Der Wüstenkrieger

Rezensiert von Aishe Malekshahi · 30.01.2011
Neue Erkenntnisse über den Wüstenkrieger Lawrence von Arabien: Autor Peter Thorau bettet seine militärischen Verdienste in den weltpolitischen Kontext ein.
Thomas Edward Lawrence hatte "tiefblaue Augen" und "leuchtend goldene Haare", so beschrieb ihn Winifred Fontana, Gattin des britischen Konsuls in Damaskus. 1911 begegnete sie dem erst 22-jährigen Lawrence in der osmanischen Provinzhauptstadt.

Es war seine zweite Orientreise, und auch diesmal nahm er an Ausgrabungen in der alten Hethiterstadt Karkemisch teil. Die Britin fand den Oxford-Absolventen zunächst "ungehobelt" - aber ihre Haltung veränderte sich, so Autor Peter Thorau:

"Offenbar verstand es Lawrence auch, sich ihr gegenüber äußerst zuvorkommend zu verhalten, sodass sie ihn nicht nur als belesenen Gesprächspartner schätzen lernte, sondern ihn später glühend bewunderte und gar nicht verstehen wollte, warum man ihm eine Abneigung gegenüber Frauen nachsagen konnte."

Der Historiker Peter Thorau hat unzählige Anekdoten von Zeitgenossen zusammengetragen, historische Sekundärliteratur studiert, Biografien gelesen und natürlich auch die Werke von Thomas Edward Lawrence auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Der Mann, der "Die sieben Säulen der Weisheit", "Aufstand in der Wüste" oder "Unter dem Prägestock" geschrieben hatte - neigte zur Selbststilisierung wie Peter Thorau Thomas Edward Lawrence schillernde Persönlichkeit auf den Punkt bringt. Thorau bettet die militärischen Verdienste Lawrence in den weltpolitischen Kontext ein und korrigiert wo nötig:

"Nach dem Krieg nahmen sowohl Faysal auch als Auda Abu Tayy und Lawrence für sich in Anspruch, Urheber des Akaba-Feldzuges gewesen zu sein. In der Rückschau die Ereignisse literarisch verarbeitend, wertete Lawrence in den ‚Sieben Säulen’ seine Rolle dabei enorm auf: ‚Akaba war nach meinen Plänen und auf meine Initiative hin erobert worden, und die ganze Verantwortung hatte alleine auf meinen Schultern gelastet.’"

Peter Thorau schildert auch, inwieweit vielleicht die Herkunft des Briten ein Motiv bot für die eitlen Selbstdarstellungen: Im August 1888 kam Thomas Edward Lawrence als uneheliches Kind in Wales zur Welt. Zwar lebten seine Eltern zusammen, allerdings in "wilder Ehe", da der Vater noch verheiratet war. Die Familie zog nach Oxford, hier studierte Thomas Edward Geschichte.

Schon als Student galt er als Einzelgänger, Exzentriker und Angeber, der sich damit brüstete 3000 Kilometer – bei größter Hitze - durch Frankreich geradelt zu sein. Seine sportliche Fitness und sein Ehrgeiz nützten ihm auch später: Er wanderte - im Dienste der Archäologie - durch Palästina und Syrien, besichtigte die Burgen der Kreuzfahrer und hielt fest:

"Wie ein Araber unter Araber lebend, habe ich einen besseren Einblick in das Alltagsleben der Leute bekommen als diejenigen, die mit Karawane und Dolmetschern reisen."

Süffisant hält Peter Thorau dagegen, dass Thomas Edward Lawrence doch besser gekleidet war als der gewöhnliche Araber in jener Zeit. Lawrence lernte Beduinen, Kurden und Ägypter kennen, die letzteren schätzte er nicht besonders, charakterisierte sie als:

"schrecklich abstoßend, sehr schmutzig und stumpfsinnig, von niedriger Gesinnung und antriebsschwach."

