Deutsches Kammerorchester Berlin

Bejubelt für seinen vitalen Klang

Nahaufnahme vom Körper einer Geige.
Eine Violine - 20 Streicherinnen und Streicher gehören zum Deutschen Kammerorchester Berlin. © picture-alliance/ dpa / Lehtikuva Ismo Pekkarinen
Von Ulrike Klobes · 02.10.2014
Klassik, Jazz, Tango: Das Deutsche Kammerorchester Berlin steht für ein breites Repertoire und wird für seinen Klang von der Presse bejubelt. Gegründet hat es sich 1989, kurz nach dem Fall der Mauer, mit Musikern aus Ost und West. Jetzt feiert es sein 25-jähriges Jubiläum.
Marcus Poschner: "Es ist eine kleine Familie und alle vertrauen sich sehr und haben den unbedingten Willen, das Beste da rauszuholen. Und das ist wirklich so eine kleine Frischzellenkur, weil es doch alles fantastische Musiker sind, die aus den besten Orchestern kommen. Und wir können wirklich dem Idealbild, so wie wir es uns vorstellen, und wie es sich vielleicht der Komponist gedacht hat, sehr nahe kommen."

Sybille König: "Hier kann man sich auch viel solistischer einbringen, weil die Besetzung relativ klein ist, und es ist einfach eine schöne Art des Musizierens."

Julia Böhmer: "Wir hatten tolle Projekte in den letzten Jahren mit Tango oder israelischer Musik, die wirklich aus dem Orchester heraus entstanden sind, wo einfach Musiker einen eigenen persönlichen Background haben und sagen, ich hab da 'ne Ahnung, die hat sonst niemand hier und die kann ich euch zur Verfügung stellen. Und das dann jemand, der ansonsten bei uns in den zweiten Geigen zwar oft als Stimmführer gespielt hat, aber plötzlich dieses eine israelische Projekt als Konzertmeister geleitet hat und dadurch Kontakte zu Komponisten, die für uns extra arrangiert haben, mitgebracht hat, diese Möglichkeit, so etwas auszuloten, das macht wahnsinnig viel Spaß."
Man umarmt sich, tauscht sich aus
Wenn die Musiker des Deutschen Kammerorchesters Berlin zum Proben zusammengekommen, ähnelt das einem Heimspiel. Seit über zehn Jahren spielen sie fast in der gleichen Besetzung. Man umarmt sich, tauscht sich aus und rutscht zusammen, denn heute bekommen die 20 Streicher in ihrem Probenraum, einem großen Theatersaal im Berliner Stadtteil Wedding, Verstärkung von Bläsern und Paukisten. Es ist die Generalprobe zum Jubiläumskonzert, auf dem Programm: Beethovens 4. Sinfonie.

Am Pult steht Markus Poschner, eigentlich Generalmusikdirektor in Bremen und seit 13 Jahren ständiger Gastdirigent beim Deutschen Kammerorchester. Er lässt die Musiker die einzelnen Sätze ausspielen und erläutert dann im freundlichen Ton, dass doch die Schlusstakte ruhig noch etwas knalliger klingen könnten.

Probenarbeit – das ist beim Deutschen Kammerorchester Berlin keine einseitige Angelegenheit. Nicht nur der Dirigent, auch die Musiker melden sich zu Wort, machen Vorschläge, die dann im Orchester diskutiert werden. Eine Art der Demokratie, die schon so manchen Zeitplan gesprengt hat, wie Markus Poschner erzählt.

"Es ist immer anstrengend. Das Beste zu wollen und wirklich auch so tief wie möglich einzudringen in die Materie, erfordert immer sehr viel Schweiß. Wir spielen die 4. Sinfonie von Beethoven nach der Pause, die hat jeder x-Mal schon gemacht und gespielt, mit vielen Orchestern, mit vielen Dirigenten, jeder hat ein eigenes Bild, bringt etwas mit, aber das ist ja gerade das Wertvolle, es wäre ganz töricht, wenn man diesen Schatz, der ja immer da ist, wenn man den gar nicht beachten würde und wegwischt. Ich genieße das selbst sehr, ich lasse mich da auch jedes Mal wieder inspirieren, es ist einfach ein tolles Erlebnis, all die Sachen zusammen zu bekommen und meine Rolle ist dann eher die eines Moderators und das ein bisschen sortieren."
Bei den Proben geht es sehr demokratisch zu
Dass das Orchester Demokratie so groß schreibt, hängt auch mit seiner Geschichte zusammen. Die beginnt im Dezember 1989, kurz nach dem Mauerfall. Damals startete der Komponist und Dirigent Fritz Weisse in Leipzig ein bis dahin einmaliges Projekt. Er gründete ein Streichorchester, dessen Musiker zu gleichen Teilen aus Ost- und aus Westdeutschland kamen: das Deutsche Kammerorchester. Wenig später fand das Ensemble in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands seine neue Heimat und bekam den Beinamen Deutsches Kammerorchester Berlin.

