Deutsch-russische Versöhnung an der Wolga

Von Gesine Dornblüth |
Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat ein deutsches Orchester in Wolgograd gespielt: Zusammen mit russischen Musikern erinnerten die Osnabrücker Symphoniker mit einem bewegenden Konzert an die Schlacht von Stalingrad.
Die Osnabrücker Symphoniker waren mit einem Geschenk nach Wolgograd gereist, einer eigens für das Versöhnungskonzert in Auftrag gegebenen Komposition zum Gedenken der Schlacht von Stalingrad. Das Stück "Erwartung" der in England lebenden Russin Jelena Firsowa wurde in Wolgograd uraufgeführt: Über lange Strecken Soli mit Pauke und Schlagwerk – eine Nachbildung der Schlachtszenen. Obwohl das Wolgograder Konzertpublikum sonst eher an klassische Musik gewöhnt ist, verfolgte es das Werk mit großer Spannung. Das war vor allem das Verdienst des jungen Osnabrücker Dirigenten Andreas Hotz.

Olga Kliot, Musiklehrerin in Wolgograd, saß im Publikum.

"Der Dirigent hat mir sehr gefallen. Die Energie, die von ihm ausgeht, war im Orchester und im ganzen Zuschauerraum zu spüren. Ich bin kein großer Fan zeitgenössischer Musik, ich mag lieber Barock, Bach, Händel, Vivaldi. Aber dass dieses Stück extra für den Jahrestag des Sieges in Stalingrad geschrieben wurde, ruft natürlich Emotionen hervor."

Begonnen hatte das Konzert mit einem Stück eines weiteren Russen: Gawril Popov, ein Zeitgenosse Schostakowitschs. Die "Symphonische Arie" für Violoncello und Streichorchester entstand während des Krieges, 1943. Der Funke sprang nicht so recht über, doch Margarita Kuksa bewegte gerade dieses Stück besonders. Die alte Dame erlebte die Schlacht von Stalingrad im Alter von zehn Jahren. Zum Konzert war sie mit ihren Kindern gekommen.

"Das Stück hat in mir diese schreckliche Anspannung von damals wieder wachgerufen und mich sehr berührt. Ich habe die schweren Bombenangriffe im Zentrum von Stalingrad miterlebt und all die anderen furchtbaren Sachen."

Die Osnabrücker Musiker hatten sich in den vergangenen Tagen in zahlreichen Begegnungen mit der Geschichte der Schlacht auseinandergesetzt, hatten Gedenkstätten besucht, mit Veteranen gesprochen. Und sie hatten im Vorfeld in Deutschland die Namen von Vermissten aus dem ehemaligen Stalingrad ausfindig gemacht, die in Osnabrück und Umgebung Zwangsarbeit leisten mussten und dort begraben sind. Eine weitere Geste der Versöhnung. Die Namen wurden vor dem Konzert verlesen.

Die Gäste aus Deutschland hoffen, dass sich eventuell Angehörige dieser 70 ehemaligen Zwangsarbeiter melden. Bei dem Konzert saßen Osnabrücker und Wolgograder Musiker jeweils an einem Pult nebeneinander. Sie wollten Brücken bauen, über die Sprachbarrieren hinweg, und es hat geklappt.

Die Geigerin Lieselotte Pflanz:

"Das ist ja die Sprache der Musik, das ist ja das Schöne, die Noten sind nicht auf Russisch und nicht auf Deutsch, sondern das sind Noten, und das ist überall das gleiche."

Beethovens Neunte Sinfonie hatten die Musiker auf Wunsch der
Wolgograder Symphoniker in das Konzert aufgenommen. Der sichtlich vom Alter geschwächte Wolgograder Dirigent hatte Mühe, den annähernd 300 Musikern eine klare Linie vorzugeben. Dennoch gab es am Ende minutenlang stehende Ovationen. Der Direktor der Philharmonie, Viktor Kijaschko:

"Das war ein Ereignis in unserer Region, nicht nur kulturell, sondern auch politisch. Danke allen, die mitgemacht haben, besonders unseren Freunden aus Deutschland."

Auch Andreas Hotz, der Dirigent aus Osnabrück, war zufrieden.

"Ich kann persönlich natürlich nur für Firsowa sprechen, für das Stück 'Erwartung', wie wir das auf die Bühne gebracht haben, das war die Uraufführung dieses Stückes, da sind wir stolz drauf, das gespielt zu haben, und sind sehr glücklich."
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