Die abendliche Bett-Flucht

Protest gegen das tägliche Hamsterrad

08:04 Minuten
Eine Katze schläft unter einer Bettdecke, nur die Wölbung des Stoffes ist sichtbar.
Die, die "aus Rache zu spät ins Bett gehen", wollen da eben genau nicht hin: ins Bett. © imago / fStop Images / Benne Ochs
Christine Watty im Gespräch mit Martin Böttcher · 22.05.2021
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Statt zu schlafen noch im Handy gescrollt, Serien gebinget, Sachen bestellt. Das abendliche Zu-Bett-gehen zögert manche immer weiter hinaus. Dieses Verhalten nennt sich "Revenge Bedtime Procrastination". Wir haben geschaut, was dahintersteckt.
Wir wissen nicht, wie Ihre Abende aussehen, was Sie so machen vor dem Zu-Bett-gehen – aber vielleicht finden Sie sich in folgendem wieder: Ihre Abende sind lang, es ist schon spät, schlafen wäre schlau, stattdessen wird aber auf dem Handy getippt und in der Wohnung abgehangen, Serien geschaut und einfach: wachgeblieben, völlig unvernünftig.
Diesem Verhalten wurde nun ein Namen gegeben, es ist die "Revenge Bedtime Procrastination", das "aus Rache zu spät ins Bett gehen". Prokrastinieren, nicht etwa, um eine ungeliebte Arbeit nicht erledigen zu müssen, sondern um einfach nicht zu schlafen?


Was dahintersteckt haben wir mit unserer Kollegin Christine Watty besprochen. Denn sie kennt die eben beschriebenen Verhaltensweisen nur zu gut. Wenn andere sich "bettfein" machen am Ende langer Tage, fahren bei ihr alle "widerspenstigen Systeme hoch", sie begibt sich in einen stillen Protest gegen das Ende des Tages, oder versinkt in dem, was "typische Bedtime-Prokrastinierer" so machen. Serien, Podcast, Social Media.

Mehr als nur Lifestyle

Hinter dem "Phänomen" steckt mehr als "die Hipster mit Augenringen, die nachts Netflix schauen". Der Begriff kommt aus dem Chinesischen, wo sich Leute wider alle Vernunft gegen das eng getaktete Arbeitsleben wehren, in dem sie sich beim eigenen Schlafbedürfnis verschulden, um Zeit für sich zu haben.
So kann das Phänomen als Strukturkritik und am Ende vielleicht auch Kapitalismuskritik verstanden werden. Zumindest hilft der Begriff, im Nicht-Schlafen-Wollen mehr als ein individuelles Problem zu sehen. Bei dem man irgendwann überlegen müsste, ob tagsüber etwas verändert werden sollte, wenn das nächtliche Rachebedürfnis an der Ruhe so groß ist.
Für Christine Watty gibt es aber auch eine persönliche Erklärung an ihrem Nachtwachen: "Meine Rache besteht, wenn, dann eher an der Endlichkeit des Lebens – ich will halt immer nicht, dass irgendwas aufhört."
(jde)
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