Gero Luckow, der damalige Vorsitzende des Trägervereins, erinnert sich:

"Wir haben ja zuerst im Konzerthaus gespielt und in der kleinen Philharmonie und das war ein Problem. Und dann hab ich das Konzerthaus aufgegeben, weil einfach die Zahl der Besucher problematisch war, also den großen Saal regelmäßig zu füllen, und den kleinen dazu, das war ein solches Risiko, das hab ich auch wieder schnell gestoppt. Weil der Zugang aus dem Osten relativ sparsam, zurückhaltend."

Seitdem hat das Kammerorchester seine Konzertreihen ganz in der Philharmonie verlegt. Das Publikum aus dem Osten sei anfangs allerdings nur sehr zögernd zu den Konzerten in den Westen gekommen. Für die Musiker des Kammerorchesters hingeben war von vornherein klar: wenn es ums Musikmachen geht, dann spielt die Herkunft des Pultnachbarn keine Rolle.
Kein musikalischer Leiter, sondern Gastdirigenten
Mittlerweile kommen die Mitglieder des Deutschen Kammerorchesters Berlin aus neun verschiedenen Nationen, aus Ungarn, den Niederlanden oder Israel. Und noch etwas hat sich seit den Anfängen geändert: es gibt keinen festen musikalischen Leiter mehr. Stattdessen setzt man auf Gastdirigenten, wie Markus Poschner oder Philippe Jordan oder auf den ersten Konzertmeister, den Münchner Geiger Gabriel Adorján. Das heißt auch, dass es niemanden gibt, der allein über das Repertoire entscheidet.
Geigerin Susanne Behrends: "Wenn die neue Spielzeit geplant werden soll, dann setzen wir uns zusammen und besprechen das und dann kommen so peu à peu die Ideen zusammen, die kommen teilweise aus dem Orchester, also es gibt Orchestermitglieder, die eigene Programm formen und umsetzen können, dann gibt es Repertoirevorschläge, was wir wollen, dann gibt es auch Vorschläge aus dem Management, also, was als nächstes gut passen könnte, das ist also so ein richtig schöner perfekter Mix aus Hierarchie und Demokratie, das ist also in so einem Ensemble beides gut möglich, wenn man sich ein bisschen geschickt anstellt."

"Wer jetzt zum Beispiel nicht kann, oder wer jetzt zum Beispiel, wie unser Kontrabassist, jetzt in Oslo ist, dann kann man sich auch per Mail äußern, also wir fordern dann auch dazu auf, dass jeder seine Meinung wirklich sagen kann, das ist ganz wichtig, und natürlich auch immer in Absprache mit dem Konzertmeister, dass man das so ein Boot holt."
Mischung aus Mainstream und Unbekanntem
Ergänzt Claudia Schurz von Orchestermanagement. Auf diese Weise hat das Orchester sein Repertoire nach und nach erweitert. Standen am Beginn noch barocke und klassische Werke im Mittelpunkt, ist man mittlerweile offen für alle möglichen Genres, ohne dabei beliebig zu werden. Eine ausgewogene Mischung aus Mainstream und Unbekanntem ist in den letzten Jahren zum Markenzeichen des Kammerorchesters geworden, wie Mark Poschner erläutert.

"Es ist dann manchmal auch Jazz dabei, Tangomusik, Weltmusik, natürlich Alte Musik, Wiener Klassik, das gehört ganz genuin zu diesem Orchester dazu, und 20. Jahrhundert, da gibt es ja auch am allermeisten für Kammerorchester an Literatur, aber gerade auch die Gegenüberstellung, wie jetzt auch Beethoven und Ginastera, alles unglaubliche Dramatiker, die machen dann schon so eine ganz eigene Programmatik aus und das kann man, glaub' ich, ganz gut verfolgen über die Jahre, dass wir diese Ästhetik immer so ein bisschen wie ein ungeschriebenes Gesetz über dem Ganzen lesen können."

Und auch in der Auswahl seiner Spielorte überschreitet das Deutsche Kammerorchester Berlin immer wieder Grenzen. Seit anderthalb Jahren gibt es regelmäßig Konzerte im Stattbad-Wedding, einem ehemaligen Schwimmbad, etwa mit dem Mandolinisten Avi Avital oder dem Geiger Daniel Hope. "Klassik im Becken" nennt sich die Reihe, die laut Julia Böhmer vom Orchestermanagement besonders gut bei jungen Leuten ankommt.

"Gerade im letzten Konzert hat man es enorm gemerkt, wenn man so durch die Reihen geht, das ist ein ganz anderes Publikum. Wir haben einige auch aus unserem Abonnementen-Stamm, die kommen auch mit rüber, die sind neugierig genug auf diesen Raum, was uns dann besonders freut, wenn man bekannte Gesichter wiedersieht, weil man sich über die Jahre einfach kennengelernt hat, aber dort ein Publikum zu erreichen, was die Philharmonie wahrscheinlich noch nicht von Innen gesehen hat, aber auch ein positives Feedback zu bekommen, inzwischen ist es so, hat uns das Management aus dem Stattbad neulich erzählt, die werden abends nach ihren Techno-Partys teilweise angesprochen, kommt denn dieses Orchester mal wieder und das ist natürlich das, wo wir hinwollten."
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