Vier Jahre - bis zum Juni 1914 - lebte der Brite unter Arabern im noch bestehenden osmanischen Reich und es war die "glücklichste Zeit seines Lebens." Thorau beschreibt kenntnisreich, wie schon zu diesem Zeitpunkt die Arbeit der Archäologen für die britischen Militärs ausgewertet wurde. T. E. Lawrence leistete mit seinen Feldforschungen ebenfalls dazu seinen Beitrag, denn die Vermessung der arabischen Halbinsel wird später kriegswichtig.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges riss sich Lawrence nicht darum, in die Schlacht zu ziehen. Er zog es vor als Zivilist in der Geografischen Abteilung des Generalstabs zu arbeiten, fertigte Berichte und Karten über den Vorderen Orient an. Als die Abteilung nach Kairo abkommandiert wurde, ist auch Lawrence mit dabei. Peter Thorau zitiert einen Zeitgenossen:

"Auf Audrey Herbert, selber eine schillernde Persönlichkeit, der später ein enger Freund von Lawrence werden sollte, machte dieser zunächst den Eindruck eines sonderbaren Zwergs, fast ein Schlitzohr mit einem Anflug von Genie."

Ein großer Teil der Schilderungen von Peter Thorau widmen sich dem 1. Weltkrieg: Die Machtinteressen Großbritanniens im Vorderen Orient, ihr Kampf an der Seite unberechenbarer Beduinenführer gegen das Osmanische Reich, das auf Seiten Deutschlands stand.

Wie Thomas Edward Lawrence zum Kämpfer für die arabische Einheit wurde, wie das Empire fast blind die Familie des Scherifen von Mekka unterstützte und die wiederum mit ihrer Vorstellung eines großarabischen Reiches den Frieden mit den Osmanen aufkündigten. Beide Seiten kalkulierten weitere Konflikte skrupellos mit ein: Denn was hatten diese Beduinenführer mit den städtischen Schichten in Damaskus, Aleppo oder in Palästina gemein? Nichts.
1919 wendet sich das Blatt:

"Von England auf dem Altar der Politik geopfert, kehrte Faysal nach Syrien zurück wo er alsbald von den Franzosen vertrieben wurde. In völliger Überschätzung der Rolle, die man ihm zu spielen erlaubt hatte, war Lawrence auf der ganzen Linie gescheitert."

Am Ende des Weltkrieges hatten Frankreich und Großbritannien sich die Region untereinander aufgeteilt und längst entschieden, wer – von ihren Gnaden - wo regieren durfte: Faysal wird König von Irak, sein Bruder Abdallah König von Transjordanien. Doch die Einheit Arabiens – das Ziel des jungen Offiziers T. E. Lawrence – blieb unerreicht.

Dass er dennoch bis heute als "Lawrence von Arabien" berühmt ist, verdankte er zunächst dem amerikanischen Journalisten Lowell Thomas, der 1919 mit der Lebensgeschichte des Offiziers auf Tour ging durch die USA und Großbritannien und so geschickt die Geschichte des "ungekrönten Königs von Arabien" vermarktete.

Selbst Churchill war beeindruckt von den Heldengeschichten und bat Thomas Edward Lawrence ihn in Nahostfragen zu beraten. Lesenswert sind die Passagen des Historikers Peter Thorau über den Absturz Lawrence aus dieser künstlichen Glamourwelt, die Depressionen, die Einsamkeit des Briten, der als einfacher Soldat noch einmal die Kameradschaft der Armee suchte und doch nicht fand. Am 19. Mai 1935 starb Thomas Edward Lawrence an den Folgen eines Motorradunfalls.


Peter Thorau: Lawrence von Arabien - Ein Mann und seine Zeit
C. H. Beck
Cover: "Peter Thorau: Lawrence von Arabien"
Cover: "Peter Thorau: Lawrence von Arabien"© C. H. Beck