Kinokolumne Top Five

Die besten Filme über den Abstieg

05:52 Minuten
Blick in eine ungewisse Zukunft: Frances McDormand im Fillm Nomadland. Im Hintergrund ist der weite Himmel zu sehen, eine Frau blickt aus dem Bild heraus in die Ferne.
Blick in eine ungewisse Zukunft: Frances McDormand im Film Nomadland. © imago images/ZUMA Wire
Von Hartwig Tegeler · 02.07.2022
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Ein Gespenst geht um in unserer Gesellschaft: die Angst vor Rezession, vor einem Wirtschaftskrieg mit Russland, kurzum die Angst vor Abstieg und sozialem Elend. Das Kino kennt das Thema. Fünf Filme über die Angst, abzusteigen.

Platz 5 – „Wo ist Kyra?“ von Andrew Dosunmu (2019)

Nur ein Drink in einer Bar. Sieben Dollar. Scheckkarte. Abgelehnt. Eine von vielen Demütigungen. Kyra ist geschieden, arbeitslos, kommt bei ihrer Mutter unter; lebt mit von deren Rente in Brooklyn. Dann stirbt die Mutter. Versuch, ihr Geld zu bekommen nach deren Tod: vergeblich; natürlich kann nur die Mutter den Scheck einlösen. Die grandiose Michelle Pfeiffer spielt Verzweiflung, Einsamkeit, die Angst, ins Bodenlose zu stürzen, mit einer erschütternden Intensität: „Du glaubst, dass dich jeder einfach aufgegeben hat. Und … und wenn du dann am Boden bist.“ Natürlich versucht Kyra in dieser Gesellschaft ohne soziales Netz die Rentenschecks illegal einzulösen, verkleidet sich als ihre Mutter. Was soll sie sonst auch machen? Wird am Ende verhaftet. Unten angekommen. Ganz unten. Ihre Angst ist Realität geworden.

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Platz 4 – „Redemption – Stunde der Vergeltung“ von Steven Knight (2013)

Kein Sozialdrama, Genrefilm. Joey – gespielt von Jason Statham –, ehemaliger Soldat, Spezialeinheit, versteckt sich vor der Militärpolizei seit Langem in den Straßen von London … als Obdachloser, betäubt die Kriegserinnerungen mit Drogen und Alkohol. Bis er sich – auf der Flucht vor Schlägern – in einem Luxusapartment versteckt und die Identität des verreisten Eigentümers annimmt. „Redemption“ – „Erlösung“: Die aber findet Joey nicht wirklich in der Rache an dem Frauenmörder, den er nun jagt. Am Ende ist Joey wieder da, wo die Geschichte begann: unten. Am Boden, sprichwörtlich: Er liegt auf der Straße. Zu niemanden gehörend. Eben: keine Erlösung, keine Hoffnung.

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Platz 3 – „Mein Name ist Joe“ von Ken Loach (1998)

Für Joe, den arbeitslosen Alkoholiker, geht es Tag für Tag um die Stütze. Nein, an den Platz an der Spitze der Gesellschaft glaubte Joe nie. Apropos Stütze! Wie eine Frau ausführen, in die du dich verguckt hast? Kann er nie bezahlen. Ja, soziale Tristesse, aber Ken Loach zeigt etwas anderes als der Genrefilm „Redemption“: den Respekt nämlich gegenüber Joe und den anderen, die an die Ränder der Gesellschaft gedrängt sind. Das ist der humanistische Grundton.

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Platz 2 – „Der Wert des Menschen“ von Stéphane Brizé (2015)

Am Anfang kann Thierry – mit 50 Jahren arbeitslos geworden – noch die Einschränkungen abfedern, finanziell. Sucht Arbeit, macht Umschulungen, quält sich durch Skype-Bewerbungsgespräche, was ihm verzweifelt fremd ist. Den gestandenen Mann, Ehemann, Vater aber quält immer mehr die Erniedrigung und Bevormundung, die er erlebt in einer Situation, in der er zunehmend zum Bittsteller wird. Die Angst, endgültig abzugleiten, die mühsam ersparte Eigentumswohnung zu verlieren, dies verleitet Thierry dazu, den Job als Sicherheitsmann in einem Supermarkt anzunehmen und nun andere zu erniedrigen, die mal dieses oder jenes mitgehen lassen. Dann macht er einfach nicht mehr mit. Wirft hin. Geht. Offenes Ende in einer Geste des Widerstands. Nun ist Thierry angstfrei.

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Platz 1 – „Nomadland“ von Chloé Zhao (2020)

Schließlich also Fern – Frances McDormand. Ihre Entscheidung, als moderne Nomadin zu leben, ist zunächst nicht freiwillig. Ihr Mann starb, dann der ökonomische Kollaps ihrer Heimat, der Bergbaustadt in Nevada, und damit der Verlust jeglichen Halts. Da baute die 60-Jährige ihren Van um und fuhr los. Immer wieder trifft sie andere, die wie sie „on the road“ leben. Moderne Nomaden. Fern schließt Freundschaften. Und fährt immer weiter. „Die Landschaften sind Teil des Heilungsprozesses, den Fern durchlebt“, sagt Chloé Zhao. „Sie findet durch die Natur ihren Platz im Leben.“ Wir sehen Fern melancholisch, traurig, gelassen, in sich ruhend. Ohne Angst. Freiheit, nun ja, ein anderes Wort dafür, nichts zu verlieren zu haben.

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