Die App "Intimarzt"

Geschlechtskrankheiten online erkennen

05:54 Minuten
Ein Mann fasst sich mit seinen Händen in den Schritt. (Symbolfoto)
80 Prozent der App-Nutzer sind Männer: Sie zeigen ihren Intimbereich eher seltener einem Arzt, erklärt Intimarzt-Gründer Titus Brinker. © imago images / photothek / Thomas Trutschel
Von Magdalena Neubig · 30.09.2021
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Chlamydien, Gonokokken, Syphilis: Viele sprechen aus Scham nicht darüber – und das hat Folgen für die eigene Gesundheit und die anderer. Klarheit ist wichtig, wenn man das Gefühl hat, da stimmt was nicht im Genitalbereich. Eine App kann dabei helfen.
Zwei Klicks im App-Store und schon habe ich Intimarzt auf meinem Handy installiert. Total einfach. In der App muss man dann Fotos seines Intimbereichs hochladen, Alter und Geschlecht angeben und zusätzlich vermerken, welche Beschwerden man konkret hat – Juckreiz, Schwellung, Rötung etwa. Und ob man bereits versucht hat, das Problem mit Medikamenten selbst in den Griff zu kriegen.
Mit einem letzten Klick nimmt man dann Kontakt zu einem Facharzt für Geschlechtskrankheiten auf. Und das ganz anonym.

Viele Ansteckungen wegen verschleppter Diagnosen

Entwickelt wurde Intimarzt, der 2019 auf den Markt kam, von der Universitäts-Hautklinik in Heidelberg, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg in Zusammenarbeit mit der Universitäts-Hautklinik Essen. Titus Brinker war federführend an der Entwicklung beteiligt.
"Leider ist es so, dass die Verschleppung von Diagnosen im Intimbereich ein riesiges Problem ist, was dazu führt, dass viele Menschen mit Geschlechtskrankheiten viele andere Menschen anstecken, dass die Prognose von Hautkrebs im Intimbereich extrem schlecht ist", erklärt er.
Der angehende Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten erlebt immer wieder, dass Patientinnen und Patienten mit ihren Beschwerden erst zu spät medizinische Hilfe suchen.

Auch Krebserkrankungen erkannt

"Wir haben auch schon Melanome in der App befundet, also wirklich schwarzen Hautkrebs, der tödlich endet, wenn man ihn nicht vorzeigt. Insofern hat diese App, denke ich, auch schon viele Leben gerettet", sagt Titus Brinker.
Inzwischen schicken rund 100 Menschen pro Woche über die App eine Anfrage. In Heidelberg wirft dann ein Team bestehend aus zwei Ärzten und einer Ärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten einen Blick auf die Bilder.
In bis zu 95 Prozent der Fälle können sie dann tatsächlich feststellen, um welches Problem es sich handelt und konkrete Hilfe leisten. Das Ganze kostet knapp 25 Euro. Zahlbar über die üblichen digitalen Zahlungsmethoden.
Benjamin Durani ist einer der Ärzte, der für Intimarzt Fälle bearbeitet. "Bei den Männern sind es häufig Dinge wie ein Herpes, Infektionen durch Viren – Feigwarzen oder Entzündungen der Eichel. Bei den Frauen sind es häufig auch Entzündungen im Bereich der Vagina oder um die Vagina herum", erläutert er.

Die Anonymisierung vermindert Schamgefühle

Die Patientinnen und Patienten nutzen Intimarzt aus verschiedenen Gründen. Viele schämen sich für ihr intimes Problem und möchten es ungern von Angesicht zu Angesicht zeigen. Dieses Verhalten kennt Benjamin Durani auch aus seinem sonstigen Praxisalltag.
"Wir haben viele Patienten, die zu uns in die Praxis kommen, die erst mal was anderes zeigen, und dann beim Rausgehen sagen: ‚Oh Herr Doktor, wenn ich schon mal da bin‘. Sich dann erst trauen, wenn sie Vertrauen aufgenommen haben, ihr Genital zu entblößen und die Geschlechtserkrankung zu zeigen. Und das ist über die App, da ist es anonymisiert, natürlich viel einfacher."
Ein weiterer Vorteil ist, dass die eingesandten Fälle auf Intimarzt innerhalb weniger Stunden und auch am Wochenende bearbeitet werden, erklärt Titus Brinker. "Ich denke, es geht auch um Geschwindigkeit. Sie warten im Schnitt als Kassenpatient fünf Monate auf einen Termin beim Dermatologen und das ist schon eine sehr lange Zeit."

In bestimmten Situationen besonders praktisch

Auch Menschen, die gerade im Urlaub im Ausland sind und dort keine Möglichkeit haben, zum Arzt zu gehen, nutzen Intimarzt. Außerdem richtet sich die App an Betroffene, die auf dem Land wohnen und keine medizinische Versorgung vor der Haustür haben und an Menschen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland sind.
"Etwa 80 Prozent der Nutzer sind Männer. Das hängt sicherlich mit kulturellen Dingen zusammen, also vielleicht, dass ein Mann eher bereit ist, ein Bild von seinem Penis zu verschicken", erläutert Titus Brinker.
"Aber auch damit, dass Frauen durch die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen beim Gynäkologen bereits sehr gut angebunden sind und da das Problem gar nicht so besteht. Männer hingegen zeigen ihren Intimbereich eher seltener einem Arzt."

Datenschutz und wissenschaftliche Evaluierung im Blick

Da Intimarzt eine telemedizinische Anwendung ist, spielt der Datenschutz eine große Rolle. Selbst im Falle eines Hacking-Angriffs sollen die Patientinnen und Patienten anonym bleiben, sagt App-Gründer Titus Brinker.
"Es ist so, dass wir glauben, dass jede App, jede Gesundheitsdatenbank, gehackt werden kann. Es gibt keine sicheren Daten im Internet", erklärt er. "Deswegen haben wir es so gemacht, dass die Falldaten, die Sie eingeben, auf einer ganz anderen Datenbank, auf einem völlig anderen Server, gespeichert werden, als Ihre personenbezogenen Daten."
Und auch eine externe wissenschaftliche Evaluierung bescheinigt dem Intimarzt bisher gute Ergebnisse. Eine Oberärztin an der Universitäts-Hautklinik Essen hat bislang 100 stichprobenartig ausgewählte Fälle zweitbegutachtet und außerdem sämtliche eingesandte Fälle deskriptiv ausgewertet. Die Evaluation ist zwar noch nicht ganz abgeschlossen, aber die Zweitbegutachtung kommt überwiegend zu den gleichen Diagnosen wie das Team von Intimarzt.
Selbst wenn die ärztliche Beratung per App also möglich ist, ist sich der Facharzt Benjamin Durani sicher: "Es wird den Dermatologen, den Hautarzt, nie ersetzen, weil sie den in bestimmten Dingen einfach brauchen. Aber ich glaube, es ist bestimmten Situationen eine sehr gute Ergänzung."
Und falls das Intimarzt-Team mal keine eindeutige Diagnose treffen kann, dann schicken sie die anonymen App-User doch noch mal zu einem Arzt vor Ort weiter.
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