Die Friedhöfe auf dem Jerusalemer Zionsberg

Konflikte, Vielfalt und zerstörte Träume

Beisetzungszeremonie auf dem Katholischen Friedhof auf dem Zionsberg.
Beisetzungszeremonie auf dem Katholischen Friedhof auf dem Zionsberg. © picture alliance / dpa / Gabi Schulte
Von Evelyn Bartolmai · 02.04.2017
Jerusalem ist eine heilige Stadt - gleich für drei Religionen. Das ist viel zu oft Grund für Konflikte, es bringt aber auch eine ungeheure Vielfalt hervor. Beides gilt auch für Friedhöfe: Auf dem Zionsberg liegen etwa protestantische, katholische und armenische Christen, Muslime und Juden.
Schon von Berufs wegen steht die Historikerin Jiska Harani, die sich auf christliche Religionsgeschichte spezialisiert hat und unter anderem am Jerusalemer Yad Ben Zvi Institut lehrt, für das friedliche Miteinander aller Glaubensrichtungen. Doch nach der Schändung des protestantischen Friedhofs im Herbst 2013 war für die gebürtige Jerusalemerin auch persönlich eine rote Linie überschritten - mit Gleichgesinnten gründete sie eine Aktionsgruppe mit einer unmissverständlichen Ansage:
"An diesem Ort nehmen wir Vandalismus nicht hin und wir laden alle ein, dies tatkräftig zu unterstützen und zu zeigen, dass der Zionsberg, wie ganz Jerusalem und das ganze heilige Land, ein multikultureller Ort ist, der allen Menschen gehört. Hier leben wir zusammen, so wie viele Haustürschilder sagen, dass hier Familie Sowieso in Ehren wohnt. Auch wenn es mit dem Respekt noch nicht immer so klappt, aber dennoch, hier leben wir zusammen!"
Zunächst wollte die Gruppe nur den Friedhof wieder in Ordnung bringen. Doch sehr bald kam die Idee auf, auch gleich eine Dokumentation der vorhandenen Gräber vorzunehmen. Als Vorsichtsmaßnahme im Falle weiterer Zerstörungen, aber vor allem für die Geschichtsschreibung und gegen das Vergessen. Nur Eingeweihte sehen heute im Stadtbild von Jerusalem noch Spuren gerade deutscher Einwanderer, die im 19. und 20. Jahrhundert kamen und auch durch ihr Wissen und Wirken das damalige Palästina in die Moderne geführt haben. Diese Geschichte erzähle der Friedhof, erklärt Propst Wolfgang Schmidt von der Jerusalemer Erlöserkirche und nennt als Beispiel das Lebenswerk des 1901 in Jerusalem verstorbenen Conrad Schick:
"Ein Württemberger, der hierher als Missionar kam, eigentlich ein Handwerker, und der hier in Jerusalem zum bedeutendsten Baumeister des 19./20. Jahrhunderts wurde. Er hat das Stadtviertel Mea Shearim gebaut, er hat die Wasserversorgung in Jerusalem gebaut, er war ein ausgezeichneter Archäologe, viele Erkenntnisse, die wir in der Archäologie aus dieser Zeit haben, haben wir nur durch ihn noch bewahrt. Und so wären noch andere zu nennen aus dieser Zeit."

