"Deutschland rundet auf"

"Eine kluge und innovative Form des Spendens"

Eine Frau steht zum Bezahlen in einem Supermarkt an der Kasse.
Aufrunden, bitte! Einfach an der Supermarktkasse auf einen Teil des Wechselgeldes verzichten, schon spendet man für ein wohltätiges Projekt. © picture alliance / dpa / RIA Novosti
Sebastian Braun im Gespräch mit Dieter Kassel |
In dieser Woche wird an Deutschlands Supermarktkassen "aufgerundet" - mit Prominenten wie Cindy aus Marzahn: Dies sei eine Möglichkeit, sich mit wenig Aufwand sozial zu engagieren, meint Sebastian Braun, Leiter des Forschungszentrums für Bürgerschaftliches Engagement an der Berliner Humboldt-Universität.
Wer in diesen Tagen im Supermarkt einkauft, dem kann es passieren, dass an der Kasse Cindy aus Marzahn, Ex-Box-Profi Henry Maske oder andere Prominente sitzen und den Kunden dazu auffordern, zugunsten eines Projektes gegen Kinderarmut auf einen Teil seines Wechselgeldes zu verzichten. "Deutschland rundet auf" heißt die Aktion, die der Leiter des Forschungszentrums für Bürgerschaftliches Engagement an der Berliner Humboldt-Universität, Sebastian Braun, sehr gelungen findet.
Ohne viel Aufwand Gutes tun
"Deutschland rundet auf" sei ein eine "sehr innovative" und "kluge" Form, wie Menschen ohne viel Aufwand einen Beitrag leisten könnten, sagt Braun.
"Ich glaube, es ist ausgesprochen wichtig, dass es vielfältige Projekte gibt, die sich auf unterschiedliche Weise Kindern und Jugendlichen annehmen, die vielleicht nicht unter so privilegierten Bedingungen großwerden."
Generell sei die Bereitschaft der Bürger, Wissen, Zeit und auch Geld zu spenden, relativ hoch, betont der Politikwissenschaftler. Etwas mehr als ein Drittel der Bürger engagierten sich in irgendeiner Form, "von politischem Protest bis hin zur Wahrnehmung eines klassischen Ehrenamtes". Während diese Quote relativ konstant sei, stiegen die Spendenquoten sogar an.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ab heute gibt es noch einen Grund mehr, vor allem bei kleineren Beträgen an der Supermarktkasse nicht gleich mit einem 100-Euro-Schein zu zahlen, es sei denn, man will wirklich ganz viel Gutes tun, denn heute startet die Aktion "Deutschland rundet auf". In vielen Geschäften wird man deshalb gebeten, auf das Wechselgeld zu verzichten, damit dieser Betrag Projekte gegen Kinderarmut unterstützt. Und manchmal sitzen dann sogar Prominente an der Kasse, heute Mittag zum Beispiel die Komödiantin Cindy aus Marzahn in einem Supermarkt in Marzahn, und am kommenden Samstag Eckard von Hirschhausen in einem Supermarkt in Stuttgart, und zwischendurch noch viele andere in zahlreichen deutschen Städten. Aber bringt das was? Wie steht es überhaupt um die Bereitschaft, zu helfen, und das nicht nur mit Geld? Dazu jetzt Fragen an Professor Sebastian Braun, er leitet das Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement an der Berliner Humboldt-Universität. Schönen guten Morgen, Herr Braun!
Sebastian Braun: Guten Morgen!
Kassel: Warum unterstützen Sie diese Aktion, warum halten Sie die für sinnvoll?
Braun: Na ja, wir wissen ja alle, dass das Thema Bildungsungleichheiten und damit die Vererbung sozialer Ungleichheiten im Lebensverlauf für Kinder und Jugendliche eine der prägenden Angelegenheiten ist, die die Bundesrepublik seit vielen Jahrzehnten begleitet. Und ich glaube, es ist ausgesprochen wichtig, dass es vielfältige Projekte gibt, die sich auf unterschiedliche Weise Kindern und Jugendlichen annehmen, die vielleicht nicht unter so privilegierten Bedingungen großwerden wie zahlreiche Hörer vielleicht von Deutschlandradio Kultur. Und ich mache das gerne, weil wir sind sozusagen ein kleines Expertengremium, das sich eher mit der Frage beschäftigt, welche Projekte eventuell substanzielle Beiträge dazu leisten können. Und das Zweite ist, es handelt sich in der Regel um zivilgesellschaftliche Projekte, also Projekte, die quasi aus der Gesellschaft heraus gelebt und initiiert werden und wo sich Menschen bürgerschaftlich engagieren, damit quasi diese Themen adressiert werden und Kindern und Jugendlichen geholfen werden kann.
Spenden ist Vertrauenssache
Kassel: Wenn ich nun aber zum Beispiel einen Tag lang durch die Stadt laufe und absolut immer Geld geben würde, wenn ich dazu angehalten werde, in welcher Form auch immer, dann wäre ich schon nach dem ersten Tag pleite. Wie kann man denn selber richtig entscheiden, wen man unterstützt und wen nicht?
