Deutsche Regelungswut

Sicher, weiblicher, gesünder

Stempel in einer Amtsstube
Auch für 2016 hat sich die Bürokratie wieder allerhand neue Regeln einfallen lassen © dpa/Robert B. Fishman
Von Gerd Brendel · 01.01.2016
Das neue Jahr bringt Neuerungen: zum Beispiel Pflicht-Rauchmelder, Frauenquoten überall und infraschallsensible Lärmschutzverordnungen. Gute Nacht, o Vater-, nein, Mutterland, flüstert Gerd Brendel bei Bio-Brause und zuckerfreier Kaugummizigarette.
Endlich! Ab heute dürfen deutsche Mittelständler aufatmen: Das Ende der Steuerbürokratie! Es kommt das "Bürokratieentlastungsgesetz". Das heißt wirklich so. Kleinunternehmer mit weniger als 60.000 Euro müssen kein Buch mehr führen. O welche Klarsicht der Gesetzesmacher! Die Bürokratie, für deren Regelwerk sie selbst verantwortlich sind, wird hier als Last verstanden.
Und das ist erst der Anfang. Kaum ein Bereich, der in diesem Jahr nicht neu geregelt wird: von den eigenen vier Wänden bis zum öffentlichen Raum.
Berlin soll sicherer werden
In der Hauptstadt klappt ja verwaltungstechnisch sonst wenig, aber ab sofort sind dort Rauchmelder Pflicht. Die Diskussionen darüber erhitzte schon vor Wochen potenzielle Bauherren und die Bau-Lobby. Berlin soll also sicherer werden!
Aber auch stiller: Eine neue Lärmschutzverordnung dreht Veranstaltern öffentlicher Konzerte und anderer Events jetzt früher den Ton ab als bisher. Das Regelwerk unterscheidet drei Kategorien: "nicht störende", "wenig störende" und "störende" Veranstaltung. Dabei wird jetzt sogar tieffrequenter und Infra-Schall berücksichtigt.
Wo schon jetzt jedes Happy-Birthday-Singen ab fünf nach zehn mit Hilfe missgünstiger Nachbarn polizeilich geräumt werden konnte, können jetzt die Ordnungshüter schon bei tieffrequentem Stöhnen anrücken. Was viele ruhebedürftige Stadtrandbewohner in Berlins Innenstadt ziehen wird. Denn dort haben sie jetzt wahre Ruhe.
Bei Staatsbesuchen gelten Ausnahmen vom Lärmschutz
Einen schwachen Hoffnungsschimmer für alle potenziellen Ruhestörer bieten die zahlreichen Ausnahmen. Die Liste dazu ist genauso lang wie der neue Verordnungstext selbst. Weiter Krach gemacht werden darf bei "Veranstaltungen anlässlich besonderer politischer oder historischer Ereignisse und Begleitveranstaltungen zu internationalen und nationalen Sportveranstaltungen von herausragender Bedeutung sowie beim Auftreten von international bekannten Künstlern oder Persönlichkeiten sowie Veranstaltungen mit einer langen Tradition".
Mit anderen Worten: Wer für den Krach so viel bezahlt wie für ein Madonna- oder Rolling-Stones- Konzert, darf auch weiter laut sein. Ausgenommen vom Lärmschutz sind auch Staatsbesuche. Vielleicht sollten mürbe Biergarten-Pächter, deren Gäste im Sommer jetzt noch schneller von der Polizei nach zehn in stickige Kneipenräume zurückgescheucht werden, ihre Gastronomie als Jubelchöre für ausländische Potentaten maskieren?
Bis zu Umerziehungslagern für Raucher ist es nicht mehr weit
Aber Deutschland und seine Hauptstadt werden nicht nur sicherer und ruhiger, sondern auch gesünder: Mit der neuen EU-Verordnung zu Grusel-Bildern auf Zigarettenpackungen ist es nicht mehr weit bis zu Umerziehungslagern für resistente Raucher. Auf die Tabakindustrie kommen sowieso harte Zeiten zu, nicht nur wegen der neuen Gesetze. Für sie wie für alle börsennotierte Unternehmen gilt ab heute eine Frauenquote von 30 Prozent für alle neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten. Und das Schönste daran: Bußgelder bei Nichtbefolgen sieht die Verordnung nicht vor.
Irgendwas zu regeln gibt es halt immer. Und was noch nicht geregelt ist, das wird bestimmt demnächst geregelt. Darauf eine Bio-Brause, eine zuckerfreie Kaugummi-Zigarette und ein ganz leises Prosit Neujahr. Gute Nacht o Du mein Vaterland... ähh... Mutterland.
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