John Sauter: "Zone"

Existenzielle Nöte in gleißender Ehrlichkeit

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Das Buchcover "Zone" von John Sauter ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Vor allem menschenleere Szenerien macht John Sauter in "Zone" zum Thema. © Deutschlandradio / Verlag Voland & Quist
Von Björn Hayer · 14.04.2021
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Was verspricht Hoffnung in einer Welt der Ruinen? Möglicherweise das Du, dem John Sauters neue Gedichte eine beinahe heilige Wirkung zuschreiben. Der Lyriker gibt sich als faszinierender Dokumentarist gespenstischer Szenen zu erkennen.
Verlassene Fabriken, endloses Gestrüpp, "Restwälder" und Bergwerksstollen, die von einer längst untergegangenen Ära zeugen. Wo der Zahn der Zeit nagt, gibt es einen wachsamen Betrachter: John Sauter, der sich mit seinem zweiten Lyrikband "Zonen" als ein faszinierender Dokumentarist gespenstischer Szenerien zu erkennen gibt.
Er "streun[ert]" und "tigert[]" vor allem durch das ländliche Gebiet. Was sucht er dort? Vor allem Heimat, die Gerüche und Farben von damals. Es gilt für den romantischen Nomaden daher das Prinzip des Unterwegsseins, stets im Wissen, "dass / Mein Herz niemals ein ruhiges wird".

Bilder erweisen sich als trügerisch

Doch die emporkommenden Bilder auf seinen Wegen erweisen sich als trügerisch. Ist das Licht vor dem inneren Auge die Sonne oder ein Blitz? "Ist das Erinnern? / Ist das Fremde hinter der Stirn?", fragt sich das lyrische Ich im Angesicht einer verstummten Landschaft.
Indem der 1984 in Sachsen geborene Dichter vor allem menschenleere Szenerien zum Thema macht, legt er in zweifacher Weise den Band der Stunde vor. Zum einen rufen dessen Impressionen Assoziationen zu gespenstischen Straßenzügen im Schatten des Lockdowns auf, zum anderen lesen sich die Gedichte wie ein Bekenntnis zum Posthumanismus.
Was in ihnen noch wirkt, ist vor allem die Natur, jenseits der Zivilisation – bis auf eine Ausnahme, nämlich das Du.

Geliebte mit hoffnungsvoller Schlüsselfunktion

Insbesondere ihm, diesem fortgegangenen Gegenüber, gelten die Bemühungen des Ich, aus der Einsamkeit der Gegenwart auszubrechen. Obgleich Sauters Texte auf den ersten Blick von Resignation gezeichnet sein mögen, kommt der stets angesprochenen Geliebten eine hoffnungsvolle Schlüsselfunktion zu. Mit ihr eröffnen sich neue, bisweilen traumhaft-irreale Räume, wo man "ins Immergrün des / Schneelandes wander[]t".
Sie fungiert als Lichtquelle in der Finsternis. So "trägst du Laternen im Haar / Erzählst im Gehen / Geschichten […] Schleppst meinen Blick / Mit". Ihr zu folgen, bedeutet, von vermeintlich abgegrenzten Arealen aus die titelgebenden "Zonen" des Übergangs zu betreten.
Nicht zuletzt aus diesem Grund verweben Motive wie Bahngleise und Wind, ergo Bewegungs- und Richtungsfiguren, die einzelnen Miniaturen miteinander, die damit niemals nur im realen Hier und Jetzt verharren. Sie weisen vielmehr ins Seeleninnere:
"Man beginnt zu begreifen
Dass der Weg
In einem selbst weitergeht
In tiefen Tunneln
Denn sonst
Sind wir nur wenig mehr
Als die Kreise
Aus denen wir auszubrechen suchen"

Einsamkeit und Weite aushalten

Setzt die Wahrnehmung zu Beginn der Poeme immer in der Wirklichkeit an, so gleitet sie im Weiteren in imaginäre Topografien über. Oder wie es das Textsubjekt treffend selbst festhält: "Meine Gedichte sind / Zerrissene Landkarten im Kopf".
Paradiese halten sie keine mehr bereit, trotz der geradezu heiligen Lichterscheinung des Du. Sauters Vorstellungswelten zu bereisen, heißt, mitunter Einsamkeit und Weite auszuhalten. Gewahr werden wir dabei unserer Verletzlichkeit und unerfüllten Sehnsüchte.
Statt falscher Erbaulichkeit vermittelt dieser Band gleißende Ehrlichkeit und zeigt gerade in der Offenlegung unserer existenziellen Nöte, wofür es sich zu leben lohnt.

John Sauter: "Zone"
Edition Azur, Verlag Voland & Quist, Berlin 2021
120 Seiten, 20 Euro

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