"Die Brieffreundschaft"
Austausch mit Gefangenen: Das Kollektiv Markus&Markus hat Kontakt mit inhaftierten Frauen aufgenommen und daraus ein Theaterstück gemacht. © Dorothea Tuch
Die Nähe der Nichtanwesenden
09:32 Minuten
Das Theaterkollektiv "Markus&Markus" bringt mit "Die Brieffreundschaft" ihre Korrespondenz mit inhaftierten Frauen auf die Bühne der Berliner Sophiensäle. Dabei stellt sich die Gruppe auch die Frage, ob Strafen überhaupt nötig sind.
In diesem Jahr feiern die Berliner Sophiensäle ihr 25-jähriges Bestehen als Spielstätte für freies Theater. Ein Schwerpunkt liegt auf zeitgenössischem Tanz, aber zu den regelmäßigen Gästen zählt auch das Performancekollektiv "Markus&Markus", das 2011 in Hildesheim gegründet wurde.
Die Gruppe holt auf radikale Weise Realität auf die Bühne und veranstaltet konfrontatives Dokumentartheater. So haben "Markus&Markus" in ihrem Stück "Gespenster" eine Frau begleitet, die Sterbehilfe für sich in Anspruch genommen hat. Sie haben auch einen Abend über die Missbrauchsskandale im Vatikan inszeniert. Nun gibt es das neue Projekt "Die Brieffreundschaft". Es basiert auf ihrem Schriftwechsel mit verurteilten Mörderinnen.
Austausch über Theater
Markus Schäfer, einer von beiden Markussen, die dem Kollektiv ihren Namen geben, berichtet davon, wie diese Annäherung mit den verurteilten Straftäterinnen auf ihn gewirkt habe. "Das Überraschendste ist natürlich, dass man da sitzt mit Briefen. Es sind völlig normale Briefe und ein Austausch, wie man ihn in jeder anderen Brieffreundschaft auch pflegen würde. Über das Wetter, das Essen, über den Tag heute, über Bücher, über Kunst, über Malerei, über Theater."
Dabei war von Anfang an wichtig, auch über die Form eines zu entstehenden Stückes zu sprechen. "Das Beeindruckende war vielleicht gar nicht so sehr, dass sie Lust haben, auch an dem Theaterprojekt mitzuwirken, sondern auch die Art und Weise, wie wir uns über Theater ausgetauscht haben – was man mag an Stücken, was man glaubt, was für Stücke heutzutage gemacht werden sollten oder was wichtig ist. Das war wie ein Austausch, wo sozusagen das Kollektiv erweitert wird und man zusammen auch dieses Stück plant."
Konfrontativ und kontrovers
Um die Taten, die zu den Haftstrafen geführt haben, ging es dabei nur zum Teil. Sie wurden von den Performern auch nicht sofort in den Mittelpunkt der Kontaktaufnahme gerückt, wie Markus Schäfer erklärt:
"Es gibt Brieffreundinnen, die sich mit Dingen wie Gnadengesuch beschäftigen oder dass man generell reflektiert, was da passiert ist, auch natürlich der eigene Schock über das, was man angerichtet hat, dass man über diese Dinge spricht. Aber natürlich gehen wir nicht in so eine Brieffreundschaft rein und sagen als erstes: Sag mal, warum hast du eigentlich damals das und das getan?"
In der Bühnenumsetzung muss die Distanz zu den Protagonistinnen natürlich überbrückt werden. "Was da ist, sind die Briefe, sind Ideen, Regieanweisungen – was wir umsetzen sollen. Auch Briefe, die sich ans Publikum richten", sagt Schäfer. Die Frauen seien aber "über kleine Orte im Raum anwesend, die irgendwie stellvertretend für sie da sind. So geben wir unser Bestes, aus dieser Nichtanwesenheit irgendwie doch für die Aufführungen einen Raum zu schaffen, wo sie irgendwie mit dabei sind."
Das Theater von "Markus&Markus" war von Anfang an konfrontativ und kontrovers. Schon in Ihrer ersten Performance, noch als Studenten, haben die Performer den Präsidenten der eigenen Universität angezeigt – später auch den damaligen Papst Benedikt. Es ist ihnen wichtig, dass vom Theater eine tatsächliche Wirkung auf die Realität ausgeht.
Fragen nach Gesellschaft
"Wo, wenn nicht im Theater, sollten wir irgendwie auch den Anspruch haben, dass wirklich vor Ort was passiert, dass bei den Menschen etwas ausgelöst wird?", fragt Markus Schäfer. Auch in dieser Produktion gehe es ihnen darum, Systemkritik deutlich zu machen. "Diese ganze Frage des Strafens ist ein völlig ungeklärtes Problem – wo das hinführen soll, was die Ziele sind? Wer straft überhaupt, auch historisch gesehen? Es gab mal die Idee, Dinge wieder gut zu machen oder Ausgleiche zu schaffen."
Die Kirche und der Staat hätten in der Vergangenheit die Hoheit über Bestrafungen übernommen. Heute müsse man sich aber fragen: "Wo stehen wir eigentlich gerade auf dieser Zeitschiene? Wie werden Menschen in 400 Jahren auf unsere heutigen Strafen gucken? Und zwar nicht nur auf die bösen USA, weil da noch irgendwie lebenslänglich lebenslang ist, sondern auch auf uns, wo in den Gefängnissen im Grunde genommen die Rückfallquoten irre hoch sind. Wie stellen wir uns eigentlich die Gesellschaft vor, in der wir leben wollen? Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen und die wir übers Theater auch anstoßen wollen."