Braun: Also es gibt ja eine Reihe von Einrichtungen, die sich mit der Frage beschäftigen: Wie unterstützt man mit Spenden am besten und am sinnvollsten? Wie vertrauenswürdig vor allen Dingen ist der Anbieter gegenüber? Denn es ist ja klar: Wenn man spendet, dann geht es insbesondere um Vertrauen, das die Spendenden den Spendenorganisationen entgegenbringen. Zum Beispiel vergibt das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen, das DZI, ein Spendensiegel, das sehr hilfreich ist, um sich überhaupt einen Überblick zu verschaffen, welche Organisationen eine generelle Vertrauenswürdigkeit genießen. Und die empfehlen auch, sich genauer damit zu beschäftigen, was gerade auf Websites angegeben wird. Also wie hoch oder wie transparent ist überhaupt die Darstellung dessen, was dort unterstützt wird? Wie hoch ist der Werbe- und Verwaltungsaufwand? Da gehen die so davon aus, dass er nicht höher als 10 bis 20 Prozent des gesamten Volumens der Organisation ausmachen sollte.
Also insofern gibt es eine Reihe von Indikatoren, die man ganz gut einsetzen sollte, und vor allen Dingen natürlich den gesunden Menschenverstand, sich zu überlegen: Wie vertrauenswürdig ist eine Organisation, die mich quasi zum Spenden drängt? Das sollte natürlich auf keinen Fall der Fall sein, sondern man sollte sich gründlich vorher überlegen und auch prüfen, wie transparent und gut die Darstellung der Organisation ist, die da um Spenden wirbt.
Die Komikerin Cindy aus Marzahn sitzt in der "Woche des Aufrundens" an der Supermarktkasse - natürlich in Marzahn
Die Komikerin Cindy aus Marzahn sitzt in der "Woche des Aufrundens" an der Supermarktkasse - natürlich in Marzahn © Foto: Henning Kaiser/dpa
Mehr als billige Gewissensberuhigung
Kassel: Aber wenn jetzt zum Beispiel bei dieser Aktion "Deutschland rundet auf" jemand an der Supermarktkasse 11,83 Euro zu zahlen hat und sagt, hier, gebe ich 12 Euro, stimmt so – ist das wirklich schon bürgerschaftliches Engagement oder ist das nicht eher eine, im wahrsten Sinne des Wortes, billige Gewissensberuhigung?
Braun: Ach, das weiß ich nicht, so würde ich das nicht fassen, glaube ich. Also das Gewissen kann man sicherlich auf unterschiedliche Weise beruhigen. Und wenn man das in diese Sparte reintut, dann kann man natürlich jegliches Engagement sozusagen als ein subjektives Wohlbefinden packen oder fassen, das dazu beiträgt, dass der Einzelne sich für seinen Tag oder für die Woche wohler fühlt. Das glaube ich nicht. Es geht um niederschwellige Zugänge, die unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen relativ mühelos zum Spenden nutzen können.
Das ist ein eine, finde ich, sehr innovative oder kluge Form, Menschen im Alltag dazu aufzufordern, ohne viel Aufwand einen Beitrag für Projekte zu leisten, die in der Zivilgesellschaft in der Regel mit relativ wenig Mitteln über die Runden kommen müssen. Und sicherlich ist das nicht direkt vergleichbar mit einem Ehrenamt, wo man 20, 30 Stunden womöglich in dem Vorstand eines Vereins pro Woche oder innerhalb des Monats verbringt. Aber dennoch ist es eine Form, wie man sich, Gesellschaft beteiligten kann und man delegiert quasi das Problem, herauszufinden, welche Projekte sinnvoll sind, an einen Dritten, nämlich dann an "Deutschland rundet auf", die sich mit den Projekten intensiv beschäftigen.
Kassel: Nun hören wir ja immer wieder, Herr Braun, unsere Gesellschaft werde ständig egoistischer. Wirkt sich das eigentlich auch auf die Bereitschaft, sich zu engagieren, sei es durch Spenden oder sei es wirklich durch die Übernahme eines Ehrenamtes, aus?
"Die Spendenquoten steigen"
Braun: Zumindest kann man das so ohne Weiteres nicht empirisch feststellen. Wir gehen davon aus, wenn man die Freiwilligensurveys zugrunde legt, dass sich relativ konstant etwas mehr als ein Drittel der Bevölkerung in irgendeiner Weise freiwillig oder gesellschaftlich engagiert, in unterschiedlichster Form, von politischem Protest bis hin zur Wahrnehmung eines klassischen Ehrenamtes im Verein oder im Verband. Und zwischen diesen Formen gibt es natürlich viele Spielarten, aber die Quote ist relativ konstant. Die Spendenquoten steigen. Also insofern könnte man zusammenfassend vielleicht sagen, die Bereitschaft, Wissen, Zeit und auch Geld zu spenden, ist relativ hoch, sondern wir beobachten eher unterhalb dieser Oberfläche Verschiebungen in der Art und Weise, wie sich Menschen beteiligen.
Kassel: Herzlichen Dank, das war Professor Sebastian Braun, der Leiter des Forschungszentrums für Bürgerschaftliches Engagement an der Berliner Humboldt-Universität und er hat es ja schon erklärt, die Aktion "Deutschland rundet auf" findet er empfehlenswert, deshalb bin auch ich bereit, sie zu empfehlen. Sie können Einzelheiten dazu, welche Geschäfte sich beteiligen, und, wenn Sie das interessiert, auch, wo wann welcher Promi sitzt, auf der Internetseite deutschland-rundet-auf.de nachsehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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