Historiker über Putins Krieg

Das Ende des "deutsch-russischen Jahrhunderts"

10:16 Minuten
Angela Merkel geht links neben Wladimir Putin. Im Hintergrund der Berliner Fernsehturm.
Angela Merkel wurde besonderes Geschick im Umgang mit Putin nachgesagt. Eine Vermittlerrolle habe Deutschland aktuell nicht, sagt der Historiker Stefan Creuzberger. © picture alliance / dpa / Bundesregierung Guido Bergmann
Stefan Creuzberger im Gespräch mit Dieter Kassel · 22.03.2022
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Zwischen Nähe und Gegnerschaft: Deutschland hatte stets eine besondere Beziehung zu Russland. Auch als Vermittler. Der Historiker Stefan Creuzberger erklärt, warum Putins Krieg gegen die Ukraine eine ganze Epoche beenden dürfte.
Es ist ein geschichtliches Ereignis, das beispielhaft für das Sonderverhältnis Deutschlands zu Russland steht: Im Vertrag von Rapallo vom 16. April 1922 erkennen sich das Deutsche Reich und die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik erstmals gegenseitig an. Beide gelten zu damals vor 100 Jahren als Parias des internationalen Mächtesystems, wie der Historiker Stefan Creuzberger sagt.
Vor allem im 20. Jahrhundert habe die Notwendigkeit bestanden, zusammenzukommen, um "schlichtweg existieren, überleben zu können". Der Geschichte der besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Russland geht Creuzberger in seinem Buch "Das deutsch-russische Jahrhundert" nach.
In deren Verlauf sei es immer wieder um die Frage gegangen, wie sich Deutschland zwischen seiner West- und Ostbindung positioniert, so der Historiker. "Das ist bemerkenswert in diesem deutsch-russischen Jahrhundert: Dieses Motiv durchzieht sich im Grunde durch dieses Jahrhundert."

Ende der DDR leitete Ende der Sowjetunion ein

Der Aufstieg der Sowjetunion zur Supermacht und dann deren Ende 1991 seien auch prägend für das Denken Wladimir Putins gewesen. Als "KGB-tschik" in der DDR habe er den Untergang des sowjetischen Imperiums als "dramatisches Ereignis" empfunden: "Das hat ihn immens geprägt, dieses Erlebnis, weil die DDR, die in vieler Hinsicht die Kriegstrophäe der Sowjetunion war für 27 Millionen Tote, die sie zu beklagen hatte in diesem Zweiten Weltkrieg, die wurde jetzt preisgegeben. Das Ende der DDR war zugleich auch der Anfang vom Ende der Sowjetunion."

Deutschland aktuell ohne Vermittlungsrolle

Aktuell sei Deutschland in seiner Vermittlungs- und Führungsrolle für Putin nicht der Ansprechpartner. Der russische Präsident, der in Einflusssphären denke, blicke im Ukraine-Krieg wenn überhaupt auf die USA. Auf Augenhöhe mit der letzten verbliebenen Supermacht: Darum gehe es ihm. Ob das "deutsche Element" wieder einmal zum Zuge komme, sei offen, meint Creuzberger. "Im Augenblick würde ich sagen, neige ich sehr dazu, dass das deutsch-russische Jahrhundert möglicherweise zu Ende geht."
(bth)

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