Deutsches Erbe in Israel

Eine Kirche wird Kulturzentrum

Das Gebäude der Deutschen Kolonie der Templer in Jerusalem, aufgenommen im Jahr 1998
Das Gebäude der Deutschen Kolonie der Templer in Jerusalem © picture-alliance / dpa / Richard Nowitz
Von Evelyn Bartolmai · 21.05.2017
Die deutschen Templer kamen ab 1868 ins damalige Palästina. Architektonische Spuren der frommen Sekte sind heute noch in Tel Aviv, Jerusalem oder Haifa zu sehen – und auch im Dorf Alonei Abba. Das alte Kirchengebäude dort wird von einer Bürgerinitiative restauriert.
Würde das braune Ortsschild nicht bereits signalisieren, dass "Waldheim" ein historisch bedeutsamer Platz in Israel ist, dann könnte man tatsächlich glauben, irgendwo in Süddeutschland zu sein. Die sanften Hügel Untergaliläas sind von Wäldern und Feldern bedeckt, kurz vor dem Dorf weiden stattliche Rinder an einem Hang.

Von abtrünnigen deutschen Templern errichtet

Komplett verwirrt ist der Besucher, wenn er dann mitten in Alonei Abba vor einer Kirche in unverkennbar neugotischem Stil steht. Sie war der ganze Stolz von Waldheim, dem 1907 von Abtrünnigen der deutschen Templer in Haifa gegründeten Dorf, erzählt Ayelet Drasch von der Bürgerinitiative zur Restauration der Kirche, deren Bau sich über 14 lange Jahre hinzog:
"Es hat etwas gedauert, weil mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges ja viele Männer eingezogen wurden, sodass hier nicht mehr sehr viele Leute waren und sie auch kein Geld hatten. Und außer der Kirche haben sie ja vor allem 18 Gehöfte aufgebaut und Landwirtschaft betrieben."
Die Kirche steht seit Langem schon leer und würde vermutlich bald einstürzen, hätte sich nicht vor einigen Jahren die Bürgerinitiative gegründet, um das einstige Gotteshaus in ein regionales Kulturzentrum zu verwandeln, das die Bewohner der umliegenden jüdischen und arabischen Dörfer zusammenbringen soll.

Eine Bürgerinitiative zur Rettung der Kirche

Der Architekt Bernie Ludmir hat die Pläne entwickelt, um das Kirchengebäude zu restaurieren und heutigen Bedürfnissen anzupassen:
"Die Älteren hier aus der Gegend erinnern sich, dass dies bis in die 40er-Jahre der Raum mit der besten Akustik weit und breit war, und das wollen wir natürlich wieder erreichen. Im Grunde wollen wir überhaupt keine Veränderungen an dem Gebäude selbst vornehmen, sondern unsere Absicht ist die Sicherung, die Restauration und die weitgehende Wiederherstellung des originalen Zustandes."
Das irgendwann in den 50er-Jahren verschwundene Giebelkreuz kehrt mit Sicherheit nicht zurück, aber das alte Harmonium wird bereits von einem Fachmann restauriert. Und auch der Wetterhahn und die Glocke im einstigen Kirchturm werden ebenfalls aufpoliert:
"Die Glocke ist so erhalten wie ehedem, sie klingt wunderbar. Das Zugseil haben wir mit voller Absicht entfernt, weil die Kinder immer damit herumgespielt haben. Noch bis in die 80er-Jahre hinein wurde die Glocke immer geläutet, wenn irgendwo ein Feuer ausgebrochen war."

Auftrittsort für junge Sänger und Musiker

Hanna Lewaw wohnt direkt neben der alten Kirche und singt im Gemeindechor von Alonei Abba. So kam ihr der Einfall, dass man das neue Kulturzentrum nicht nur als gemeinsamen Treffpunkt der jüdisch-arabischen Nachbarschaft nutzen, sondern auch ganz besonders jungen Sängern und Musikern als Auftrittsmöglichkeit zur Verfügung stellen könnte:
"Ein Publikum von 60 bis 80 Leuten ist doch schon sehr ehrenvoll für den Auftritt eines Musikers, der noch am Beginn der Karriere steht und noch nicht auf großen Bühnen auftritt. Aber hier wäre das ein sehr schöner Saal für diese jungen Künstler."
1948, am Vorabend der Gründung des Staates Israel, war die Ära der deutschen Templer mit ihrer Ausweisung zu Ende gegangen. Auch deshalb, weil sich nicht wenige von ihnen der Nazibewegung angeschlossen hatten. In Waldheim zum Beispiel befand sich das zentrale Ausbildungslager der Hitlerjugend Palästinas.

Nach den Deutschen kamen rumänische Shoa-Überlebende

Nachdem die Deutschen den Ort verlassen hatten, zogen vor allem rumänische Überlebende der Shoa in die Häuser ein. Die Vergangenheit wurde verdrängt, erinnert sich Yigal Drach an seine Kindheit, die Kirche wurde wie alle anderen Hinterlassenschaften der Deutschen für die Bedürfnisse der neuen jüdischen Bewohner genutzt:
"Es gab hier zahlreiche Häuser, die man nicht gepflegt, sondern sie verfallen lassen hat. Am Anfang, weil das wirklich eine harte Zeit war und der Staat Israel ihnen einfach nur ein Dach über dem Kopf geben musste. Die Leute haben in den Häusern der Deutschen gewohnt, aber eigentlich nur gewartet, bis sie in die neuen Häuser der Wohngenossenschaft umziehen konnten."
Heute ist Yigal Drach der Manager des Projektes zur Kirchenrettung. Und zufrieden, dass die Geschichte der Templer nicht mehr nur auf die Zeit des Nazi-Ungeistes verkürzt wird. Wären die Templer vor 100 Jahren nicht gewesen, erklärt er, würde Alonei Abba heute vielleicht ganz anders heißen. Denn der Ortsname erinnert zum einen an Abba Berditschew, einen Helden des rumänischen Widerstandes gegen die Nazis, und an die Eichen, die bis heute in der Gegend wachsen.
"Früher war das ganze Land von Eichenwäldern bedeckt, und während des ersten Weltkrieges baten die Deutschen die Türken, doch nicht mehr die Bäume abzuholzen und in ihren Dampfloks zu verheizen. Die Deutschen haben die Flora hier geschützt und auch kontrollierte Forstwirtschaft betrieben, und deswegen haben wir hier bis heute noch diesen alten Eichenbestand."

Neubewertung des kulturellen Erbes

An diese positive Tradition hat 100 Jahre später auch Deutschland wieder angeknüpft und für den Erhalt des einstigen Kirchengebäudes von Waldheim, dem heutigen Alonei Abba, eine Projektunterstützung von 100.000 Euro beigesteuert. Auf Initiative des Schriftstellers Meir Shalev übrigens, der bei der Übergabe des Geldes Ende April im Namen aller, die die kleine Kirche instand setzen, um sie bald wieder nutzen zu können, mit einem fast prophetischen Wunsch gedankt hat:
"Wir hoffen, dass diese kleine Kirche, die einst ein Haus Gottes war, in der Zukunft ein Haus der Kunst, Musik, Literatur und Theater für alle Bewohner dieser Gegend sein wird. Und in meinem Herzen wünsche ich mir, dass auch unser kleines Land aufhören möge, allein das Haus Gottes zu sein und stattdessen ein Haus für Wissenschaft, Kreativität, Kunst und Normalität werden würde."
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