Seite geschlossen worden. Aus Gründen der Grenzsicherung, wie es offiziell heißt.