Ein Krankenhaus für alle Konfessionen

Wie die Kaiserswerther Schwestern zum Beispiel. Sie hatten das Krankenhaus Bikur Cholim gegründet, das bis heute in der Prophetenstraße Kranke aller Konfessionen versorgt. Und die Mädchenschule Talithakumi, die übrigens ebenfalls von Conrad Schick gebaut wurde. 1950 zog die Schule ins jetzt palästinensische Beit Jala bei Betlehem um, in Jerusalem erinnert heute nur noch der Talithakumi-Bogen mit der großen Uhr an der King-George-Straße an die einstige Mädchenschule. Auch ein Namensvetter von Propst Schmidt hat seine letzte Ruhestätte auf dem Zionsberg gefunden: Nicolai Schmidt aus der unweit des Berges gelegenen Templer-Siedlung, heute als German Colony bekannt, fand auf dem Zionsberg seine letzte Ruhestätte, erzählt der Propst.
"Die Geschichte dieser Familie nachzuvollziehen, wo die aus der Schweiz, und dann waren die Mennoniten und dann mussten die vor dem Kriegsdienst fliehen, und dann sind die von Katharina der Großen in Russland aufgenommen worden und sind dann von dort hierher ins Land gewandert. Und dann hat der hier eine Weinhandlung aufgemacht und dann ist er hier eben relativ jung verstorben und ist hier auf dem Zionsfriedhof beerdigt. Also solche und andere Geschichten, wo man das Leben hinter dem Grab entdeckt, die finde ich besonders spannend."
Auch Jiska Harani erzählt von einem Grab, das bei den Aufräumungsarbeiten freigelegt wurde und das traurige Schicksal der protestantischen Missionarsfamilie Hall bezeugt:
"Am 1. Januar 1879 müssen sie noch sehr glücklich gewesen sein, denn da wurden ihnen Zwillingssöhne geboren. Das erste Kind allerdings starb bereits kurz nach der Geburt, und wir haben das Grab seines Bruders gefunden, der im Alter von 7 Monaten starb und hier beerdigt wurde. Das ist eine sehr menschliche Geschichte, denn beide Kinder sind gestorben, aber diese Eltern, die aus Europa hergekommen waren, gläubige Leute, die haben weiter an ihrem Glauben festgehalten und sind hiergeblieben, das ist sehr anrührend. Das Grab verdeckt also keineswegs die Geschichte, sondern lässt sie im Gegenteil wieder lebendig werden. Wir haben diese Geschichte wieder ans Licht gebracht, die ansonsten wirklich tot gewesen wäre."

Zielscheibe religiöser Fanatiker

Neben den Protestanten haben auch andere Religionen und Konfessionen ihre Friedhöfe auf dem Zionsberg, die mal mehr, mal weniger Zielscheibe religiöser Fanatiker sind. Die inzwischen interreligiöse Putz- und Dokumentationsgruppe um Propst Schmidt und Jiska Harani, der auch zahlreiche Jugendliche aller Religionen angehören, hat längst Kontakte zu den jeweiligen Friedhofsverwaltern geknüpft und Hilfe angeboten, die bis auf wenige Ausnahmen auch dankbar angenommen wurde. Und doch ruft es noch immer Verwunderung und auch Skepsis hervor, wenn die Freiwilligen mit Hacken und Harken anrücken, wie Jiska Harani erst unlängst wieder auf dem muslimischen Dajani-Friedhof erlebt hat:
"Da kam plötzlich ein arabischer Mitarbeiter der Stadtverwaltung vorbei und sagte, na das ist aber sehr seltsam, dass Juden den Friedhof einer Minderheit putzen! – lacht - Ja, er benutzte wirklich das Wort ‚Minderheit‘! Und ich habe ihm gesagt, nun, ein Mensch ist ein Mensch und wir achten alle, die hier auf dem Berg sind. Hm, ja, sagte er, aber so ganz normal ist das nicht, oder? Also er wusste gar nicht, wie er damit umgehen sollte, so neu und ungewöhnlich war das für ihn! Das heißt, das Neue war nicht nur, dass wir den Friedhof saubergemacht haben, sondern dass es interreligiös war. Die Leute können durch dieses Projekt sehen und wieder daran glauben, dass es Menschen mit Visionen, Werten und gutem Willen gibt, und das ist für mich das Wichtigste."
Das Projekt "Friedhöfe auf dem Zionsberg", das von mehreren religiösen und kulturellen Institutionen Jerusalems mitgetragen und finanziell auch durch die deutsche Botschaft unterstützt wurde, ist inzwischen auch online zu sehen. Die 4-sprachige Webseite, die mit der internationalen BillionGraves-Datenbank verlinkt ist, erzählt die Geschichte der einzelnen Friedhöfe und soll schrittweise mit weiteren Fotos von Gräbern und auch Lebensgeschichten der auf dem Zionsberg bestatteten Menschen gefüllt werden. Damit wird die Seite zu einem einzigartigen Archiv und einer Informationsquelle nicht nur für Angehörige, sondern auch für Historiker, Touristenführer und alle, die sich für Jerusalem als Heimstatt zahlreicher Religionen interessieren. Und sie lädt ein, die Zukunft nicht dem Streit um Vorrechte zu überlassen, wie es Propst Wolfgang Schmidt formuliert:
"Sondern wir stehen dafür ein, dass dieser Zionsberg ein gemeinsames Erbe ist der drei Religionen in dieser Stadt, und insofern ist dieses ganze Projekt und die Webseite selber auch schon ein Zeichen dafür."
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